Γραικύλος schrieb am 21.06.2025 um 15:28 Uhr (Zitieren)
Tycho Mommsen (1819-1900) war der jüngere Bruder des berühmten Theodor Mommsen, Altphilologe und Direktor des städtischen Gymnasiums in Frankfurt am Main.
Dort lebte er seit 1864 in dem Haus Schöne Aussicht 16, in dem 1860 der Philosoph Arthur Schopenhauer gestorben war.
Im Atrium des Hauses waren seit 1930 eine Porträtbüste Schopenhauers neben einem Porträt Tycho Mommsens aufgestellt.
Vgl.
Gudrun Jäger: "Schöne Aussicht 16" - Schopenhauers letzte Wohnung in Frankfurt am Main; in: Schopenhauer-Jahrbuch 2024, S. 11-39
Re: Tycho Mommsen
Patroklos schrieb am 21.06.2025 um 16:06 Uhr (Zitieren)
Einige der Kinder des Pastors Mommsen wurden in Garding auf der Halbinsel Eiderstedt geboren. So auch Tycho. Die Familie zog 1821 nach Oldesloe, sw. Lübeck.
Etwas östl. von Garding, in Oldenswort, wurde 1855 der Soziologe Ferdinand Tönnies geboren (Wirtschaft und Gesellschaft, 1887).
Re: Tycho Mommsen
Patroklos schrieb am 21.06.2025 um 16:24 Uhr (Zitieren)
Entschuldigung!
Gemeinschaft und Gesellschaft
Re: Tycho Mommsen
Werner schrieb am 21.06.2025 um 16:30 Uhr (Zitieren)
Warum nannte er den Sohn wohl Tycho?
ad honorem Tycho Brahe?
Re: Tycho Mommsen
Patroklos schrieb am 21.06.2025 um 16:57 Uhr (Zitieren)
Damals war Garding dänisch. Tycho (Tyge) war dort ein populärer Name, wie auch später, andernorts. Extravaganter als gleichbedeutend Felix;).
Re: Tycho Mommsen
Andreas schrieb am 21.06.2025 um 17:24 Uhr (Zitieren)
Es dürfte sich im Griechischen um das Partizip Aorist handeln in resultativer Bedeutung, oder?
Patroklos schrieb am 21.06.2025 um 17:51 Uhr (Zitieren)
Geht man den Stammbaum hoch, wird es friesisch. Zu Uwe.
Re: Tycho Mommsen
Patroklos schrieb am 21.06.2025 um 19:34 Uhr (Zitieren)
Dies nur nebenbei am Samstagabend: bei Nachnamen auf A darf man auf friesische Wurzeln schließen, Huizinga (Groningen), Reemtsma.
((Der berühmte Humanist Agricola stammte aus Leer oder Aurich!))
Re: Tycho Mommsen
βροχή schrieb am 21.06.2025 um 23:18 Uhr (Zitieren)
Gilt das auch für Städte?
Re: Tycho Mommsen
βροχή schrieb am 21.06.2025 um 23:20 Uhr (Zitieren)
Ijon Tichy
Re: Tycho Mommsen
Γραικύλος schrieb am 21.06.2025 um 23:30 Uhr (Zitieren)
"Georg Agricola oder Georgius Agricola, latinisiert aus Georg Pawer, über Bauer."
Aus dem Friesischen stammte er nun nicht, sondern aus Glauchau (in der Nähe von Zwickau).
Re: Tycho Mommsen
filix schrieb am 22.06.2025 um 00:22 Uhr (Zitieren)
Hat nun vor Tycho Brahe in der Neuzeit jemand diese Namensform geführt oder tritt die mit ihm als humanistische Latinisierung (mit griechisch anmutender Endung nach dem Vorbild von Plato(n), Zeno(n) usf.) von dän. Tyge hervor, der dann eine sekundäre Etymologie unterschoben wird?
Re: Tycho Mommsen
Γραικύλος schrieb am 22.06.2025 um 00:40 Uhr (Zitieren)
Die Herkunft aus dem Dänischen erscheint mir fragwürdig; Wikipedia nennt die dänische und andere Formen als Varianten von Tycho:
Re: Tycho Mommsen
βροχή schrieb am 22.06.2025 um 07:14 Uhr (Zitieren)
Der. Name Tichy stammt nicht von Tycho ab. Er ist tschechisch, bzw. slawisch, Lem als Pole griff ihn auch auf. Aber wer weiß, ob nicht doch eine Wurzel auf Tycho zurückgeht.
