Γραικύλος schrieb am 24.03.2024 um 23:36 Uhr (Zitieren)
Danke für die Information.
Mein Eindruck: es handelt sich um neue Funde zu einem schon länger bekannten Phänomen, nämlich reitende, kämpfende, an Kriegen teilnehmende Frauen. Skythinnen, wie sie schon bei Herodot erwähnt werden. Solche Beispiele sind jüngst sogar in südamerikanischen Gräbern gefunden worden.
Aber für das in den antiken Mythen leitende Kriterium, daß die Amazonen nämlich ein Volk ohne Männer waren, gibt es weiterhin keine archäologischen Belege.
Re: Neues zu den Amazonen
Bukolos schrieb am 27.03.2024 um 11:11 Uhr (Zitieren)
Ist das nicht eher für die neuzeitlichen Phantasien von Amazonen bestimmend? Das Bild, das antike Texte von den Amazonen zeichnen, zeigt sich in Bezug auf die Geschlechterstruktur ihrer Gesellschaft ja keineswegs so eindeutig. In den Erwähnungen von Amazonen wird dort zu einem großen Teil nur die Begegnung mit kriegführenden Frauen thematisiert, die Frage, ob sie mit Männern vergesellschaftet leben, bleibt ausgeblendet. Eine weitere Gruppe von Mythen zeigt die Gesellschaft der Amazonen als eine aus Frauen und Männern bestehende, in der die Geschlechterrollen sich konträr zu den bei den Griechen etablierten verhalten, etwa:
Auch Herodot führt in seinem Skythenlogos die kriegführenden Sauromatinnen (die übrigens in direkten Kontrast zu den ausschließlich ἔργα γυναικήια [4, 114] treibenden Skythenfrauen gestellt werden) auf die Amazonen zurück. Insofern scheinen doch militärische Aktivitäten von Frauen das die antiken Amazonendarstellungen verbindende Mythenelement zu bilden.
Re: Neues zu den Amazonen
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 27.03.2024 um 11:35 Uhr (Zitieren)
Was für eine Bereicherung sind Deine so fundierten Beiträge für das Forum, bukolos! (womit ich beileibe nichts, nicht das geringste! gegen des Γραικύλου unermüdliche, ja rastlose Arbeit in der Präsentation der unterschiedlichsten Bereiche und Aspekte der antiken Welt gesagt haben will!)
Aber Du bestätigst mit Deinem originalen Beleg meine leisen Zweifel, ob nicht das Bild der männermordenden, wenigstens -ausschließenden Amazonen durch den Blick durch eine jahrhundertelang mindestens teilweise getrübte Brille entstanden ist.
Ich denke, die Vorstellung, daß es Frauen gab, die damals das Kriegsgeschäft genauso gut (oder sogar besser?) betrieben, muß für die patriarchale Gesellschaft eine immense Quelle der Verwunderung, gepaart mit unterschwelligen Befürchtungen, gar Minderwertigkeitsgefühlen? gewesen sein.
Oder ist es eine (für Männer angstbesetzte?) Erinnerung an vorpatriarchale Zeiten, die im Mythos zum Vorschein kommen? Solchen Frauen ist eben nur mit Vergewaltigung beizukommen - die Mythenwelt wimmelt ja nur so von der Unterjochung des Weiblichen, selbst Zeus macht ja nicht vor göttlichen Wesen wie Nymphen und Dryaden Halt ...
Re: Neues zu den Amazonen
Γραικύλος schrieb am 27.03.2024 um 16:04 Uhr (Zitieren)
Archäologisch belegt sind Völker, bei denen die Frauen gemeinsam mit Männern kämpften.
Dies entspricht nicht dem Mythos der Amazonen, die ohne Männer kämpften. Penthesilea ist nicht mit einer gemischten Truppe vor Troja erschienen, und auch Thalestris hatte nur Frauen um sich.
Daß sie auch ohne Männer lebten, ist eine in der Antike vertretene Annahme (z.B. Iustin II 4), wirft aber die Frage auf, wie sie sich dann fortpflanzten. Die genannte Diodor-Stelle ist eine Antwort darauf, jedoch m.W. eine singuläre Quelle. Eine andere Möglichkeit ist der Mädchen-Raub.
Die Angaben Herodots widersprechen dem nicht. Er geht ebenfalls von einem reinen Frauenvolk aus, das sich dann mit Skythenmännern verbunden habe und so zum Volk der Sauromaten geworden sei. D.h. er bringt den Befund (Skythen, Sauromaten) mit dem Mythos zusammen, aber so, daß dadurch die einstigen Amazonen zum weiblichen Teil eines anderen Volkes wurden.
Sehr auffallend ist, daß etliche antike Mythen sich damit befassen, daß eine Amazonenkönigin sich in einen griechischen Helden verliebt, was wohl deren Attraktivität selbst auf solche Frauen zeigen soll.
