Auf meiner Startseite (aphorismen.de) finde ich heute Folgendes:
Meide Gerüchte, damit du nicht für deren Urheber gehalten wirst: Niemandem schadet es nämlich, geschwiegen, aber einigen, gesprochen zu haben.
Disticha Catonis „Distichen Catos“, früher auch Dicta Catonis „Sprüche Catos“, lateinische Sammlung ethischer Vorschriften von unbekannter Autorschaft. Entstanden im 3. oder 4. Jhdt. n. Chr. Wurde dem älteren Cato zugeschrieben, weil sein Name den Inbegriff moralischer Autorität verkörperte.
Daraus ergab sich folgende Frage: Gibt es noch weitere antike Personen, die den Inbegriff von etwas verkörperten?
Z.B. Nero: das Böse?
Odysseus, der Listenreiche
Caligula, der wahnsinnige Caesar („Caesarenwahnsinn“)
Marc Aurel, der gute Herrscher
Judas, der Verräter
Kassandra, die Unglücksseherin
Nero, das „Tier“ der Apokalypse und der Prototyp des Christenverfolgers
usw.
Interessanterweise ist der einzige Heide, den Dante (entgegen des christlichen Dogmas, daß es außerhalb der Kirche kein Heil gebe) in seiner „Göttlichen Komödie“ dem Himmel zugeordnet hat, Cato der Jüngere (Uticensis), während seine ihm so nahestehenden Mit-Republikaner Cassius und Brutus am schlimmsten Ort der Hölle, im Maul Luzifers, angesiedelt werden: als Verräter. Das zu verstehen, also wofür er steht, ist eine Interpretationsaufgabe.
to be continued am 25.9.19 um 19:18 Uhr (Zitieren)
Drakon, der Strenge
Äneas, der Fromme
Lukrez, der Religionskritiker
Re: Person als Inbegriff von...
filix am 25.9.19 um 19:25 Uhr, überarbeitet am 25.9.19 um 19:27 Uhr (Zitieren)
Genau genommen ist Cato Uticensis so etwas wie der Türhüter des Purgatorio, er empfängt Dante und Vergil, als sie aus der Hölle kommen. Der andere „Heide“, der es auf den Läuterungsberg geschafft hat (und zwar ziemlich weit), ist der Dichter der Thebais. Das verdankt er neben kollegialer Wertschätzung wohl einer Legende, nach der er sich hat heimlich taufen lassen.
Der Autor der „Thebais“ ist Statius. Aufgrund von filix' Angabe kann er dann nicht im eigentlichen Sinne als Heide außerhalb der Hölle/ dem Inferno gelten - in Dantes Verständnis.
Daß Cato Uticensins „nur“ im Fegefeuer/Purgatorio auftaucht und nicht im Himmel/Paradiso, hatte ich falsch in Erinnerung.
Ansonsten finden sich jedenfalls alle Heiden in der Hölle wieder, weil sie ungetauft sind.
Umso bemerkenswerter ist Cato als Ausnahme. Das beantwortet freilich noch nicht die Frage, wofür er in christlicher Deutung steht, zumal er Suizid begangen hat, was wiederum als Todsünde galt.
Re: Person als Inbegriff von...
filix am 26.9.19 um 20:06 Uhr, überarbeitet am 26.9.19 um 20:11 Uhr (Zitieren)
Deshalb setzte ich ihn auch unter Anführungszeichen. Ähnliches gilt für den „Heiden“ Vergil, der von den Ungetauften als Dantes Führer eigentlich am weitesten vordringt (ohne allerdings bleiben zu dürfen), bis an die Schwelle des Paradieses nämlich, dessen heilstouristische Erschließung sozusagen Frauensache ist.
Dantes Darstellung von Cato Uticensis in De Monarchia 2,5, wo er ihn als severissimus tutor libertatis bezeichnet, der ein heiligmäßiges Opfer gebracht habe, scheint in den Versen „libertà va cercando, ch’è sì cara /come sa chi per lei vita rifiuta“, mit denen der Dichter Cato gegenüber charakterisiert wird, ein Echo zu finden. Es ist also vermutlich dieses politische Märtyrertum aus Dantes Sicht, das ihm Einlass verschafft hat.
