Ich denke schon. Philologen nehmen ihn viel zu sehr als „bare Münze“. Das Sprachgefühl einer Muttersprache haben wir mit Latein nicht mehr, somit wird die Frage offen bleiben.
Um was für Fehler geht es Dir denn? Stilistische? Hast Du an ein bestimmtes Beispiel gedacht? Grobe grammatische Fehler wird er schon nicht gemacht haben, das machen ja auch unsere heutigen Politiker und Juristen in ihren Reden nicht, selbst wenn sie uns nicht als Vorbilder für einen guten Stil gelten.
Es ist doch andersherum viel fragwürdiger, alles, was frühere oder spätere lateinische Muttersprachler geschrieben haben, zu hinterfragen, oder immerhin als schlechteren Stil anzusehen. Der unsinnige Begriff der „silbernen Latinität“ suggeriert ja schon, dass man mit dem späteren Stil nicht ganz einverstanden ist, quasi durch die Blume sagen will: „Naja, das ist eigentlich ein bisschen falsch. Ein Cicero hätte das nicht geschrieben!“ Dabei ist glaube ich die Frage ganz „gegenteilig“ zu beantworten: Es ist noch viel mehr richtig, als das, was Cicero schreibt.
Ausus es dicere me errare posse. Nonne te eius rei pudet
?
An profecto putas me immerito papam linguae Latinae putari ?
De me dubitare coepisti. Vae dubitantibus !
Amicitiam inter nos coniunctam nunc finitam contemplare.
Tu es peior illo Bruto. Cor meum ense infideli percussisti.
Nihil nisi mors peius fuerit. Horrore nudo captus sum.
Nihi est, quo istam ignominiam tollas.
Alia verba mihi hoc momento desunt.
Qualis quaestio saepimentum tuorum dentium effugit.
Ut Germanice loquar:
Ich bin einfach nur baff ! Spero hoc mihi recte esse dictum. :)
Nein, ein konkretes Beispiel für Cicero habe ich nicht *); es ist nur ein grundsätzlicher Gedanke von mir.
Die positive Einschätzung von Politiker-Reden teile ich nicht, deshalb zwei Beispiele aus diesem Bereich:
Wenn jemand wie ich sagt:
- „Die USA ist unser engster Verbündeter“ oder
- „Ein militärisches Eingreifen Deutschlands in Mali würde ein großer Fehler sein“.
dann würde mir dies als Fehler angekreidet.
Wäre ich Cicero (und das ist die Idee, die mich leitet), dann stünde im [Gegenstück zum] Georges oder Menge:
- „USA, Plural bei ..., auch Singular bei ...“
bzw.
- „Konjunktivbildung zu sein: wäre, gelegentlich auch sein würde“
Es wäre richtig, einfach weil ich Cicero bin.
Das erscheint mir seltsam für eine Sprache, und ich kenne auch keine Parallele dazu.
_____
*) Vermutlich gibt es durchaus grammatische Konstruktionen oder Wortbedeutungen, die nur bei Ciceoro nachweisbar sind. Das gilt dann eo ipso als richtig.
Ich glaube, da ist die Kausalität verdreht.
Cicero sagt etwas, weil es richtig ist. Es ist (oder gar wird) nicht deshalb richtig, weil er es sagt.
Er würde daher vermutlich nicht sagen „Die USA ist...“, und es würde auch dadurch nicht richtiger.
Eine Parallele kann man vielleicht in der Ansicht sehen, dass Dinge richtig seien weil sie im Duden stehen. Dabei stehen sie nur dort, weil sie ohhnehin richtig sind und schon vorher waren, und der Duden macht sie nicht noch richtiger oder legitimer.
Cicero hat doch da einen vergleichbaren Stellenwert, nicht? Warum hält man ihn eigentlich so hoch?
Das heißt, es gibt im Lateinischen eine Instanz für Richtigkeit, die über Cicero steht?
Ja, worin besteht die denn?
Die Parallele zum Duden ist bedenkenswert; allerdings folgt der Duden auch dem tatsächlichen Sprachgebrauch und ändert deshalb öfters seine Regeln. M.a.W.: Der Duden steht teils über, teils unter der gesprochenen Sprache.
