Vorschlag einer genaueren und verständlicheren Übersetzung des oben gegebenen Zitats „In visione servus Dei supra se Serahim crucifixum adspexit, qui crucifixionis suae signa sic ei evidenter impressit, ut crucifixus videretur et ipse“:
In einer Vision hat der Diener Gottes (= Franziskus) über sich einen gekreuzigten Seraph erblickt, der die Zeichen seiner (= des Seraphs!) Kreuzigung ihm (= Franziskus) so sichtbarlich aufgedrückt hat, dass auch (!) er selbst (= Franziskus) als gekreuzigt erschien.
Re: Re: Legenda aurea - De sancto Francisco: Übersetzung
oder etwas freier:
In einer Vision sah der Diener Gottes über sich einen gekreuzigten Seraph, der die Stigmata seiner Kreuzigung so deutlich sichtbar auf ihn übertrug, dass er den Eindruck machte, als sei auch er selbst gekreuzigt worden.
Re: Re: Legenda aurea - De sancto Francisco: Übersetzung
Gerd Hagedorn am 27.10.18 um 14:38 Uhr (Zitieren) I
Meine gewollt textnahe Übersetzung bezieht sich allein auf den bei der Frage selbst vorgelegten ersten Text, in dem die Zuordnungen zum Teil ganz falsch sind und einzelne Übersetzungen ungenau. -
Könnten Sie sich etl. vorstellen, dass ich die Übersetzung von „evidenter“ in einem 800 Jahre alten Text absichtlich gewählt habe, um deutlich zu machen, dass es um mehr als „sichtbar“ geht? Sonst hätte der Verfasser ja auch das Adverb „visibiliter“ verwenden können. Er hat es aber eben nicht getan. Ein von mir hier mit Absicht und Überlegung gebrauchtes „altes“ deutsches Wort, das auch heute noch jeder auf Anhieb versteht, ist sicher kein Grund, mir den „Duden“ um die Ohren zu schlagen. Si tacuisses . . .
Re: Re: Legenda aurea - De sancto Francisco: Übersetzung
Das kann ich mir jetzt, nachdem sie es erklärt haben.
Der Hinweis auf den Duden sollte nur als Beleg dienen, dass es keine bloße Behauptung meinerseits ist. Ich kannte dieses Wort nicht, Es klingt komisch in einer ansonsten zeitgemäßen Wortwahl und Übersetzung.
Wenn sie sich dadurch gekränkt fühlen, bitte ich um Entschuldigung.
Re: Re: Legenda aurea - De sancto Francisco: Übersetzung
filix am 28.10.18 um 13:33 Uhr, überarbeitet am 28.10.18 um 14:24 Uhr (Zitieren) I
„Evidenter“ ist kaum ein Archaismus, weshalb also im Dt. ein solcher, der scheinbarlich Verwirrung stiftet, geläufigeren Ausdrücken, die das behauptete Surplus an Bedeutung in der Übersetzung bieten, vorgezogen werden soll, wäre erst einmal zu begründen. Die Brüder Grimm nennen übrigens für den Kandidaten „visibilis, aspectabilis“ bzw. dessen adverbiale Verwendung, welche schon zu Adelungs und Campes Zeiten aus der Mode gekommen sein dürfte, „visibiliter“ als lat. Pendant.
Re: Re: Legenda aurea - De sancto Francisco: Übersetzung
Offenbar wollen Sie mich nicht verstehen und unbedingt Recht haben. Bitte sehr! Ich halte übrigens „evidenter“ keineswegs für einen „Archaismus“ - und habe das auch nicht geäußert, wohl aber hielt ich bisher dafür die Methode, einem das Wort im Mund herumzudrehen. Auf diesem Niveau bin ich nicht bereit zu diskutieren.
„Quidquid recipitur, ad modum recipientis recipitur“!
Schade für ein solches Forum!
Re: Re: Legenda aurea - De sancto Francisco: Übersetzung
Klaus am 28.10.18 um 21:29 Uhr, überarbeitet am 29.10.18 um 6:07 Uhr (Zitieren)
Re: Re: Legenda aurea - De sancto Francisco: Übersetzung
Tinkerbell am 29.10.18 um 19:43 Uhr (Zitieren) III
Deine mangelhafte Lesekompetenz hast du ja bereits hinreichend unter Beweis gestellt, aber bitte: Hilfe kann gewährt werden. Nur gilt auch hier:
„dafür“ bezieht sich auf „für einen Archaismus“ im HS. Diese Wortgruppe wird von Lesern, die geistig in der Lage sind, Längeres als Twitter-Nachrichten zu verdauen, gedanklich eingefügt.
Re: Re: Legenda aurea - De sancto Francisco: Übersetzung
Re: Re: Legenda aurea - De sancto Francisco: Übersetzung
filix am 30.10.18 um 11:37 Uhr, überarbeitet am 30.10.18 um 20:01 Uhr (Zitieren) I
Nun, ich habe keineswegs behauptet, du hättest behauptet, „evidenter“ sei ein Archaismus. Wer jedoch, das war mein Einwand, unter der Voraussetzung, dass es im Lat. keiner ist, einen solchen insbesondere in eine „gewollt textnahe Übersetzung“ einführt, sollte, wenn er semantischen Zugewinn als Motiv geltend macht, begründen können, warum geläufigere Ausdrücke nicht wiederzugeben vermögen, was an Bedeutung dem Verwirrung stiftenden Kandidaten „sichtbarlich“ zugeschrieben wird. Andernfalls bleibt es im Dt. ein willkürlicher Archaismus, ohne dass dieser in seiner rhetorischen Funktion aus dem lat. Text gerechtfertigt wäre.
Die Rekonstruktion der Gebrauchsweise dieses Wortes scheint mir außerdem so einfach nicht, man kann nicht unbedingt davon ausgehen, dass ein heutiger Leser „auf Anhieb“ versteht, was es einmal bedeuten konnte und hier bedeuten soll. Das Derivationssuffix „-lich“ ist nicht nur vielseitig, sondern hat auch einen Wandel erfahren, der in die Auffassung eines zeitgenössischen Lesers Eingang findet.
Schon die Lexikographen des ausgehenden 18. Jhdts. registrieren, dass die adjektivische Verwendung des Kandidaten veraltet ist (und zwar zu einem Zeitpunkt, da der Anteil der Ableitungen durch besagtes Suffix, das von „-ig“ bzw. „-isch“ auf die Plätze verwiesen wurde, schon deutlich abgenommen hat und die Form mit zwei Suffixen identischer Funktion als pleonastisch empfunden wird). Bei Adelung liest sich das in der Diktion der Zeit so:
Bereits um 1800 versteht man also „sichtbarlich“ als nicht veraltet nur noch adverbial so wie in den bei Adelung angeführten Beispielen, d.h. nicht anders als heute „sichtlich“. Die resultativ prädikative Verwendung des Adjektivs in der Übersetzung hingegen, die offensichtlich durch den Konsekutivsatz favorisiert wird (aber einige Fragen bezüglich der Funktion von „evidenter“ in der Vorlage aufwirft), bringt in meinen Augen nicht nur einen Archaismus mit sich, sondern auch keinen semantischen Zugewinn, der die Annahme stützte, es gehe „um mehr als ‚sichtbar‘“.
* Es dauert nicht allzu lange, da vermelden die Gebrüder Grimm (bzw. ihre Bearbeiter), dass es:
Re: Re: Legenda aurea - De sancto Francisco: Übersetzung
Julian Eisenhardt am 1.12.20 um 21:40 Uhr (Zitieren)