Latein Wörterbuch - Forum
Verwirrende Inschrift — 888 Aufrufe
(Gast) am 9.12.20 um 18:56 Uhr (Zitieren)
Hallo.
Ich bin momentan Erstsemester-Student für Geschichte, genauer gesagt Alte Geschichte, und würde gerne eine Inschrift (ILS 5703) übersetzen, die aber einige seltsame Konstruktionen enthält, genauer gesagt, ein etwas seltsames Gerundivum und einige Sätze, die scheinbar kein Subjekt haben.
Die gesamte Inschrift (auf den Konstantinsthermen in Rom) lautet:

" Petronius Magnus Quadratianus vir clarissimus praefectus urb. constantinias thermas longa incuria et abolendae civilis vel potius feralis cladis vastione vehementer adflictas;
ita ut agnitionem sui ex omni parte perdita desperationem cunctis reparationis adferrent,
deputato ab amplissimo ordine parvo sumptu, quantum publicae patiebatur angustinae, ab extremo vindicavit occasu et provisione largissima in pristinam faciem splendoremque restituit."


Meine eigentlich gar nicht so schlechten Lateinkenntnisse (plus Wörterbuch) haben mir leider nicht dabei geholfen, die Inschrift völlig zu entschlüsseln.

Also meine bisherigen Übersetzungsversuche ergeben bisher Folgendes:
„Petronius Magnus (etc.), ein erhabener Mann und illustrer Präfekt hat der Stadt die Konstantinsthermen, welche durch lange Vernachlässigung und die Verwüstung (vastatione?) zerstört wurden, zum Beenden des öffentlichen oder vielmehr todbringenden Schadens, (repariert).“

Das eigentliche Prädikat steht ja erst viel später, daher habe ich es in Klammern gesetzt. Mich stört an diesem Satz erstens das Gerundivum, dass ja einen Zweck angeben sollte; gemäß der KNG Kongruenz müsste es sich auf das „cladis“ beziehen, welches dann im Genitiv stünde. Damit reiße ich aber das „vastitione“ aus dieser Wortreihe heraus und übersetze es auf eine Weise, die vom Satzbau her ja eher vermuten ließe, dass es neben den Ablativen vorher steht (wobei der Satzbau im Latein ja sowieso etwas chaotisch sein kann). Auch das „potius“ stört mich, weil ich einfach nicht weiß, wie ich es übersetzen soll. Davon abgesehen ist „vehementer vastatione adflicta“ inhaltlich ziemlich unnötig, „durch Zerstörung beschädigt“ ist irgendwie redundant.

Danach der zweite Halbsatz: (ab „ita ut...“)
„damit sie Anerkennung jeder seiner Wiederherstellungen aus jedem verlorenen Teil bringen.“

Diese Übersetzung ist sogar noch viel schlimmer. Es gibt wirklich kein Wort hier, das mich nicht verwirrt. Die Kombination „Ita ut“ ist mir nicht bekannt; das aus dem Kontext gerissene „sui“ hat mich auch etwas aus dem Konzept gebracht („die Seinen?“ für das fehlende Subjekt?) bevor ich beschlossen habe es auf die Anerkennung zu beziehen. „Referrent“ passt zeitlich auch nicht in den Satz, wenn ich mich nicht irre; meine Übersetzung geht eher von Nachzeitigkeit der Verben aus. Außerdem fehlt ein eindeutiges Subjekt. Die Ablative „ex omni parte perdita“ verstehe ich auch nicht ganz, ich vermute, dass gemeint ist, dass jeder verlorene Teil wiederhergestellt wird, aber in der Grammatik des Satzes spiegelt sich das nicht so richtig wieder. Zuletzt ist da der völlig isolierte Akkusativ „desperationem“, den ich einfach ignoriert habe, weil er nicht in mein Konzept passt.

