Salve,
in einem Uni-Skript zum Gerundium stehen folgende Sätze:
ars legendi
ars diligenter ligendi
ars libros diligenter ligendi
ars bonos libros diligenter ligendi
intuitiv würde ich meist übersetzen: die Kunst des sorgfältigen Lesens (von) guten Büchern. Jedoch verstehe ich nicht, warum bonos libros als Acc. und nicht als Gen. steht (bonorum librorum). Eine andere klassische wörtliche Übersetzung des Gerundiums als Verbalsubstantiv funktioniert in beiden letzten Fällen wohl wenig .. ich frage mich einfach, ob das grammatikalisch Sinn macht bzw. eher ein gerundivum (attributiv) zu bevorzugen wäre?
beste Grüße
Re: Gerundium-Problem
hs35 am 6.5.25 um 17:20 Uhr, überarbeitet am 6.5.25 um 17:37 Uhr (Zitieren)
Das ist die wörtliche Übersetzung.
In Dt. sagt man besser: die Kunst sorgfältig zu lesen = die sorgfältige Lesekunst,
die Kunst der sorgfältigen Lektüre
Das Gerundium ist der substantivierte/deklinierbare Infinitiv
libros legere = das Bücher-Lesen, Nom. + Akk.
libros legendi = des Bücher-Lesens, Gen.
libros legendo = dem Bücher-Lesen, Dat.
libros legendo = durch das Bücher-Lesen, Abl.
Das Objekt wird unverändert mitgeschleppt beim Gerundium.
Anders ist es beim Gerundiv = Verbaladjektiv
Hier wird die nd-Form wie ein Adjektiv an das Nomen oder Pronomen
angepasst nach der KNG-Regel.
Statt libros legendi kann man gleichbedeutend sagen : librorum legendorum
Hier wird das Gerundium bevorzugt, weil librorum legendorum schwerfällig klingt
im Genitiv Plural, der aber auch vorkommt.
PS:
ars bonos libros diligenter legendi = die Kunst des sorgfältigen Lesens guter Bücher
= die Kunst, gute Bücher sorgfältig zu lesen
(wörtl.; die Kunst des die-guten-Bücher-sorgfältig-Lesens)
Hier gibt es im Dt. Abweichungen vom Lat.
Folge deinem dt. Sprachgefühl!
Vielen lieben Dank hs, das hilft mir enorm weiter. Gerade bei Retroversionen deutscher Infinitve verliere ich mich doch manchal zu sehr in der Theorie der Gerundialia…
„Und Aeneas schien die Weisungen der Götter, ein neues Troia zu gründen, vergessen zu haben.“
Atque Aeneas mandata deorum [Troiam novam condere / ad Troiam novam condendam / Troiae novae condendi / Troiae novae condendae] oblivisci visus est.
Bei einem NcI (videre) bin ich mir unsicher, ob er zwei bloße Infinitve binden kann (oblivisci + condere). Bei den Gerundialkonstruktionen könnte ich mich schwer entscheiden ...
Re: Gerundium-Problem
hs35 am 7.5.25 um 11:47 Uhr, überarbeitet am 7.5.25 um 11:48 Uhr (Zitieren)
Möglich ist beides:
Atque Aeneas deorum mandata
-Troiam novam condendi (Gerundium)
- Troiae novae condendae (Gerundiv) oblitus esse visus est/videbatur.
oblitus esse, weil vorzeitig (vergessen zu haben)
Der Gen. wird gerne vorangestellt: deorum mandata
Beim Gerundium behält das Objekt den Casus, den das Verb regiert, condere + Akk.
Du darfst beides nicht „mischen“. Denke an die Kongruenz beim Gerundiv!
Nebenbei:
Nach mandatum könnte auch der Infinitiv stehen ( wie bei consilium )
dabit mandata reverti (Ovid)
consilium m. folg. Infin. (s. Fabri Sall. Cat. 4, 1 u. Liv. 21, 63, 2),
zB. ibi Pomptinium exspectare,
oblivisci kann auch mit Gen. rei bei Sachen konstruiert werden:
I) eig., m. Genet., temporum suorum, Cic.: numquam noctis illius, cum etc., Cic.: controversiarum ac dissensionis, Caes.: offensarum, Tac.: oblivisci sui non sinere (v. einer Gabe), Sen.: o nimium nimiumque oblite tuorum, Ov.: meminens naturae et professionis oblitus, Sidon. epist. 4, 12, 1. – m. Acc. rei, iniurias, Cic.: haec tam crebra Etruriae concilia, Liv.: velut aliquid oblitus, als hätte er etwas vergessen (mitzunehmen), Liv.: ut alia obliviscar, anderes zu vergessen (als Parenthese), Cic. – m. Acc. pers., semet, Acc. tr. 190: Ulixem, ibid. 488: deum
Noch einmal vielen lieben Dank hs. Du hast meinen Denkknoten endlich lösen können: Der Kasus des Objekts wird durch das Verb, nicht durch das Gerundium ausgelöst --> Gerundium ist eine „zugabe“. Ich hatte damit immer Probleme, weil ich aus dem Deutschen herausgedacht habe (wie oben mit den Büchern!). Danke!
Hast du Latein studiert oder dir autodidaktisch angeeignet?