Dantes „De Monarchia“ gibt die Aufklärung. Das verschafft mir die Motivation, einmal in diesen Reclam-Band (Lateinisch/Deutsch!*) hineinzuschauen.
Danke für den Hinweis.
Stentor leuchtet mir ein: Wie Maecenas und Drakon, wie Lucullus und Helena ist er als Prototyp für etwas in den über Griechenland hinausreichenden Sprachgebrauch eingegangen.
Das ist doch etwas anderes als „Homer, der Lehrer Griechenlands“. So haben ihn vor 100 Jahren die Griechischlehrer genannt. „Der blinde Seher“ etwa?
Sappho, die Lesbierin? (sapphische Liebe, schon etwas veraltet)
Zehn oder zwanzig Jahre nach dem 2. Weltkrieg konnte man jemanden als „Quisling“ bezeichnen und beleidigen, was heute vermutlich nicht mehr funktioniert, weil man den Quisling nicht mehr kennt.
Aber „Du Alkibiades!“ - hätte das jemals funktioniert?
filix am 30.9.19 um 0:38 Uhr, überarbeitet am 30.9.19 um 0:57 Uhr (Zitieren)
Cicero, der Redner.
Ephialtes, der Verräter.
Herostratos, der Verbrecher aus Geltungsdrang.
Sagen wir: ging einmal.
Der enttäuschte Canetti über Karl Kraus: „Welch ein Thersites! Welch ein Goebbels im Geiste!“
„Voltaire, „der von jeher Profession machte, alle Majestäten zu lästern“, hat sich an ihm als ein echter Thersites erwiesen." (Emil Ermatinger)
„PV-Mitglied Arndt, von der CDU oftmals “Jakobiner„, von Innenminister Schröder ein “Thersites„ genannt, ergänzte Mommers Kritik sogar um das Monitum, die Redakteure hätten den Kanzler Konrad Adenauer gegen den Anwurf des Sowjetdiktators Nikita Chruschtschew in Schutz nehmen müssen.“ (Der Spiegel 25/1959)
Herostrat - wie konnten wir den vergessen!
Herostrat macht zugleich anschaulich, warum Homer nicht in diese Reihe gehört: er ist kein Prototyp, nicht auf andere übertragbar. Man sagt nicht: „X ist ein Homer! Ein Homer der Niederlande!“
aber sicher doch!
Ephialtes, Alkibiades, Ariadne aber nicht. Aristides, der Cunctator, Heraklit, Leonidas, Lukrez, Proteus auch wohl eher nicht: sie sind zwar mehr oder weniger bekannt, taugen aber (heute) nicht als Antonomasie.
Es fehlen noch: Herkules, Krösus, evtll. Demosthenes.
Herkules und Krösus gehören sicher hinein, die nehme ich dankend in die Liste auf.
Gegen Ephialtes und Alibiades bin auch ich. Ariadne habe ich für mich im Hinblick auf den Faden akzeptiert. Über Aristides, den Cuncator, Heraklit, Leonidas und Lukrez kann man streiten bzw. sie sind zweifelhaft.
An die Gewohnheit, jemanden einen Proteus zu nennen, kann ich mich zumindest noch erinnern.
„Er ist ein Homer“ aber habe ich noch nie gehört. Gibt es - wie bei filix - Belege?
Jemanden als Ephialtes zu bezeichnen, war auch einmal so unüblich nicht
Re: Person als Inbegriff von...
filix am 30.9.19 um 12:42 Uhr, überarbeitet am 30.9.19 um 12:44 Uhr (Zitieren)
Das war keineswegs ironisch gemeint. Es handelt sich um ein bisweilen Victor Hugo zugeschriebenes Lob für den Nobelpreiskandidaten Fabre, dessen glänzende Beschreibungskunst man in den zehn Bänden der Erinnerungen eines Insektenforscher, die bei Matthes & Seitz erschienen sind, studieren kann (Der größte Entomologe der deutschen Literaturgeschichte Ernst Jünger ist zu seiner damals völlig verfallenen Wirkungsstätte gepilgert).