Das ist aber so fürs Latein klarerweise nicht zu übernehmen.
seit ich hier bin, bekämpfe ich die Verwendung der dichotomischen Kategorien richtig<->falsch bei der Sprachbetrachtung ich(gerechtfertigt allenfalls bei krassen Verstößen gegen die Formen-Grammatik).
Sprachgebrauch ist evolutionär, d.h. er entwickelt sich nicht nach (starren) Regeln. Was bzw. wie Cicero schreibt, sollte man einfach als Faktum nehmen. Schreibt er gegen die Regeln der Schulgrammatik, hat natürlich er recht. Fände man ein 10-beiniges Insekt, wäre man entzückt und würde der Evolution nicht einen Fehler vorhalten.
Cicero ist nicht der Erfinder der „richtigen“ Sprachform, aber - nicht ganz unbegründet - zum Maßstab eines guten Lateins erhoben worden. Wenn Tacitus anders schreibt, gibt es auch dafür Gründe; man kann seinen Stil angemessen und attraktiv finden. ohne dass man empfehlen würde, ihn zu kopieren.
Wenn man den Kanon der deutschen Literatur betrachtet, sagen wir von Klopstock bis B. Strauß, kann man nahezu jeden an seinem Stil erkennen - ein Qualitätsmerkmal. Niemand käme aber auf die Idee, die Unterschiede mit richtig/falsch zu bewerten, trotz gelegentlich sehr freiem Umgang mit und vorsätzlicher Deviation von der Standardsprache.
Irren kann allerdings jeder - außer dem Papst, der immerhin ca. anderthalb Jahrtausende nach der Inauguration seines ersten Prädezessors seine Unfehlbarkeit entdeckt hat.
Das wird notiert!
Ob dieser Selbsteinschätzung hier viele zustimmen werden?
Notabene: nur auf die Sprache bezogen, nicht auf Deine religiösen Ansichten.
Ich empfand die Wahl Deines Spitznamens von Anfang an als bezeichnend. für den Inhalt Deiner Beiträge.
Ein Grund vielleicht zum Nachdenken - die Selbsteinschätzung weicht ja oft von der Einschätzung durch andere ab (natürlich auch bei mir).
Arbiters eigentlichen Gedanken verstehe ich so, daß ein Schriftsteller generell (nicht nur im Falle Ciceros) eine sprachliche Ebene erreichen kann (jenseits grober grammatischer Fehler nämlich), ab der er nur noch ungewöhnlich schreiben kann, nicht mehr falsch.
Ah, rex, unsere Stimmungskanone, läßt einmal wieder von sich hören! Na, dann soll er sich einmal umhören, was die Konstruktionen mit „USA“ angeht; anscheinend besteht unser Volk aus lauter Klippschülern.
@Graeculus
an dieser Stelle einen Angriff ad personam zu fahren, entspricht nicht Deinem sonst gewohnten Stil.
Im übrigen bin ich - wie Du weißt - frei von religiösen Ansichten; angelegentlich versuche ich nur, die Standards eines vernunft-, logik- und wissensbasierten Diskussionsmodus einzufordern - leider oft vergeblich.
Darüberhinaus versuche ich, nicht beim Nachdenken von Vorgedachtem stehenzubleiben.
Cicero und Caesar haben eigentlich damals einen Sprachstandard geschaffen. Sie waren sozusagen „Der Duden“ der damaligen Zeit. Sie wollten die Sprache standardisieren (obwohl ich glaube, dass kaum einer so gesprochen hat und hauptsächlich die Schriftsprache standadisiert wurde). De Analogia von Caesar wäre interessant, wenn es das Buch noch gäbe. Bezeichnend ist aber, dass sich bis heute die Standards erhalten haben.
O nein! Das war kein Angriff gegen Dich! Vielmehr ein Ausdruck des Erstaunens, da Du einen Standpunkt als Deinen ständigen kundgetan hast, von dem ich nicht dachte, daß Du ihn überhaupt einnimmst: keine strikte Trennung von richtig und falsch bei der Sprachbetrachtung.
Da war ich erstaunt und wollte Dir dieses Erstaunen mitteilen, da ich aus eigenem Erleben gut weiß, wie weit Eigen- und Fremdwahrnehmung auseinanderklaffen können. Dies genannt zu bekommen, kann ja bereichernd sein.
(In religiösen Fragen ist Dein Standpunkt natürlich völlig unmißverständlich - deswegen habe ich das am Rande erwähnt.)
