Latein Wörterbuch - Forum
Cicero - In M. Antonium orationes Philippicae — 2568 Aufrufe
Ailourofilos am 6.1.15 um 18:47 Uhr (Zitieren)
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Re: Cicero - In M. Antonium orationes Philippicae
filix am 6.1.15 um 20:11 Uhr (Zitieren)
Über die Ungewöhnlichkeit des persönlichen Passivs hast du sicher alles Verfügbare gelesen. Mit Rücksicht auf den folgenden Satz übersetze ich:

„Obwohl (Quamquam) du dich auf einmal als mein Feind (mihi inimicus subito) gezeigt hast (exstitisti), habe ich dennoch Mitleid mit dir (tamen me tui miseret), bist du [= der, der du bist] doch (quod) um dich (tibi) [= um den, der aus dir hätte werden können] zu beneiden (inivideris). Was für ein Mann (Qui tu vir), ihr unsterblichen Götter (di immortales), und wie bedeutend wärst du gewesen (et quantus fuisses), wenn du <nur> (si) die Gesinnung (mentum) jenes Tages (illius diei) hättest bewahren können (servare potuisses)!“
Re: Cicero - In M. Antonium orationes Philippicae
Ailourofilos am 6.1.15 um 20:54 Uhr (Zitieren)
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Re: Cicero - In M. Antonium orationes Philippicae
Klaus am 6.1.15 um 21:34 Uhr (Zitieren)
Re: Cicero - In M. Antonium orationes Philippicae
Ailourofilos am 6.1.15 um 22:02 Uhr (Zitieren)
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Re: Cicero - In M. Antonium orationes Philippicae
filix am 6.1.15 um 22:53 Uhr, überarbeitet am 7.1.15 um 12:00 Uhr (Zitieren)
Umgangssprache ist das nicht - vgl. R. Kühner (Anmerkung 1) über solche Passivformen im Lat. more Graeco: https://books.google.de/books?id=68Rh1PgW-04C&pg=PA109#v=onepage&q&f=false oder auch https://books.google.de/books?id=vAroBQAAQBAJ&pg=PA375

Dass Cicero in diesem Angriff auf Antonius im Aktiv (und sei es nur einer Pointe wegen) Neid einräumt, kann man sich nicht so recht vorstellen. Das klass. unpers. Passiv („tibi invidetur“ = „man beneidet dich“) hingegen macht es schwierig, das Worum des Neides auszudrücken und diese Verdopplung zu realisieren, in der Antonius zum um sich selbst (im Sinne einer verpassten Chance) Beneideten und gleichzeitig zum Gegenstand gnädigen Mitleids wird.
Die Form als 2. Pers. Konj. Perf. Aktiv aufzufassen, steht vor dem Problem, den Konjunktiv im quod-Satz und das Tempus erklären zu müssen: ~ „... weil du dich (meiner Meinung nach) <ja selbst> beneidet/mit Missgunst betrachtet haben dürftest (beneiden/mit M. betrachten dürftest) “
Re: Cicero - In M. Antonium orationes Philippicae
supplens am 7.1.15 um 9:53 Uhr (Zitieren)
Wenn sibi invidere = sich nichts gönnen bedeuten kann (s. Navigium) dann macht der Konj. Perfekt, der Ciceros Meinung wiedergibt, Sinn, meine ich. („weil du dir nichts gegönnt hast“) . Mit dem Nicht-Gegönnten ist offenbar das im nächsten Satz Folgende gemeint.
Re: Cicero - In M. Antonium orationes Philippicae
Ailourofilos am 7.1.15 um 16:33 Uhr (Zitieren)
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Re: Cicero - In M. Antonium orationes Philippicae
Kuli am 7.1.15 um 21:30 Uhr (Zitieren) I
Zitat von supplens am 7.1.15, 9:53... macht der Konj. Perfekt, der Ciceros Meinung wiedergibt, Sinn, meine ich ...

Nun ist es allerdings Cicero selbst, der Ciceros Meinung wiedergibt. Insofern kann man sich hier schlecht für einen obliquen Konjunktiv aussprechen wie z. B. bei dem Satz „Caesar questus quod, cum ultro in continentem legatis missis pacem ab se petissent, bellum sine causa intulissent.“, wo Caesar zwar auch über sich selbst, aber aus der Perspektive des scheinbar unbeteiligten Erzählers berichtet.