Re: Person als Inbegriff von...
filix am 30.9.19 um 12:53 Uhr, überarbeitet am 30.9.19 um 12:55 Uhr (Zitieren)
Proteus ist in den Auseinandersetzungen um die Wandelbarkeit gewisser Teilnehmer auch in diesem Forum schon mehrmals gefallen:
Eine Vossianische Antonomasie[3] ist dagegen eine erst in der Neuzeit als Spezialform der Antonomasie betrachtete Trope, bei der umgekehrt ein Eigenname eine Gattungsbezeichnung ersetzt,[4] etwa Shakespeare für Dichter (oder großer Dichter). Dieser mit der Synekdoche verwandte Gebrauch reduziert eine eigentlich gemeinte charakteristische Eigenschaft, Funktion oder Sache auf deren allgemein bekannten Repräsentanten.[4] Dabei muss klar sein, dass jemand beispielsweise als Verräter bezeichnet werden soll, wenn er „Judas“ genannt wird.
Teilweise kam die Figur der Vossianischen Antonomasie schon in der Antike vor. So nannte der Stoiker Panaitios von Rhodos Platon den „Homer der Philosophie“, der römische Kaiser Severus Alexander bezeichnete Vergil als den „Platon der Dichter“ (Wikipedia)
Es war nicht ganz klar, ob wir nach Eponomasien oder nach dieser Variante der Antonomasien fahndeten.
@ Graecule: Meinem Textverständnis nach ist Thersites jedoch weder Demagoge noch angeberischer Feigling, ein Feigling nun gerade nicht. Die vorgebrachte Kritik ist sehr berechtigt, auch wenn Homer ihn sie kreischen lässt und sein äußeres Erscheinungsbild nicht vorteilhaft ist: hässlich, schielend, hinkend, Glatze und Buckel. Glaubhaft ist diese Schilderung nicht, wie will denn ein so wenig wehrtauglicher Mann neun Jahre vor Troja überlebt haben? Diffamiert und verprügelt wird er natürlich wegen des Verbrechens, Agamemnon als Führer zu kritisiert zu haben.
Danke, Mitleser und alle Beteiligten, dass das Forum wieder funktioniert. Hoffentlich kein Feuer aus Bärlappmehl.
Und, hurrah, filix ist wieder da.
Ich habe den Thersites so in Erinnerung, daß er neben einigem anderen die Griechen zum Rückzug von Troja überreden will. So kam ich auf den Demagogen und Feigling.
Besserer Vorschlag?
Die Frage ist aber auch, in welcher Bedeutung der Begriff in den von filix genannten Fällen gebraucht worden ist, d.h. welche rhetorische Funktion hat er übernommen?
Ja, es ist schön, daß wenigstens einmal wieder dieses Forum so spannend und produktiv geworden ist, wie es früher oft war.
Ja, es ist mir eine große Freude, dass das Forum ein Wiederauferstehen verspricht. Ich hoffe, ich hoffe.
Und, Graeculus, meine Äußerung sollte keine Kritik an Dir sein. So, wie Du es sagst, ist eben der sprichwörtliche Thersites. Nur gibt m.E der Text es so nicht her, sieht man von der Schmähkritik Homers am Erscheinungsbild des Thersites ab. Aber das ist ja durch „Homer“ selber durch den Link korrigiert worden: Wer solch eine Kritk äußert, ist eben „hässlich“.
Sachlich lässt sich gegen Thersites´ Rede meiner Meinung nach nun gar nichts sagen.
Agamemnons Führungssschwäche und Verlogenheit ist in dem Zusammenhang überdeutlich. Homer ist eben üblicherweise kein Schwarzweißmaler, seine Helden haben alle ihre schlimmen Seiten.
Thersites wird einfach niedergeknüppelt. Ein Feigling ist er gar nicht, das ist Agamemnon, der sich nicht traut, sich der von ihm angerichteten Situation zu stellen.
Dies ist ein Versuch der Ehrenrettung des Thersites.
Was sagen die Gräzisten dazu?