Ob Arbiter das nun ständig vertritt oder zumindest hier, es ist jedenfalls einmal ein Beitrag zu dem ich nur meine größte Zustimmung ausdrücken kann.
Man redet deshalb bei der Sprachbetrachtung auch gerne von „grammatisch“ bzw. „ungrammatisch“.
Die Frage nach dem „richtig“ scheint mir hier eher zu einer Stilfrage geworden zu sein, da, wie schon mehrfach oben angemerkt wurde, das Festmachen grammatischer Korrektheit am Sprachgebrauch einer einzelnen Person eine absurde Idee darstellt.
Immerhin ist die lateinische Sprache älter als Cicero und die Grammatikkonformität bestimmter Wendungen erklärt sich aus der historischen Entwicklung.
Beim Stil ist das natürlich etwas anderes. Da kann man feststellen: Sowohl vor als auch nach der klassischen Periode, die einen äußerst gepflegten und künstlichen Sprachstil pflegte, war das Latein um einiges freier. Das klassische Latein ist solcherart natürlich in höchstem Maße etwas Widernatürliches, denn Stilfragen sind immerhin Fragen der Ästhetik. Von der korrekten Syntax (die ja im konkreten Sprachgebrauch auch nicht in jedem Falle nötig wäre, denn auch eine auf syntaktischer Ebene misslungene Äußerung kann man meist immernoch verstehen) über den guten Stil bis hin zur Lyrik wächst die Menge der sich freiwillig auferlegten sprachlichen Regeln von der korrekten Reihung der Wörter über die rechte Wahl derselben bis hin zum im Alltagsgebrauch unpraktikablen Metrum und gar Reim. Für den guten Stil muss man also nun das Lernen gewisser zusätzlicher Regeln auf sich nehmen, und wer einen guten Stil beherrscht, beherrscht ein Plus an Regeln. Es ist klar, dass Cicero offenbar in Stilfragen sicher war, und dass es uns an seinem Vorbild erlaubt sein darf, die Regeln des guten Stiles zu untersuchen und dass es ratsam ist, sich an ihm (bzw. ihnen) zu orientieren. Das ist zwar auch schon alles und hat mit sprachlicher Korrektheit normalerweise wenig zu tun, leider sind wir aber nicht wirklich in der Lage, dass wir heute noch stilistisch gutes von grammatisch erforderlichem trennen können. Schon deshalb „hat Cicero Recht“. In Streitfagen scheint mir dann sinnvoll zu sagen: „Ein anderer als Cicero schreibt so, also war es immerhin grammatisch korrekt“. Ob man e.g. eine Frage nur „stellen“ kann, oder ob man sie auch „fragen“ oder gar „machen“ kann, ist natürlich eine Stilfrage und hat mit der Grammatik nichts zu tun. Gleichwohl ist es keine Frage des guten Stils, sondern es wäre ein äußerst unkonventioneller und nicht erstrebenswerter Sprachgebrauch. Noch ein Grund, uns auf das zu verlassen, was wir als garantiert konventionell erachten können.
erscheint mir sprachlich sehr konservativ und schlösse jede sprachliche Neuerung weitgehend aus.
Stattdessen schlage ich vor: Man sollte den konventionellen Sprachgebrauch beherrschen und dann - bewußt und aus bestimmtem Grund - von ihm abweichen dürfen.
Es ist wie bei der Malerei: Man muß nicht gegenständlich bzw. realistisch malen; aber man sollte es können ... und dann gegebenenfalls bleiben lassen. Wer z.B. nicht perspektivisch malen kann, ist ein anderer als der, der es kann, aber nicht tut, weil er z.B. meint, daß dies seit der Erfindung der Photographie nicht mehr das ästhetische Ideal sein sollte.
Ich habe ja weiter oben James Joyce zitiert, und dem mit einem „das ist schlechter Stil“ zu kommen, wäre wohl nicht angemessen.
Das kann man cum grano salis wohl auch aufs Lateinische anwenden, es sei denn, es wäre eine tote Sprache.
In der Tat scheint mir sprachlicher Konservatismus die Einstellung zu sein, die einem von den meisten Altphilologen entgegenschlägt.
