Latein Wörterbuch - Forum
Caesars Todesschrei — 2190 Aufrufe
Graeculus am 20.11.08 um 12:16 Uhr (Zitieren)
Von den letzten Worten Jesu am Kreuz überliefern die vier Evangelisten drei verschiedene Versionen.
Johannes 19,30: tetelestai – consummatum est.
Lukas 23,46: pater, eis cheiras sou … - Pater, in manus tuas commendo spiritum meum.
Matthäus 27,46 und Marcus 15,34: Eloi Eloi lama sabachthani – Deus meus, deus meus, ut quid dereliquisti me?
Da ja nun nur eine Version die wirklichen letzten Worte Jesu wiedergeben kann, entscheide ich mich für die Matthäus-Marcus-Version, weil sie 1. nicht nach nachträglicher theologi-scher Aufwertung riecht und 2. in aramäischer Sprache spricht – der tatsächlichen Sprache Jesu. Es ist dies anscheinend überhaupt die einzige Stelle des NT, an der Jesus aramäisch zitiert wird.
Ich denke einfach, daß ein Mensch in höchster Todesnot in seine Muttersprache verfällt. Und wenn hier – nur hier! – ein aramäisches Wort Jesu zitiert wird, dann halte ich das für authen-tisch.

Und das bringt mich nun zu meinem eigentlichen Problem: den letzten Worten Caesars.
Auch diese Szene seiner Ermordung wird in einem Punkt ganz verschieden überliefert:
Titus Livius und Velleius Paterculus berichten nichts von irgendwelchen letzten Worten.
Plutarch erwähnt zwar vorher einen an den Mörder Casca gerichteten Satz, schreibt aber, als Caesar Brutus unter seinen Mördern erkannt habe, habe er sein Gesicht mit der Toga verhüllt … und nichts gesagt.
Sueton schreibt es ebenso, erwähnt aber die Version einiger Autoren: „… etsi tradiderunt quidam Marco Bruto irruenti dixisse: kai sy teknon;“ Und so berichtet es auch Cassius Dio.
Dieses „Auch du, mein Kind?“ ist ja nun sehr berühmt. Aber es fällt – nicht bei Cassius Dio, weil er durchgängig griechisch schreibt, jedoch bei Sueton – auf, daß der Text hier plötzlich vom Lateinischen ins Griechische wechselt.
Nun frage ich mich, wie wahrscheinlich es ist, daß Caesar im Moment seiner Ermordung … in eine Fremdsprache verfällt. Zwar ist mir bewußt, daß gebildete Römer Griechisch spra-chen, aber 1. hat Caesar dies ja nicht so extrem praktiziert, sondern seine Werke in Latein verfaßt, 2. kommt es mir gerade in dieser Situation, in extremis also, nicht nachvollziehbar vor.
Daher halte ich dieses so berühmte Zitat für nicht authentisch – aus dem gleichen Grund, aus dem ich im Falle Jesu die Matthäus-Marcus-Überlieferung für authentisch halte.
Als weiteres Argument hinzufügen kann man, daß sowohl Sueton als auch Cassius Dio dies als eine Überlieferung unter anderen nennen, ohne sich damit zu identifizieren.

Wie wird diese Auffassung hier beurteilt – falls sich jemand dafür interessiert?
Re: Caesars Todesschrei
Christian am 20.11.08 um 12:57 Uhr (Zitieren)
Interessantes Thema, ich halte es auch für unwahrscheinlich, dass Caesar seinen letzten Worte in einer Fremdsprache gesprochen haben soll, jedoch bin ich mir nicht darüber im klaren, ob es für ihn wirklich eine „Fremdsprache“ war, oder ob im das Griechische nicht so in Fleisch und Blut übergegangen ist, dass er den Sprachwechsel selbst nicht mehr als solchen bemerkte. Jedoch scheint es mir wahrscheinlicher, dass es sich um eine Erfindung handelt. Welcher der Geschichtsschreiber, waren denn bei Caesars Ermordung anwesend und könnte den Ausruft tatsächlich gehört haben? Ich habe mich damit nicht beschäftigt, aber ich vermute mal keiner. Gehe ich recht mit dieser Annahme, so liegt vorerst nur eine mündliche Überlieferung vor. In wie weit diese bewusst und unbewusst modifiziert wurde bis die Geschichte zum erstenmal niedergeschrieben wurde, lässt sich schwerlich nachvollziehen. So bleibt leider, dem kritischen Historiker von heute, bloß übrig festzustellen, Caesar wurd ermordet. Je mehr man aber ins Details gehen will, umso unsicherer und vermutlich falsch ist die Überlieferung. Das mag zwar frustrierend sein, entspricht aber dem aktuellen Stand der Forschung zur Problematik von erzählenden Quellen. Hierzu kann ich dir, da du ja Bücher magst, folgendes zum Lesen empfehlen:

Fried, Johannes, Der Schleier der Erinnerung. Grundzüge einer historischen Memorik. München 2004.

Fried, Johannes, Erinnerung im Kreuzverhör. Kollektives Gedächtnis, Albert Speer und die Erkenntnis erinnerter Vergangenheit, in: Hein, Dieter/Hildebrand, Klaus/Schulz, Andreas (Hrsg.), Historie und Leben. Der Historiker als Wissenschaftler und Zeitgenosse. Festschrift für Lothar Gall zum 70. Geburtstag. München 2006, S. 327–357.
Re: Caesars Todesschrei
Thalia am 20.11.08 um 19:38 Uhr (Zitieren) I
Auch ich bin nicht der Meinung, dass Cäsar vor seinem Tod noch diese berühmten Worte sprach. Für eher wahrscheinlich ist wohl die andere Version von Sueton: Cäsar sei so verletzt gewesen, dass er nicht mehr zu sprechen fähig gewesen sei. („atque ita tribus et uiginti plagis confossus est uno modo ad primum ictum gemitu sine uoce edito“)
Re: Caesars Todesschrei
Lateinhelfer am 20.11.08 um 19:44 Uhr (Zitieren)
Bei seiner Ermordung soll Caesar auf Griechisch seine berühmten letzten Worte an Brutus, dem er trotz aller politischen Unterschiede eine Art väterlicher Freund gewesen war, gerichtet haben: καὶ σὺ τέκνον (kaì sy téknon, „Auch Du, mein Sohn“). Vermutlich waren aber seine Verletzungen durch die zahlreichen Dolchstiche so schwer, dass er nicht mehr fähig war zu sprechen (vgl. Suet. Caes. 82, der beide Versionen liefert). (Auszug aus Wikipedia)

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