Tycho ist am häufigsten in den Niederladen, Tychon in Russland beliebt. Russische Namen lehnen sich sehr eng an griechische an.
Re: Tycho Mommsen
Patroklos schrieb am 22.06.2025 um 10:55 Uhr (Zitieren)
Tycho Brahes-dage.
Sehr kurios.
In his travelogue A Poet's Bazaar, Hans Christian Andersen alludes to Tycho Brahe's death while living in exile, in Prague, observing that
"Denmark owns not even his dust; but the Danes mention his name in their bad times, as if a denunciation proceeded out of it: These are 'Tycho Brahe's days!' [Pechtage] they say."
Although no mention of the days now called Tycho Brahe days is actually found in any work of Tycho Brahe, they are still frequently referenced in almanacs and recur in Scandinavian folklore. In the Cyprianus tradition, Tycho Brahe days are considered unlucky for magical work; several of the spells in the Black Books of Elverum [Zauberbuch, 1682] note that they should not be carried out on a Tycho Brahe day.“
(Brahe galt als sehr abergläubig und hielt bestimmte Tage des Jahres für unheilvoll.)
Quelle: engl. Wikipedia, Tycho Brahe days.
Re: Tycho Mommsen
filix schrieb am 22.06.2025 um 11:11 Uhr (Zitieren)
Dagegen stehen zahlreiche Herleitungen letztlich von Þórr (Thor), im 13. Jahrhundert zwei Bischöfe von Aarhus (Tyge I., Tyge II.), die m.E. erst nach dem Aufkommen von Tycho in historischen Darstellungen auch so genannt wurden, außerdem heißt es in Ulf Timmermanns Der nordfriesische Rufnamenschatz: Die germanischen Namen dänisch-nordischer Herkunft (S. 205)
Γραικύλος schrieb am 22.06.2025 um 16:15 Uhr (Zitieren)
Die Geschichte der Hauses ist nicht uninteressant. Es gehörte einem jüdischen Weinhändler, womit Schopenhauer, der in Parterre eine Wohnung gemietet hatte, offenbar keine Probleme hatte.
Die Nachfahren sind 1938 zum Verkauf an die Stadt Frankfurt genötigt worden, die dort - Schopenhauer war Hitlers Lieblingsphilosoph - ein Schopenhauer-Museum gründen wollte. Es sollte 1940, zu Schopenhauers 80. Todestag, eröffnet werden. Dazu ist es freilich nicht gekommen, und 1943 ist das Haus einem Bombenangriff zum Opfer gefallen. Heute steht dort ein Neubau mit einer Gedanktafel über dem Eingang - für Schopenhauer, nicht für Tycho Mommsen.
Re: Tycho Mommsen
βροχή schrieb am 22.06.2025 um 16:33 Uhr (Zitieren)
wurde er vergessen? Wenn du dich an den dortigen histor. Verein wendest, könnte es sein, dass auch er eine Tafel bekommt. Solche Vereine sind manchmal dankbar für einen kleinen Anstupser.
Re: Tycho Mommsen
Patroklos schrieb am 22.06.2025 um 16:49 Uhr (Zitieren)
filix schrieb am 22.06.2025 um 17:18 Uhr (Zitieren)
Von den Größen des 19. Jhdts. scheint mir nur noch Beethoven öfter umgezogen sein. Als der Weinhändler das Haus erwarb, war der berühmte Pudelhalter allerdings schon 5 Jahre tot, zu seinen Lebzeiten besaßen es Nachfahren des jüdischen Bankiers Wolf Zacharias Wertheimber, der sich mit seiner Wette auf Napoleon verrechnet hatte.
Re: Tycho Mommsen
filix schrieb am 22.06.2025 um 17:20 Uhr (Zitieren)
Γραικύλος schrieb am 22.06.2025 um 17:31 Uhr (Zitieren)
Stimmt, da war ich aus dem Gedächtnis ungenau; auch ist das Haus nicht 1943, sondern 1944 zerstört worden.
Weiterhin hat Schopenhauer, der 1833 von Mannheim nach Frankfurt umzog, nie die Bürgerschaft dieser Stadt (eine deutsche Staatsbürgerschaft gab es ja noch nicht) angenommen.