Sprachliche Neuerung auszuschließen, ist normalerweise nicht der Standpunkt, den ich vertrete, und wie ich oben sagte, finde ich auch die Einteilung in goldene und silberne Latinität und „schlechtes Latein, das danach kommt“ bedauernswert. Das diese Einteilung nicht mehr ganz üblich ist, hat aber leider nicht dazu geführt, dass Seneca den gleichen Stellenwert hat wie Cicero oder Cäsar. Konservative gibt es nunmal immer. Einen sprachlichen Wandel hat es ja gegeben: Das Latein des Mittelalters war anders und für einschlägige Zwecke praktikabler. Die Humanisten forderten, sich wieder an das Ideal Cicero anzunähern, weil das Latein verkommen sei. Da gab es sicher tolle Sprachler unter ihnen, die das auch konnten. Für den Gebrauch war es nunmal ungeschickt und man schrieb dann eben auf deutsch. Die elementare Frage, die sich stellt ist doch:
Für WAS wollen wir Cicero als Ideal?
Für das klassische Latein? Das wäre ok.
Für DAS Latein? Das wäre nicht ok.
Die Vorstellung, dass Cicero eine Art Ein-Mann-Duden im luftleeren Raum war, der das Titanenwerk einer Normierung im Alleingang unternahm, ist absurd. Cicero stand selbst in einem komplexen diskursiven Prozess, in dem das Ringen um latinitas von Faktoren wie ratio, antiquitas, auctoritas, consuetudo, urbanitas usf. bestimmt war. Diese Bezugsgrößen mit einem uns heute geläufigen Gegensatzpaar von „Standardsprache“ - „Umgangssprache“ etwa zu identifizieren, ist mehr als problematisch.
Eine Fetischisierung eines abstrakten Regelwerks im Sinne einer Normgrammatik war Cicero gewiss fremd, er hat sich für das Ideal des Redners und der dafür angemessenen Sprache mehr interessiert als für Autorität eines grammatischen Lehrwerks. Das hat ihn auch nicht dazu verführt, sich eine normsetzende Unfehlbarkeit durch den eigenen Gebrauch zuzubilligen. Er hat im Umfeld vieler Positionen argumentiert. Um ein kleines Beispiel für die Andersartigkeit der Diskussion über „Richtigkeit“ und Qualität sprachlichen Ausdrucks in dieser Epoche zu geben:
Es gibt genug Stellen, in De oratore, im Orator beispielsweise, an denen klar wird, dass der ‚gute Grund der Abweichung‘ vom regelrechten Gebrauch im Sinne der „ratio“ z.B. besserer Klang (in Verbindung mit anderen Kriterien) sein kann - „Nec vero reprehenderim: Scripsere alii rem etsi scripserunt esse verius sentio : sed consuetudini auribus indulgenti libenter obsequor“ „In der Tat würde ich “scripsere allii rem„ nicht verschmähen, auch wenn ich einsehe, dass “scripserunt„ richtiger(!) ist: aber ich gehorche gerne dem Sprachgebrauch, der den Ohren gefällig ist.“ (Hinzu kommt dass „scripsere allii rem“ einem Vers von Ennius entstammt, also hier zusätzlich mit antiquitas aufwarten kann) Das wird sogar zur Maxime erhoben: „Voluptati autem aurium morigerari debet oratio“ - „Nach dem Vergnügen der Ohren aber hat jede Rede sich zu richten.“
Das mit „Duden“ war ja nur bildlich gemeint. Natürlich haben sich viele damals schon an der akkuraten Ausdrucksweise Ciceros orientiert. Caesar darf man aber bei dieser Diskussion nicht vergessen: Er wird ja von Cicero geradezu gelobt für sein elegantes Latein. Und was hat er gemacht? Er hat eine grammatische Abhandlung De Analogia geschrieben in 2 Büchern und sie Cicero gewidmet.
Da ich auf diesem Niveau der Diskussion nicht aktiv partizipieren kann, bleibt mir nur, mich für den Lesegenuss und Lerngewinn zu bedanken. (Bei „sich bedanken“ zögere ich immer, weil sich irgendetwas in mir sträubt, „gratiam agere mit einem reflexiven deutschen Verb auszudrücken. Andererseits ist dieses Bild in der Vokabel “gratiam referre„ noch stärker enthalten. Auch in dem alten Ausdruck “vergelten„ im Sinne von “vergüten" ist die Vorstellung enthalten, dass etwas zurückgeht/zurückkommt.)
