Hier wird das genus naturale (natürliches Geschlecht) lateinischer Substantive abgehandelt.
In den meisten Fällen bestimmt die Endung und Deklinationsklasse eines Substantivs das Geschlecht (genus grammaticale wie im Deutschen auch). Bei einigen Substantiven richtet sich das Geschlecht aber nach der Bedeutung.
Danach sind im natürlichen Geschlecht masculinum:
Männer (Cato, pirata, latro); Völker (Persæ, Spartiatæ) und Gruppen mit mindestens einem Mann (parentes, Atreidæ, auch homo) - nicht aber 'das Volk, Leute, die Menge' (civitas f., vulgus n.), Truppenteile und ähnlich 'gesichtslose' Massen;
Flüsse mit Ausnahme der Marne (Matrona, -ae f.) und anderer mit ausnahmsweise weiblicher Flussgottheit, nicht notwendig aber Bäche und Flüsschen (Allia f.) ohne Gottheit;
Winde (Boreas, Zephyrus, Aquilo, Nothus, Argestes, Apeliotes usw.);
Monate (Aprilis, mensis usw.);
Berge (collis, mons, Ararat; nicht notwendig Gebirge);
die meisten starken und wilden Tiere (falls nicht gerade Weibchen; canis, aries, leo, draco);
die Sonne und andere 'masculine' Himmelskörper
femininum:
Frauen (Callipygus f. die Venus);
die meisten Bäume (arbor; quercus „Eiche“, populus „Pappel“, aber ausnahmsweise acer, aceris n. Ahorn);
Quellen;
Städte (Corinthus), aber nicht notwendig Dörfer und Marktflecken, auch manche fremdländischen Städte nicht (die haben ja sowieso keine anständige Stadtgottheit…);
- masculine Städte kommen auch vor; das ist ein häufiger Fall bei Orten, die nach dem Volk heißen, das darin wohnt: Parisii,-orum m. (Volk!) die Pariser und daher der Ort Paris. (Die Stadt hieß dann später Lutetia.) -
Erde, Länder, Gegenden und Inseln (Cyprus, Aegyptus, auch humus und tellus);
Schiffe,
der Mond und andere 'feminine' Himmelskörper, insbesondere viele lateinische Namen von einzelnen Sternen, vor allem, wenn sie Adjektive sind (z.B. Mira, Proxima, Vindemiatrix), meist nicht aber fremdländische Sternnamen,
Zeitpunkte (dies f. „Termin“, idus, Kalendae, Nonae), wohl aus religiösen Gründen.
neutrum:
Substantive, die nicht dekliniert werden können (fas, nefas, nihil , griechische Buchstaben wie alpha, delta (dies auch „Nildelta“));
- nihil, nil gilt als nicht deklinierbar; es bildet ja die fehlenden casūs von nulla res. Allerdings ist der Genetivus pretii nihili „nichts (wert)“ und der Ablativus mensurae nihilo „um nichts“ belegt.?? Nachdem sogar der Akkusativ nihilum oder nilum belegt ist, mögen diese Formen von einem deklinierbaren Substantiv nihilum, -i n. „das Nichts“ herrühren. -
Infinitiv und Gerundium wie amare, amandi…: das Lieben, des Liebens [ACHTUNG: Sie führen im Normalfall keine Adjective, sondern Adverbien mit sich! Das Geschlecht sieht man an Relativpronomina usw.];
substantivierte Wortformen aus anderen Wortklassen (salve lætum „fröhliches Willkommen“, VII (septem) rubrum „rote Sieben“)
Im Zweifelsfall siegt das natürliche Geschlecht über das grammatische (anders als im Deutschen, wo 'das Mädchen') und dann masculinum über femininum und Person über neutrum:
Alecto indeclinabel femininum die Furie Alecto, Engonnasin indeclinabel masculinum „der Kniende“ (das Sternbild Hercules), Ararat indeclinabel masculinum der Berg Ararat, poeta,-æ masculinum der Dichter
Interessant ist mitunter der poetische Einsatz des natürlichen Geschlechtes: Attis erhält z.B. ab dem Zeitpunkt in der Handlung, wo er sich selbst entmannt hat, feminine Adjektiva zugesellt. Femininum kommt schließlich von fe-mina mit den Bedeutungsträgern, die wir eigenständig in fu „pfui!“ und mas „Mann“ (d.h. Männchen bei Tieren) finden, also in der starken Verneinung (der Geste des Ausspeiens!) und dem auf das Geschlechtliche reduzierten Grundwort. Frauen sind danach definiert als diejenigen Wesen, die keine Männer sind. Eine Frau „aus eigener Würde“ ist mulier, nicht femina.
Die Regeln zum natürlichen Geschlecht sind im Übrigen mit Vorsicht zu genießen, weil Ausnahmen möglich bleiben. Auch im Deutschen sind ja z.B. Schiffe femininum, auch wenn ihr Name es an sich nicht ist, wie die „Meteor“, die „Amerika“ oder die „Kommerzienrat Hevermann“, so wie Personenkraftwagen alle masculinum („der Mercedes“) und Motorzweiräder femininum sind („die BMW“). Bei einsilbigen Namen sind aber Ausnahmen belegt wie das Schiff „der Pfeil“. Und so gibt es eben doch im Lateinischen feminine Flüsse, sehr viele neutrale Städte (sogar so wichtige wie Hierosolyma, -orum n. „Jerusalem“ in Abbildung der hebräischen Endung), neutrale Bäume usw. Auch militärische Einheiten haben grammatisches Geschlecht (turba, legio, cohors f.; manipulum n.), obwohl aus Männern bestehend, und vulgus, -i n. Menschenmenge, Pöbel ist eines der seltenen Neutra auf -us in der -o-Deklination.