Re: Tycho Mommsen
Γραικύλος schrieb am 22.06.2025 um 17:36 Uhr (Zitieren)
Da Schopenhauer außerdem möbliert wohnte, bestand sein gegenständlicher Besitz wohl bloß aus seiner Bibliothek. Nicht völlig "omnia mea mecum porto", aber doch dicht dran.
Eine Flöte gehörte auch noch dazu.
Re: Tycho Mommsen
Patroklos schrieb am 22.06.2025 um 17:41 Uhr (Zitieren)
Noch zu Tycho M.:
Einen Ruf auf eine Professur an der Universität Magdeburg lehnte er ab, da sein Gehalt als Gymnasialdirektor höher war.
(Wikipedia)
Re: Tycho Mommsen
βροχή schrieb am 22.06.2025 um 18:06 Uhr (Zitieren)
wieso könnte er Probleme haben, wg. Alkohol oder wg. jüdisch?
Re: Tycho Mommsen
Patroklos schrieb am 22.06.2025 um 18:23 Uhr (Zitieren)
Ich lese das so: ein problemloser Vermieter.
„Mit dem“ hätte die βροχήische Frage zerstoben.
Re: Tycho Mommsen
Patroklos schrieb am 22.06.2025 um 18:34 Uhr (Zitieren)
Mit Gruß an Γραικύλος noch dies:
Adorno wuchs in der Schönen Aussicht, Hausnummer 9, auf, einer Straße am Mainufer. Im Nebenhaus betrieb sein Vater eine Weinhandlung, zu der ein großes Weingut im Rheingau gehörte. (Wikipedia)
Re: Tycho Mommsen
Γραικύλος schrieb am 22.06.2025 um 18:50 Uhr (Zitieren)
Ihm wird öfters, zum Teil mit Recht, eine Abneigung gegen Juden unterstellt; diese bezog sich aber wohl in erster Linie auf die Religion.
Es handelt sich allerdings um einen jüdischen Bankier; daß der Weinhändler das Haus erst später übernommen hat, hat filix ja schon richtiggestellt.
Re: Tycho Mommsen
βροχή schrieb am 22.06.2025 um 19:11 Uhr (Zitieren)
... achso, der Weinhändler kam nachher.
Ein Großteil der berühmten Philosophen waren krasse Antisemiten, habe es eben nachgelesen. Haarsträubende Mentalitäten, die ich bei den Spitzenphilosophen nicht erwartet hatte.
Re: Tycho Mommsen
Γραικύλος schrieb am 22.06.2025 um 19:42 Uhr (Zitieren)
Unter einem Antisemiten verstehe ich jemanden, der Juden als Rasse ablehnt.
Ab wann gibt es diesen Begriff der Rasse?
Schopenhauer lehnt die jüdische Religion ab, weiß aber, daß es sich bei ihnen um ein Volk handelt, welches sich mit dieser Religion identifiziert. Gewöhnlich nennt man dies: Antijudaismus.
Gegen einen konvertierten Juden spricht für einen Antijudaisten nichts, für einen Antisemiten ändert sich dadurch nichts. Man kann die Religion, aber nicht die Rasse wechseln.
Dieser Antijudaismus reicht allerdings bis tief in die Antike hinein. Schon unter Antiochos IV. Epiphanes wurde eine Vernichtung des jüdischen Volkes wegen seiner widersetzlichen Religion diskutiert.
filix schrieb am 22.06.2025 um 20:43 Uhr (Zitieren)
Die polemische Nutzung diffamierender über den Körper laufender Klischees wie das des foetor Judaicus, über den wir vor ein paar Monaten hier gestolpert sind, wird man wohl kaum unter Religionskritik subsumieren wollen.
Re: Tycho Mommsen
Γραικύλος schrieb am 22.06.2025 um 20:56 Uhr (Zitieren)
Solche nicht unmittelbar die Religion betreffenden Äußerungen gab es schon im christlichen Mittelalter ... und nicht zuletzt bei Martin Luther; sie ändern nichts daran, daß das Judentum als Religion verstanden wurde, nicht als Rasse.
Re: Tycho Mommsen
βροχή schrieb am 22.06.2025 um 21:28 Uhr (Zitieren)
Juden sind keine Rasse, außer n. Nazirassentheorie.