Um ehrlich zu sein habe ich den Rest noch gar nicht versucht, da ich da eine ziemlich gute Übersetzung bereits gefunden habe, aber grammatikalisch habe ich ihn ebenfalls nicht wirklich verstanden. Nur den letzten Satz (die Thermen bekommen ihr Erscheinungsbild und igren Glanz wieder) könnte ich mit Sicherheit übersetzten.

Danke im Voraus!
Re: Verwirrende Inschrift
adiutor am 9.12.20 um 19:42 Uhr (Zitieren)
Das ist mir zu schwer, warte auf einen wahren Lateiner.
Re: Verwirrende Inschrift
anti-spam am 9.12.20 um 19:51 Uhr (Zitieren)
adiutor am 9.12.20 um 19:42 Uhr (Zitieren)
Das ist mir zu schwer, warte auf einen wahren Lateiner.
Re: Verwirrende Inschrift
corrector am 9.12.20 um 20:06 Uhr (Zitieren)
Die Wiedergabe enthält Fehler:
agnitionem agnitione
angustianae angustiae
Re: Verwirrende Inschrift
Omega am 9.12.20 um 22:16 Uhr (Zitieren) I
Das lässt sich sinnvoll nur frei übersetzen:

Der hochangesehene Mann und Stadtpräfekt Petronius Magnus Quadratianus hat die Konstantinsthermen, welche durch lange Vernachlässigung und Verwüstung zu beseitigender ziviler oder vielmehr unzivilisierter Untat so stark in Mitleidenschaft gezogen worden waren, dass ihre Reparatur, da sie von allen Seiten nicht mehr wiederzuerkennen waren (wörtlich: ihr Wiederkennen von allen Seiten verloren war), allgemein hoffnungslos erschien (wörtlich: bei allen die Hoffnungslosigkeit der Reparatur hervorrief) mit vom bedeutendsten Stand (d.h. vom Senat) bestimmten so geringen Kosten, wie sie die Knappheit öffentlicher Mittel erlaubte (wörtlich: insoweit öffentliche Mittellosigkeit sie duldete), vor dem Äußersten bewahrt und mit höchst freigiebiger Fürsorge in alter Gestalt und Pracht wiederhergestellt.
Re: Verwirrende Inschrift
Omega am 9.12.20 um 22:33 Uhr (Zitieren)


sui“ hat mich auch etwas aus dem Konzept gebracht („die Seinen?“ für das fehlende Subjekt?)


Hier steht sui als Genitivus obiectivus bei (korrekt) agnitione. Da in dieser Verwendung der Genitiv des Reflexivpronomens genus- und numerusindifferent ist, kann sich sui auch auf die Thermen beziehen. Es heißt also nicht agnitione suarum.

Re: Verwirrende Inschrift
h s am 10.12.20 um 7:39 Uhr (Zitieren)
cladis = Beschädigung, Schäden
Ich würde es so verstehen:
und infolge von Verwüstung durch Schäden, die Bürger/die Bevölkerung oder vielmehr
noch Wilde/Barbaren angerichtet hatten und beseitigt werden mussten,
arg ramponiert waren, sodass, weil ein Wiedererkennen in jeder Hinsicht unmöglich
gemacht worden war, ...

Zwei Erwähnungen der Thermenanlage in antiken Quellen finden sich bei Aurelius Victor[2], und bei Ammianus Marcellinus[3]. Der von ihm angesprochene Versuch einer Brandstiftung gehört ins Jahr 367. Eine weitere Beschädigung mag während der Besetzung Roms durch die Westgoten des Heerkönigs Alarich I. im August 410 vorgekommen sein. .


ab extremo vindicavit occasu

vor dem völligen Verfall (occasu) rettete
Re: Verwirrende Inschrift
Omega am 10.12.20 um 10:10 Uhr (Zitieren)
clades ist auch der Schaden, das Unheil oder Unglück, das Menschen absichtsvoll anrichten, daher eā clade, Verheerung, Liv.: neque ulla praetermissa clades (Untat) est, Liv.: (Georges).
Die Frage ist auch, ob vel hier nicht schon wie nicht selten in der Spätantike et bedeutet.

occasu habe ich in der Tat überlesen
Re: Verwirrende Inschrift
(Gast) am 10.12.20 um 14:04 Uhr (Zitieren)
Danke für all die Antworten!
Erst einmal möchte ich mich für die Übertragungsfehler entschuldigen, es heißt natürlich angustiae und nicht „angustinae“, und statt agnitionem sollte da auch agnitione stehen (wobei das auch in der Originalinschrift genauso dasteht, im Akkusativ).