Dennoch halte ich inivideris ebenfalls für Konj. Perfekt. Laut Georges steht quod mit „Conj.: A) zur Angabe eines Grundes, [...] 2) insbes., nach den Verben, die einen gemütlichen Zustand od. eine daraus hervorgehende Äußerung bezeichnen, wie sich freuen, sich betrüben, loben, tadeln u. a.“, was allerdings noch keine Erklärung liefert, da man nach verba affectuum ebensogut quod mit Indikativ findet.

Evtl. lässt sich hier eine Deutung anwenden, die für das quod + Konj. in dem Satz „Saepe numero admirari soleo cum hoc C. Laelio cum ceterarum rerum tuam excellentem, M. Cato, perfectamque sapientiam, tum vel maxime quod numquam tibi senectutem gravem esse senserim“ (Cic. Cato 4) vorgebracht wurde, nämlich, dass der Konjunktiv polemischer Überhöhung dient.
https://archive.org/stream/studienzurlatein00ditt#page/161/mode/1up

Das Tempus erscheint mir unproblematisch. Das Perfekt kennzeichnet wie im dritten Satz darauf die Kontinuität des charakterlichen Niedergangs des Antonius, die nur vorübergehend aufgehalten wird: Quamquam bonum te timor faciebat, non diuturnus magister officii, inprobum fecit ea, quae, dum timor abest, a te non discedit, audacia.

Die Bedeutung des tibi invideris wird sich wohl wie bei Ovid „invidet ipsa sibi vitatque, quod expedit illi, | vestra soror summo concubuisse deo.“ (fasti 2, 591 f.) vom ursprünglichen „beneiden“ entfernt haben.

Schließlich kann man noch das Metrum als Indiz für einen Konj. Perf. und gegen einen Ind. Pass. Prs. werten: quod tibi invīdĕris bildet einen Dikretikus, q. t. invĭdēris einen (eher gemiedenen) Tritrochäus.
Re: Cicero - In M. Antonium orationes Philippicae
filix am 8.1.15 um 2:16 Uhr (Zitieren)
Der Neue Menge führt in §542 (quod nach verba affectum) unter 2) (Verben und Ausdrücke, die einen faktischen quod-Satz [auch mit Konj.] regieren können) für „aliquem miseret alicuius“ just die diskutierte Stelle Phil. 2,90 als einzige an. Das hilft nicht viel.

Die Überlegungen zur Bedeutungsverschiebung und Klausel finde ich überzeugend. Zum polemischen quod-causale: Wie soll hier der Konjunktiv funktionieren, der, folgt man der Auffassung im verlinkten Text, einmal Verres Auskunft als Ausrede brandmarkt, im anderen Falle das Unglaubliche an Catos Unbeschwertheit im Alter herausstellt? Etwa: „... dennoch Mitleid mit dir habe, weil du dir - man glaubt es kaum - <etwas> nicht gegönnt/<etwas> versagt hast“?
Re: Cicero - In M. Antonium orationes Philippicae
Kuli am 8.1.15 um 21:42 Uhr (Zitieren)
In der Tat, von einem polemischen Konjunktiv zu sprechen, erscheint hier nicht angemessen. Ebensowenig bei der Stelle aus dem Cato maior. Das hat wohl auch oben angeführten Armin Dittmar bewegt, in einem späteren Aufsatz eine andere Zuordnung vorzunehmen:

Hiernach beurteile man folgende Beispiele für den Depressivus. Cic. Cat. mai. 2, 4: Saepe numero admirari soleo cum hoc C. Laelio cum ceterarum rerum tuam excellentem, M. Cato, perfectamque sapientiam, tum vel maxime, quod numquam tibi senectutem gravem esse senserim, quae plerisque senibus sic odiosa est, ut onus se Aetna gravius dicant sustinere. Hier steht der Konjunktiv nicht, um anzudeuten, daß das senserim ‚aus dem Sinne‘ des Scipio gesprochen ist, nicht infolge einer ‚Art von Attraktion‘ oder von Oratio obliqua, sondern einzig und allein, um auszudrücken, daß Scipio es gar nicht verstehen, begreifen, fassen kann, daß er noch niemals eine derartige Beobachtung gemacht hat. Das ist ihm ein völliges Rätsel, um dessen Lösung er sich schon oft vergeblich bemüht hat. Miror, quod numquam ... senserim ist psychologisch etwa gleichwertig einem Qui fit, ut numquam ... senserim, und diese Konjunktive sind auf dieselbe seelische Depression zurückzuführen, wie wenn Scipio einen ‚indirekten Fragesatz‘ gebildet und gesagt hätte: Miror, cur numquam ... senserim.