Ich bin jetzt kein Wortklauber einer Definition.
Sehr viele Philosophen, denen ich rationales Denken zugetraut hatte, äußerten sich krass judenfeindlich, irrational pauschal abwertend. Darauf wurde ich durch Schopenhauer jetzt aufmerksam.
Re: Tycho Mommsen
Γραικύλος schrieb am 22.06.2025 um 21:53 Uhr (Zitieren)
Das kann man so sagen - nur mit dem Zusatz, daß weder Rassentheorie noch Antisemitismus auf den Nationalsozialismus bzw. auf Deutschland beschränkt waren.
Re: Tycho Mommsen
Aurora schrieb am 23.06.2025 um 07:50 Uhr (Zitieren)
Auf meine Nachfrage, warum erhielt ich diese Antworten:
Re: Tycho Mommsen
βροχή schrieb am 23.06.2025 um 08:41 Uhr (Zitieren)
... Hitler war kein Philosoph. Seine philosoph. Vorlieben werden durch seine Verbrechen so oder so in den Schatten gestellt.
Re: Tycho Mommsen
βροχή schrieb am 23.06.2025 um 08:46 Uhr (Zitieren)
Quelle: Das Wesen des Antisemitismus
von Heinrich Graf Coudenhove-Kalergi (1859-1906)
Offenbar war die Nazirassentheorie bereits lange vor der Nazizeit widerlegt.
Re: Tycho Mommsen
Γραικύλος schrieb am 23.06.2025 um 10:20 Uhr (Zitieren)
Das kennt die KI wohl nicht; jedenfalls geht sie nicht darauf ein:
Re: Tycho Mommsen
Werner schrieb am 23.06.2025 um 11:08 Uhr (Zitieren)
Was genau steht dazu in dieser Abhandlung?
Inwiefern bestätigt sie deine Aussage?
Vlt. magst du es für uns kurz zusammenfassen.
Mir ist zur Rassenideologie bekannt:
"Grundlagen des 19. Jhdt" (Chamberlain)
"Die Ungleichheit der Menschenrassen" (Graf Gobineau)
Re: Tycho Mommsen
βροχή schrieb am 23.06.2025 um 11:26 Uhr (Zitieren)
Es könnte daran liegen, dass KI nur online verfügbares auswertet.
Re: Tycho Mommsen
Γραικύλος schrieb am 23.06.2025 um 11:34 Uhr (Zitieren)
Meines Wissens ist das Schopenhauer-Jahrbuch online einsehbar. (Probiert habe ich es allerdings noch nicht, weil ich die als reguläre Bücher habe.)
Interessant z.B. Hitlers Äußerung, er habe während des 1. Weltkrieges Schopenhauers Werke in seinem Tornister mitgetragen.
Ob's stimmt? Aber wie er unter den deutschen Philosophen gerade Schopenhauer hervorhebt, das ist schon auffallend und erstaunlich.
In dem genannten Aufsatz bin ich der Frage nachgegangen.
Re: Tycho Mommsen
Patroklos schrieb am 23.06.2025 um 11:50 Uhr (Zitieren)
filix schrieb am 23.06.2025 um 12:56 Uhr (Zitieren)
Schopenhauer ist kein fanatischer Antisemit mit physischen Auslöschungsphantasien (er setzt mehr auf die Ehe), aber die merkwürdig widersprüchliche Gleichsetzung von Religion und Nationalcharakter unter Bestreitung, dass es eine jüdische Konfession überhaupt gäbe, welche man also gänzlich ablegen könne, verleitet ihn u.a. zu der Forderung, dass man Juden zwar bürgerliche Rechte zuerkennen, sie aber als orientalisches Volk grundsätzlich von Regierung und Verwaltung des Staates fernhalten und stets nur als ansässige Fremde behandeln müsse. Dieses bisher aus seinem geschichtlichen Schicksal parasitisch lebende Volk würde nur versuchen, wieder zu einem eigenen Land zu kommen, und, einmal an staatliche Macht gelangt, con amore Juden sein und bleiben. Was bedeutet das anderes, als dass etwas unauslöschlich Jüdisches existiert, dass man eben nicht so »einfach« wechseln kann wie die Religion verstanden als Konfession und das eine permanente Integrität des Staates gefährdet? Das ist in meinen Augen kein biologischer, wohl aber kulturell-essentialistischer Antisemitismus.