Dass eine Rede die Ohren erfreuen soll, gefällt mir ungemein. Ergänzend möchte ich postulieren, dass auch geschriebene Texte die Augen erfreuen sollten.
Augenweide und Ohrenschmaus sind schöne, sinnliche Worte für das, was ich meinte.
„Danken“ nehme ich meistens für „gratias agere“, aber es verlangt irgendwie nach einem „Objekt“-Pronomen (dir, euch, Ihnen), was auch nicht ideal ist, wenn bestimmte Personen in einer Gruppe angesprochen werden sollen.
Cicero stand in den ersten Jahren sehr stark unter dem Einfluss des Asianismus. Sein Vorbild war Hortensius. Nachdem er die Rednerschule des Molon auf Rhodos besucht hatte, wandte er sich vom Asianismus ab und dem Attizismus des Demosthenes zu.
An filix:
Ich meinte natürlich nicht, daß Cicero zu seiner Zeit - inmitten einer lebendigen Sprache also - als Proto-Duden galt, sondern ob er heute diesen Stellenwert hat (meinethalben neben Caesar). Clavileo hat die Grenze präzisiert: seit dem Humanismus.
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„Die USA“ plus Verb im Singular durfte ich heute wiederum bei einer PowerPoint-Präsentation lesen.
Das galt auch nicht dir, Graeculus. Den Vorbildcharakter Ciceros für - sagen wir - Bembo mit dem für Studenten, die in sogenannten Stilübungen durch den Fleischwolf gedrehte, oft sinnfrei variierte Übersetzungen zurückübersetzen müssen, zu vergleichen, erscheint mir indes komisch. Tatsächlich hat sich die Frage der Vorbildhaftigkeit für relevante literarische Produktion historisch erledigt.
Du bist eigentlich jemand, filix, der bei der Frage, ob eine bestimmte grammatische Konstruktion richtig ist, öfters mit Cicero argumentiert. Darin meine ich die Argumentationsfigur zu erkennen: es ist richtig so, weil es bei Cicero steht. Darauf zielte meine Frage, weil ich dergleichen bei anderen Sprachen sonst nicht bzw. - im Deutschen - nur hinsichtlich des Dudens kenne. Daß Cicero einen Fehler begeht, ist ja dann logisch ausgeschlossen.
Allerdings ist der letztere Aspekt meines Gedankens inzwischen durch die Diskussion überholt. Gute Schriftsteller unterliegen nicht mehr der Norm von richtig und falsch, weil sie „Fehler“ bewußt einsetzen, nicht aus sprachlicher Unfähigkeit.
Deine verkürzende Darstellung der Funktion der Belegung einer Argumentation in einer grundsätzlichen Grammatikfrage durch eine Cicero-Stelle wäre treffend, wenn man bei anderen Autoren der Epoche (ja, das ist eine Vorentscheidung, die aber einen anderen Charakter hat) fundamental Abweichendes fände und sich dann trotzdem für Ciceros Gebrauch entschiede. Ob das überhaupt und welchem Ausmaß bei in Rede stehenden Problemen der Fall ist, kann nur eine empirische sprachhistorische Überprüfung klären. Man wird auch bei Cicero selbst sicher die ein oder andere Inkonsistenz im Gebrauch z.B. des Konjunktivs in Nebensätzen finden, wenn man danach sucht.
Wenn du mich fragst, ob man beispielsweise einen Abl. abs. mit Adjektiv statt Partizip einem syntaktisch eigentlich abgeschlossenen Satz nachstellen darf, werde ich mich hüten, das zu verwerfen, nur weil es eine Spezialität von Tacitus und bei Cicero nicht zu finden ist. So gut kann ich im Übrigen nicht Latein, um beim Formulieren spielend zu entscheiden, ob ich jetzt lieber zu dieser oder jener consuetudo greife.
Danke für den Link. War nur meine spontane Assoziation zu Danksagungen. Vielleicht aus gutem Grund, weil die Danksagungen zu Teilnahmsbekundungen häufiger geworden sind als die Hochzeiten. ;-((
Aus dem Unterricht kann ich mich eines Vorfalles entsinnen, bei dem der Lehrer einen groben grammatischen Schnitzer in den Philippicae orationes feststellte.