https://archive.org/stream/neuejahrbcherf08leipuoft#page/274/mode/1up

Dittmar führt dazu ein Schema ein, demzufolge ein von einem Verbum affectus regierter A. c. i. einen „excitiven“ Affekt, ein Konjunktiv einen „depressiven“ Affekt und ein Indikativ einen „ataraktiven“ Zustand ausdrückt.

Zu klären wäre, ob die diesen drei Affekt-Modi beigelegten Interpretationen nicht zu dehnbar sind, gerade was die uns interessierende Gegenüberstellung von „Ataraktivus“ und „Depressivus“, also Indikativ und Konjunktiv, betrifft, um be- bzw. widerlegbar zu sein. Sprich: Es müssten Fälle ermittelt werden, in denen sich ein Indikativ nicht ebensogut als „Depressivus“ und ein Konjunktiv als „Ataraktivus“ deuten ließe.
Re: Cicero - In M. Antonium orationes Philippicae
Ailourofilos am 8.1.15 um 23:38 Uhr (Zitieren)
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Re: Cicero - In M. Antonium orationes Philippicae
Kuli am 9.1.15 um 15:50 Uhr (Zitieren) I
Ja, der Hinweis darauf, dass hier eine aus dem Griechischen übernommene Formenbildung vorliegen könnte, stützt nur die Bestimmung des invideris als Ind. Präs. Passiv. Das Hauptargument gegen diese These hat filix selbst genannt, nämlich dass ein persönliches Passiv von invidere in klassischer Prosa sonst nicht vorkommt. Ein weiteres Gegenargument liegt im Metrum. Gegen eine Bestimmung des invideris als Konj. Perf. Akt. spricht bislang, dass wir für den Konjunktiv keine befriedigende Erklärung finden konnten.

Ich komme letztlich zu der Vermutung, dass der Konjunktiv hier Erstaunen, Fassungslosigkeit, Entrüstung über den im Kausalsatz vermittelten Grund kennzeichnen soll. Der Sprecher distanziert sich vom Satzinhalt, indem er ihn in indirekter Rede widergibt. Ähnlich wird zuweilen im Deutschen verfahren.

Um alle Kronen möcht ich von dir mich nicht befreien, aber es ängstiget denn doch mich oft, daß du mir so unentbehrlich sein sollst, daß ich so gefesselt bin an dich; ... (Hölderlin: Hyperion)

Die Nachtigallen sangen folgenden Morgen so herrlich und so schmetternd, und ich wunderte mich, wie sie in der Nähe eines so konfiszierten Orts noch einen Ton anschlagen könnten. (Seume: Spaziergang nach Syrakus)

Ich dachte in meinem einfältigen Sinne, Verse müsse ja wohl jedermann machen können, und ich wunderte mich über mich selber, daß ich nicht schon früher auf die Dichtkunst verfallen sei. (Tieck: Franz Sternbalds Wanderungen)

Mit häuslichem Gefühle, in der Doppelmaske des Bergknappen und Fuhrmanns gleichsam zu Hause zu sein und nur wie aus zwei Mansardenfenstern zu gucken, trug er sich wie eine Sänfte über die Gasse und konnte es kaum glauben, daß er so herrlich ungesehen und zweigehäusig mit allen Seelen-Rädern überall vorbeigehe, wie eine Uhr in einer Tasche. (Jean Paul: Flegeljahre)


Entsprechend schlage ich als Übersetzung für den fraglichen Satz „quamquam mihi inimicus subito exstitisti, tamen me tui miseret quod tibi invideris.“ vor: „Obwohl du plötzlich feindselig gegen mich geworden bist, bedaure ich dich doch darum, dass du [die Chance zur Umkehr ausschlagend] dein eigener Widersacher geblieben sein sollst.“
 
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