Re: Tycho Mommsen
filix schrieb am 23.06.2025 um 13:03 Uhr (Zitieren)
Davon abgesehen gibt es bei ihm merkwürdige Ausführungen zur Hautfarbe des erwählten Volkes:
Dass eine solche Erörterung nur eine unschuldige Farbenlehre darstellt, die dunkle Hautfarbe nicht als Chiffre der Abwertung in der Abhebung zu einem helleren Wir zumal fungiert, anzunehmen, kann ich mich nicht recht entschließen.
Re: Tycho Mommsen
Γραικύλος schrieb am 23.06.2025 um 14:01 Uhr (Zitieren)
Ich erinnere mich, daß er an einer Stelle die weißen die "gebleichten" Völker nennt, also die schwarze Hautfarbe als die ursprüngliche ansieht.
Wie auch immer, er hat bei einem jüdischen Bankier zur Miete gewohnt. Streit hatte er mit seinem vorhergehenden Vermieter, Schöne Aussicht 17, weshalb er dort ausgezogen ist.
Re: Tycho Mommsen
βροχή schrieb am 23.06.2025 um 14:33 Uhr (Zitieren)
Das wäre dann das Endstadium der Ideologie, wie man heute weiß, wurden jene Phantasien auch so umgesetzt. Daher sind auch die ideolog. Vorstufen nicht harmlos.
Re: Tycho Mommsen
βροχή schrieb am 23.06.2025 um 14:40 Uhr (Zitieren)
Welche weiteren Philosophen hatte er studiert?
Re: Tycho Mommsen
Γραικύλος schrieb am 23.06.2025 um 14:52 Uhr (Zitieren)
Studiert hat Hitler nichts. Mir ist bei meiner Arbeit nicht klar geworden, ob er Schopenhauers Werk überhaupt in nennenswertem Umfang gelesen hatte.
Daß er Schopenhauer mehr noch als Nietzsche im Munde führte, hat wohl unabhängig davon funktioniert - möglicherweise so, daß um 1900 Schopenhauer zu einem vagen kulturellen Allgemeingut gehörte, etwas so, wie ab 1968 Marx, auch ohne daß man sie studiert hätte.
Wichtig war für Hitler sicher die Vermittlung durch Richard Wagner, den der hoch schätzte und der sich als Schopenhauerianer verstand (obgleich Schopenhauer sehr kühl auf dessen Avancen reagiert hatte).
***
Erwähnenswert erscheint mir noch die jüdische Seite im Verhältnis zu Schopenhauer. Zahlreiche Juden waren in der Schopenhauer-Gesellschaft aktiv (erst 1938 sind drei Juden aus dem Vorstand ausgeschlossen worden); nach dem Krieg ist da vor allem Max Horkheimer zu nennen.
Die Bedeutung Schopenhauers für Wittgensteins Werk ist bekannt.
Re: Tycho Mommsen
Γραικύλος schrieb am 23.06.2025 um 14:54 Uhr (Zitieren)
Man mußte der Digitalisierung ausdrücklich zustimmen; da ich das getan habe, überrascht mich Deine Feststellung.
Nachgegangen bin ich dem nie.
Re: Tycho Mommsen
βροχή schrieb am 23.06.2025 um 15:19 Uhr (Zitieren)
Γραικύλος schrieb am 23.06.2025 um 15:57 Uhr (Zitieren)
Ja, jetzt funktioniert dem Link; aber ich habe die Jahrbücher auch hier stehen.
Der Aufsatz befaßt sich mit der - meiner Erinnerung nach damals, filix machte darauf aufmerksam, auch hier diskutierten - Frage woher das von Hitler gerne zitierte Diktum über die Juden als "große Meister im Lügen" eigentlich stammt, da es in der von Schopenhauer autorisierten Ausgabe letzter Hand der "Parerga und Paralipomena" nicht vorkommt.
Es stimmt, wo Hitler etwas konkreter auf Schopenhauer eingeht, bezieht er sich stets auf dessen Äußerungen über Juden.
Nun war auch Richard Wagner bekanntlich Antisemit, weshalb mir die Vermittlung durch Wagner weiterhin wahrscheinlich erscheint.