Der Lehrer vermutete ehedem, Cicero habe dies bewusst zur Vereinfachung gemacht, um die Verständlichkeit seiner endlosen Hypotaxe zu erhöhen oder erst zu ermöglichen. Da genaue Beispiel kann ich leider nicht mehr liefern.
Man muss sich mal Vorstellen, wie solche grammatischen Ungetüme Ciceros sich heute anhören würden!
Demnach bleibt Cicero das non plus ultra des Lateins! ;)
Okay, ONDIT, wir sagen im Deutschen „Ich danke dir“ oder „Ich bedanke mich“ (die „strittige“ Version).
Da im Italienischen ein transitives Verb vorzuliegen scheint und die Person im Akkusativ steht, wäre die wörtliche Übersetzung und die zu Grunde liegende Vorstellung schon interessant.
Natürlich ist es mit „ich danke DIR“ zu übersetzen, aber nicht weil der Italiener „ti“ sagt, sondern weil es im Deutschen anders falsch wäre. „Gratias tibi ago“ ist schließlich auch mit „ich danke dir“ zu übersetzen, ohne dass im Deutschen ein „agere“ gebraucht würde.
Es ging mir darum, die Konstruktion zu verdeutlichen.
Natürlich übersetze ich „ti aiuto“ auch mit „ich helfe DIR“, trotzdem ist es wichtig zu wissen, dass der italiener transitiv konstruiert, „jemanden hilft“ also, sonst begeht man ja eventuell Fehler.
Darf ich jetzt annehmen, dass meine Darstellung des „Problems“ so erhellend war, dass eine weitere Erklärung sich erübrigte, oder war selbst mein Kommentar schon entbehrlich?
Dein Kommentar klingt gekränkt, wenn ich das so sagen darf, aber ich habe solche Intentionen nicht. Manchmal gibt es Missverständnisse und auch Meinungsverschiedenheiten, und alles kann man auf so einer Plattform nicht klären.
Grundsätzlich ist es so, dass ich - vermutlich in der Hauptzeit des Geschehens, nämlich nachmittags - nicht online bin. Abends bin ich dann manchmal zu müde, um alles, was gepostet wurde, zu verarbeiten. Ich denke, wir werden noch weiteren Austausch haben, jedenfalls würde ich es mir wünschen.
Ja, so wie Thomas Mann z.B.: brillant im Umgang mit der Sprache, aber nicht sehr aufregend, nicht erschütternd, ein bißchen langweilig. Eine Standarte, die Deutschlehrer im Unterricht hochhalten, aber selten sich auch privat vornehmen. Bildungsgut eben.
(Ich meinte allerdings ursprünglich nur, ob er, Cicero, sprachliche Fehler begehen kann. Aber das ist ja geklärt.)
Im purgatorium soll man ja „gereinigt“ werden. Abgeleitet ist es also von purgo „reinigen, säubern“ aus purum und ago.
Der „Abfall“ purgamentum kommt zweifelsohne vom selben Verb purgo.
Mein alter Lateinlehrer hat mal „Fehler“ von Cicero aufgezählt,
aber es waren „Fehler“, die in einer Arbeit weniger als grammatikalische
sondern als stilistische angekreidet werden würden.
Ich kann mich nicht genau erinnern, meine aber, es hat was mit der
Verwendung von „habeo“ zu tun -> „ich habe dies und das getan“
(Beispiel, ohne Bezug zu einer Textstelle, so aus dem Lameng:
„scriptum habeo“ -> „ich habe geschrieben“ statt „scripsi“)
Natürlich sagte man früher oder später bevorzugt so, dass allerdings schon zu Zeiten Ciceros solche Konstruktionen existierten, hätte ich nicht erwartet. Interessant, falls es stimmt.