Bukolos schrieb am 28.03.2024 um 13:02 Uhr (Zitieren)
Aussagen über die Zusammensetzung von militärischen Verbänden hinsichtlich des Geschlechts ihrer Mitglieder lassen, soweit ich sehe, weder die aktuellen noch frühere Funde zu. Wir wissen nicht, ob die Frauen, deren Gräber jetzt gefunden wurden, in gemischtgeschlechtlichen oder in rein weiblichen Gruppen kämpften. Ich halte es auch für eher unwahrscheinlich, dass sich ein Fundkontext ermitteln ließe, der für diese Frage in Bezug auf die Steinzeit (oder die Antike) archäologische Evidenz herstellen könnte.
Um aber auf den Punkt zurückzukommen, der zunächst zur Diskussion stand, d. h. ob deine Vermutung zutrifft, es sei „das in den antiken Mythen leitende Kriterium, daß die Amazonen […] ein Volk ohne Männer waren“: Da beim Amazonenmythos in Bezug auf das Element Männerlose Gesellschaft zwei konträre Traditionen existieren, kann es sich dabei nicht um einen für den Mythos konstitutiven Bestandteil handeln. Was bleibt, ist das beiden Varianten gemeinsame Element der Krieg führenden Frauen.
Wenn Herodot in seiner Aitiologieerzählung zum Ursprung der Sauromaten, den Umstand, dass ihre Frauen in den Krieg ziehen, auf deren amazonische Abstammung zurückführt, so erscheint auch hier nur das Element Krieg führende Frauen mit den Amazonen verknüpft, nicht hingegen das Element Männerlose Gesellschaft, da ja in Herodots Darstellung offenbar eine grundsätzliche Bereitschaft auf Seiten der Amazonen besteht, mit Männern zusammenzuleben.
Dies könnte als Entgegnung auf den Einwand, die Diodorstelle sei „eine singuläre Quelle“ für die Männer in die Amazonengesellschaft integrierende Mythenvariante, genügen. Dennoch seien drei weitere Belege angefügt:
Ephoros (bei Stephanos von Byzanz), der übrigens Amazonen direkt mit den Sauromatinnen identifiziert:
Sextus Empiricus
Theodoros von Asine (bei Proklos), etwas umfangreicher zitiert, da insgesamt nicht uninteressant:
Re: Neues zu den Amazonen
Bukolos schrieb am 28.03.2024 um 13:05 Uhr (Zitieren)
Sauromaten, den Umstand > Sauromaten den Umstand
Re: Neues zu den Amazonen
Γραικύλος schrieb am 29.03.2024 um 15:47 Uhr (Zitieren)
Zunächst bedanke ich mich für Texte, die ich nicht kannte.
Meine Meinung:
1. Die Amazonen kämpften in den antiken Mythen ohne Männer. Das ist, soweit ich sehe, Konsens, wo damals von Amazonen geprochen wurde.
2. Ein solches Volk ist archäologisch nicht nachgewiesen. Allerdings vermute ich (ohne darüber Näheres zu wissen), daß der Zusammenhang, im dem Gräber von Kriegerinnen gefunden werden, darüber Auskunft geben kann. Sind von diesem Volk und in der Grabumgebung) ausschließlich Frauengräber bekannt, oder gibt es auch solche von Kriegern? Letzteres habe ich für die Skythen/Sauromaten immer angenommen und entspricht m.W. auch der Textüberlieferung.
3. Es sollte bei Herodot jedenfalls nicht übergangen werden, daß er von einem Volk ausgeht, das - aus welchem Grunde auch immer - ohne Männer lebte, sich dann erst zur Gemeinschaft mit skythischen Männern entschieden hat und auf diese Weise zu einem neuen Volk geworden ist: Sauromaten, die Herodot nicht mehr Amazonen nennt.
4. Die Quellenlage über Völker mit vertauschten Geschlechtsrollen ist umfangreicher, als ich es angenommen hatte.
Re: Neues zu den Amazonen
Bukolos schrieb am 02.04.2024 um 11:59 Uhr (Zitieren)
Äußert sich Herodot denn überhaupt zur Frage, ob die Amazonen mit oder ohne Männer lebten?
Wie gesagt: Aus Grabfunden von Kriegerinnen lässt sich vermutlich kaum ablesen, ob sie gemeinsam mit Männern kämpften oder ob die militärische Organisation ihrer Ethnien nach Geschlechtern getrennte Gruppen vorsah.
Re: Neues zu den Amazonen
Γραικύλος schrieb am 02.04.2024 um 15:49 Uhr (Zitieren)
Herodot IV 110:
Demnach kämpften die Griechen mit einem Frauenheer, nicht mit einem gemischten. Ob bei ihnen daheim die Männer Wolle webten und die Hütten ausfegten, sagt er nicht. Aber sollen wir annehmen, daß Herodot sich dieses faszinierende Detail hätte entgehen lassen? Da müßte ich ihn schlecht kennen.
Re: Neues zu den Amazonen
Bukolos schrieb am 02.04.2024 um 16:17 Uhr (Zitieren)
Das stand ja nie zur Debatte. Hingegen steht deine Feststellung