Re: Tycho Mommsen
Γραικύλος schrieb am 23.06.2025 um 16:08 Uhr (Zitieren)
Hier noch drei Zitate Schopenhauers über Jüden, die sich mit einer rassistischen Konzeption nicht vereinbaren lassen:
[P II 278-281]
Re: Tycho Mommsen
βροχή schrieb am 23.06.2025 um 16:29 Uhr (Zitieren)
... gut mgl., dass es so war
Re: Tycho Mommsen
Werner schrieb am 23.06.2025 um 16:51 Uhr (Zitieren)
βροχή schrieb am 23.06.2025 um 16:55 Uhr (Zitieren)
Hitler war fasziniert von Wagner,
Wagner war fasziniert von Schopenhauer,
da ist es doch mgl. dass die Vorliebe für Schopenhauer von Wagner auf hitler übersprang.
Re: Tycho Mommsen
filix schrieb am 23.06.2025 um 18:30 Uhr (Zitieren)
Das erste stammt aus der Passage, die ich referiert habe oben, darauf folgt besagte Forderung der Einschränkung ihrer politischen Rechte. Warum sollte solche nicht rassistische Motive haben können, nur weil Bürgerrechte eingeräumt werden? Man wird sich doch wohl die Argumentation genauer ansehen müssen, auf der sie beruht.
Re: Tycho Mommsen
Γραικύλος schrieb am 23.06.2025 um 18:55 Uhr (Zitieren)
Ja, solange sie Juden bleiben, faßt Schopenhauer sie als Angehörige eines fremden Volkes auf und billigt ihnen keine politischen Rechte zu.
Aber ein Rassist ließe sich durch einen Konfessionswechsel nicht beeindrucken, und gar eine Ehe zwischen Juden und Christen gälte ihm als Rassenschande.
Da denkt Schopenhauer anders und m.E. eben nicht rassistisch.
Re: Tycho Mommsen
Γραικύλος schrieb am 23.06.2025 um 18:57 Uhr (Zitieren)
Der erste Gedanke erinnert mich an das Mißtrauen in der Bismarck-Ära gegenüber Katholiken, die einen Ausländer, den Papst, als ihr höchstes Oberhaupt ansehen (Ultramontane, Kirchenkampf).
Ich halte diesen Gedanken, so befremdlich er heute klingt, für politisch.
Re: Tycho Mommsen
filix schrieb am 23.06.2025 um 19:39 Uhr (Zitieren)
Da kommt eben für mich die Gleichsetzung der Religion mit dem Nationalcharakter ins Spiel die ja in mehrere Richtung gedeutet werden kann, Schopenhauer spricht den Juden eine Konfession ausdrücklich ab, also etwas, das man leicht aufgeben könne, in gewisser Weise dem Subjekt äußerlich ist. Lautet die Gleichung der Jude ist seine Religion, stellt sich aber die Frage, was er dann noch ohne sie ist. In der Passage über bürgerliche und politische Rechte habe ich nicht den Eindruck, dass sie nur gläubige Juden betrifft, sie spielt vielmehr mit diesem Unveräußerlichen der Gleichung - welchen Sinn sollte der Verweis auf die Fremdheit eines orientalischen Volkes, das man von Verwaltung und Regierung fernzuhalten habe, ginge es nur um die Aufgabe der Religion, noch ergeben? Eine Vorstellung die nebenbei mit dem teilweise hohen Grad wenigstens kultureller und ökonomischer Integration deutscher Juden auch in Schopenhauers Lebenswelt kontrastiert. Viele dieser Persönlichkeiten waren gebildet, wirtschaftlich erfolgreich, sprachlich und kulturell „deutsch“, oft christlich konvertiert – und trotzdem im öffentlichen Diskurs immer noch „die Juden“. Daran schließt in meinen Augen die semibewusste Trickserei mit dem unausgesprochenen Ergebnis der Subtraktion Jude minus Religion, dem immer fremd bleibenden und den Staat bedrohenden Rest, an.
Re: Tycho Mommsen
Patroklos schrieb am 23.06.2025 um 19:51 Uhr (Zitieren)
Hat sich Schopenhauer irgendwo des Themas „Auserwähltsein“ angenommen?
Re: Tycho Mommsen
Γραικύλος schrieb am 23.06.2025 um 20:29 Uhr (Zitieren)