Als überzeugter Epikureer :-) habe ich mich an die (teilweise) Uebersetzung von Lukrez gewagt. Nun habe ich etwas Mühe mit der Metrik des zweiten der folgenden Verse (der obere sollte stimmen, falls nicht, bitte gerne korrigieren); edita doctrina ist doch Ablativ, somit die Endungen lang, oder? dann geht mir das ganze aber nicht auf. Bitte um Hilfe eines Experten hier. Besten Dank schon mal!
Ralph
sed nihil dulcius est, bene quam munita tenere
- - ¦ - vv ¦ - v v¦ - - ¦ - v v ¦ - v
edita doctrina sapientum templa serena,
Re: Lucretius - De rerum natura
Ailourofilos nocturnississisissmus am 14.4.17 um 3:30 Uhr (Zitieren)
„Nihil“ sollte vv sein, eine Aphärese ist m. W. nur bei -um oder Vokal möglich. Also:
-vv/-vv/-[5]vv/--/-vv/-v
Nur doctrina ist Ablativ, edita gehört zu templa serena. Daher:
Das stimmt nicht. Die maßgeblichen Ausgaben haben nihil.
Der Vers geht schon auf, da nihil kurz-kurz ist = nĭhĭl.
Also der Anfang ist ganz korrekt sēd nĭhĭl.
Auf pedecerto kann man sich nicht immer verlassen. Es erkennt nihil nicht korrekt.
Wenn die Überlieferung hier die offene Form nihil bietet, so ist es am Leser, die Kontraktion zu vollziehen. (Es folgt ja nun einmal ein Konsonant und damit kommt pyrrhichische Messung nicht infrage.)
Danke, Kuli. Ich habe das folgende d nicht beachtet, sondern nur auf sed nihil geschaut. Konzentrationsfehler,oooh! Klingt plausibel, da in der Dichtung auch häufig das kontrahierte nil verwendet wird. Man muß die Kontraktion quasi im Sprechen des Verses durchführen.
Habe eine Mail an einen ehemaligen Dozenten der Uni Salzburg geschrieben. Er hat mir prompt geantwortet und bestätigt Kuli: Es gibt eine zweite Stelle bei Lukrez, Buch II, 673:
si nihil praeterea, tamen haec in corpore tradunt
in den Handschriften ist nihil überliefert, so dass es belassen wird. Kontraktion muß der Leser machen.
Guten morgen und danke erstmal für die lebhafte Diskussion!
Also bei nihil bin ich mir sicher, dass die beiden durch das h getrennten Vokale als eine Länge anzusehen sind (siehe auch Rubenbauer, Hofmann, Lateinische Grammatik). Das zweite I wäre auch positionslang, da geht dann nichts mehr auf, wenn die beiden I getrennt gesehen würden.
Bei „edita“ wurde ich übersetzungstechnisch tatsächlich auf eine völlig falsche Fährte geführt, da ich das mit „veröffentlicht, herausgegeben“ wirklich auf die Lehren der Weisen bezogen habe. Dass „editus“ auch hoch oder hoch emporragend heissen kann (und somit auf templa bezogen ist) wusste ich nicht. Einfach früher das Wörterbuch konsultieren! Aber wie gesagt, es schien mir in der Uebersetzung klar und somit bin ich nur „dank“ der Metrik und Ailourofilos nocturnississisissmus darauf gestossen.
Herzlichen Dank an ihn und die anderen!
Die Erscheinung ist ja weniger ein metrische, als eine der Schreibkonvention, der der Schreiber des Archetypus oder spätere Kopisten gefolgt sind. In umgekehrter Weise finden wir ja die Aphäresen bei Lukrez oft bereits im Text realisiert (wie z. B. fatendumst 1, 205), an anderen Stellen aber nicht (coniunctum est 1, 451).
Die Oxford-Ausgabe habe ich nicht. Tusculum (Holzberg et al.) 2013 nimmt anscheinend bewußt nihil und auch einige andere Autoren neueren Datums. Bailey ist relativ alt.
Eigentlich ist die Sache geklärt: Die Handschriften (MSS) haben nihil. Bailey korrigiert metrisch gleich auf nil. Kann man machen. Andere lassen die Überlieferung stehen.
Was ich immer noch nicht verstehe: wie die Oxford-Ausgabe, die sich doch eine kritische nennt - eine Textvariante unterschlagen kann. Daß die Ausgabe schon älter ist, kann das doch nicht erklären, denn sie ist ja gewiß nicht älter als die Handschriften.