Zitat von Omega am 9.12.20, 22:16Das lässt sich sinnvoll nur frei übersetzen:

Der hochangesehene Mann und Stadtpräfekt Petronius Magnus Quadratianus hat die Konstantinsthermen, welche durch lange Vernachlässigung und Verwüstung zu beseitigender ziviler oder vielmehr unzivilisierter Untat so stark in Mitleidenschaft gezogen worden waren, dass ihre Reparatur, da sie von allen Seiten nicht mehr wiederzuerkennen waren (wörtlich: ihr Wiederkennen von allen Seiten verloren war), allgemein hoffnungslos erschien (wörtlich: bei allen die Hoffnungslosigkeit der Reparatur hervorrief) mit vom bedeutendsten Stand (d.h. vom Senat) bestimmten so geringen Kosten, wie sie die Knappheit öffentlicher Mittel erlaubte (wörtlich: insoweit öffentliche Mittellosigkeit sie duldete), vor dem Äußersten bewahrt und mit höchst freigiebiger Fürsorge in alter Gestalt und Pracht wiederhergestellt.


Wow. Das ist eine wirklich großartige Übersetzung, ich verneige mich in Ehrfurcht. Zugegebenermaßen macht der Ablativ bei agnitione/m das ganze etwas einfacher, aber „ex omni parte“ und „desperationem“ hätte ich trotzdem niemals so übersetzen können, das ergibt so wirklich viel mehr Sinn. Von dem Genitivus obiectivus und der Numerusindifferenz von sui habe ich noch nie gehört, ich denke, das werde ich wohl nacharbeiten müssen; aber davon abgesehen kann ich den Text jetzt sogar auch auf grammatikalischer Ebene nachvollziehen (Was mich zugleich auch ein wenig beruhigt, mit „agnitione“ hätte ich den zweiten Satz vielleicht sogar verstehen können, ich hab also nicht alles aus meinem Einser-Latinum verlernt...).

Eine Frage noch zum Gerundivum im ersten Satz: Wie genau ist der zu verstehen? In der obigen Übersetzung kann ich nicht ganz erkennen, wie der sich in den Rest des Satzes einfügt. Ich hatte es so verstanden, dass das Gerundivum die Absicht der Reparatur angibt, also „er hat es wieder hergestellt, um die zivile oder unzivilisierte Untat zu beseitigen“. Habe ich das so richtig verstanden?
Re: Verwirrende Inschrift
Omega am 10.12.20 um 14:24 Uhr (Zitieren)
Ja, ich denke abolendae steht als wertendes Attribut (wie intolerandus oder dergleichen) bei cladis, um auszudrücken, dass durch die Beseitigung der Spuren dieser Untaten oder Verheerungen, die römische Bürger und/oder (noch) eher Barbaren angerichtet haben, diese selbst getilgt werden sollen. Das sind also nicht einfach ästhetische Mängel am Bauwerk.

Die Regeln für die Verwendung des Genitivs des numerus- und genusindifferenten Reflexivpronomens stehen bei MBS im § 83.
Re: Verwirrende Inschrift
h s am 10.12.20 um 14:38 Uhr (Zitieren)
thermas longa incuria et abolendae civilis vel potius feralis cladis vastione vehementer adflictas;
cladis abolendae hängt als Genitivattribut von vastatione ab:
durch die Verwüstung (aus) der zu beseitigenden zivilen oder ... Untat stark beschädigten ...
 
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