@Clavileo,
ich bin überzeugt davon, daß der gemeine Römer auf der Gosse
und auf den diversen fori mercatorii so gesprochen hat:
„habeo ....“ statt des richtigen „Perfekts“
Vielen Dank, Jonathan, für diesen Einblick! Das ist ja spannend! „Novi“ gefällt mir aber, glaube ich, doch besser, denn das PPP hat etwas Fixiertes und dann noch mit habere im Sinne von besitzen. Da kann ich nur auf Fromms Buch „Haben oder Sein“ verweisen. ;-))
Eine Interessante Erklärung zum semantischen Hintergrund haben Wolfgang Obst und Florian Schleburg in ihrem Lehrbuch des Altenglischen, die ich schnell sinngemäß wiedergeben will:
Geht man davon aus, dass das Verb „haben“ zu Beginn noch Vollverb in der Bedeutung „besitzen“ ist, dann kann man das Partizip als präzisierende Zugabe verstehen. Obst und Schleeburg bringen als Beispielsatz die Aussage ich habe ein Schwert aufbewahrt, die quasi bedeutet: „ich besitze ein Schwert - und es ist aufbewahrt“ bzw. grammatisch durchsitiger übersetzt: „ich besitze ein Schwert als etwas aufbewahrtes“, wie eben ein Prädikatives Partizip à la video amicum currentem = Ich sehe den Freund „als einen Rennenden“ = Ich sehe, wie der Freund rennt, hier nicht: Ich sehe den rennenden Freund
Wenn nun andere ähnliche Sätze bilden, vllt hat einer sein Schwert versteckt, der andere geerbt, der nächste gekauft usw., dann verschiebt sich natürlich der Bedeutungsschwerpunkt auf das Partizip und wir befinden uns auf dem besten Weg, dass das „haben“ schon grammatikalisiert ist. Nun könnte nämlich einer kommen, der sein schwert verloren hat. Und das ist nun das erste mal nicht mehr ganz logisch, *ich besitze ein Schwert als verlorenes klingt widersprüchlich, aber im Kontext verstehen es alle.
Wenn nun das „haben“ vollends grammatikalisiert ist, kann man das Objekt auch weglassen - ich habe [das Essen] gegessen - oder gar Sätze bilden, in denen nie eines gebraucht würde: Ich habe gut [...] geschlafen
Man muß bedenken:
Früher, also vorrömisches Rechtssystem,
war Besitz und Eigentum gleichbedeutend.
Wer etwas „hatte“, war auch der „Besitzer“,
daher „haben“ = „besitzen“.
Heute wird ja fein unterschieden.
Diese Unterscheidung hat das „haben“ in der Sprache so nicht vollständig mitgemacht.
Tut mir Leid, Clavileo, denn was ist die Lust ohne den Gegenstand der Begierde? Für Schokolade gibt’s glaube ich auch noch keinen Lieferservice. Marktlücke!
Da musst du durch, bis Ostern ist sowieso Fastenzeit!
Ja,
das römische Recht hat sich im Laufe der Zeit verfeinert:
„Besitzer“ ist nicht notwenigerweise „Eigentümer“:
z.B. eine Mietwohnung:
ich „besitze“ gemäß Vertrag das Nutzungsrecht an einer gemieteten Wohnung,
bin aber dennoch nicht der Eigentümer.
Es war immer das Kennzeichen von Gesellschaften,
daß sie sich rechtlich aus dem Zustand von „Besitz“ = „Eigentum“
hin zu „Besitz“ = „Nutzung“ ungleich „Eigentum“ entwickelten.
Auf dem Gebiet Deutschlands hat diese Entwicklung im
15. und 16. Jahrhundert, als vermehrt das römische Recht
das alte „Volksrecht“ verdrängte
(u.a. auch durch die einsetzende Renaissance,
ausgelöst auch durch die Eroberung Konstantinopels
und der damit verbundenen Flucht der römischen Rechtsgelehrten nach Westeuropa)
zu heftigen Reaktionen geführt -> Bauernkriege
(die nicht nur durch die Reformation ausgelöst worden sind)
Sry, dass ich das jetzt nocheinmal aufwärme, aber aus gegebenem Anlass muss ich fragen:
Ich habe vor ein paar Tagen in „Litterarischen Analekten“ von 1818 einen Aufsatz betitelt De Anakoluthis apud Ciceronem gefunden.
Der Anakoluth ist ja nun wirklich quasi der „falsche Satz schlechthin“ - der Artikel ist gänzlich auf Latein, deshalb habe ich ihn (noch?) nicht gelesen, allerdings frage ich mich nun:
Ist der Anakoluth ein häufiges Phänomen (ich habe mich schon „damals“ gefragt, welche „absichtlichen Fehler“ oben gemeint waren), oder hat sich da wie so oft ein Wissenschaftler über etwas ausgelassen, was wenig andere als ihn selbst interessiert?