Γραικίσκος schrieb am 02.09.2019 um 15:29 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 02.09.2019 um 15:30 Uhr (Zitieren)
[Plutarch: Pyrrhos 21]
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 02.09.2019 um 20:45 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 02.09.2019 um 21:34 Uhr (Zitieren)
Dass die Beschäftigung mit Paradoxien lebensgefährlich sein kann, dokumentiert folgende Kurzbiographie, die sich in der Suda, einem byzantischen Lexikon aus dem zehnten Jahrhundert, unter φ 332 findet:
Zu den Möglichen Quellen dieses Eintrags heißt es in der engl. Wikipedia:
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 03.09.2019 um 17:49 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 03.09.2019 um 18:04 Uhr (Zitieren)
Immer wieder schön, diese Funstücke von Jean Paul. Bald bin ich vom Kauf überzeugt.
Nur ganz am Rande: Der Philetas-Hinweis hat mir gefallen; aber wird er in der Suda nicht Φιλητᾶς geschrieben?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 03.09.2019 um 18:16 Uhr (Zitieren)
In dieser Kurzbiographie steckt allerdings der Plot eines pikaresken Philosophenromans.
Bei Φιλήτας bin ich der Loeb-Ausgabe Hellenistic Collection: Philitas. Alexander of Aetolia. Hermesianax. Euphorion. Parthenius (LCL 508, S.8) gefolgt.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 03.09.2019 um 19:00 Uhr (Zitieren)
Stimmt, dort steht es so. Ich hab's in der Suda nachgeschaut. Nicht erheblich.
Den Plot mit Stoff (Handlung) zu füllen, stelle ich mir nicht ganz einfach vor. Ein Ansatz: Man könnte viele Situationen, wie sie in den hier gesammelten Paradoxien vorkommen, zur Grundlage nehmen - etwa ein Gerichtsverfahren in der Art des Euathlos, eine Ehe, in der die Partner einander immer wieder widersprechen, indem sie beahupten, sie widersprächen ja gar nicht usw.
Der gedachte Philetas stößt in seinem Leben, das ihn tragischerweise auch noch zum Philosophen hat werden lassen, immer wieder auf Parxadoxien. Durch sie und durch sein Nachdenken über sie gerät er in eine Krise. Diese erreicht ihren Höhepunkt angesichts eines Plastikstrohhalms (oder eines Barfußschuhs).
_____
A.: "Ich wußte nicht, was ich dir schenken soll. Deshalb bin ich mit der Zeitmaschine bis Weihnachen gereist und habe nachgesehen, was ich dir schenke."
B.: "Socken und ein Paradoxon! Danke."
(Josha Sauer)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 03.09.2019 um 20:06 Uhr (Zitieren)
Ich sehe auch im Übergang von der Entdeckung der Ubiquität des Paradoxen zur existenziellen Krise den erzählerischen Motor. Er müsste einen geradezu grotesken Kampf gegen die verschlingende Kraft führen, die für ihn von diesen Paradoxien ausgeht und alles wortwörtlich aufzufressen droht, am Ende ihn selbst, während alle Welt sonst damit anscheinend kein Problem hat. Das beträfe z.B. also nicht nur die Begrifflichkeiten von Wahrheit und Lüge überhaupt, sondern den sich in diesen Spiegelkabinetten verlierenden endlichen Denker in seiner physischen und geistigen Existenz, der immer weiter abmagert, dessen Blickfeld sich zusehends verengt, unfähig, sich von diesem sich immer weiter verwickelnden gordischen Knoten mit einem Denkakt zu befreien, der die Natur von Alexanders Schwerthieb besitzt. Dann auch das Elend eines Lehrers, der, nachdem ihm substanziell eigentlich nicht mehr zu lehren bleibt, den Lehrer für Ptolemaios spielen muss, der also sozusagen sein eigenes Paradoxon wird. Paradox wäre auch der notorisch unzuverlässige Erzähler anzulegen, von dem man von Seite zu Seite immer weniger zu sagen vermag, ob er lügt, wenn er zu erzählen behauptet, was Sache war, oder Wahrheiten als Lügen verkauft.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 03.09.2019 um 22:56 Uhr (Zitieren)
Den Erzähler entsprechend zu gestalten, ist eine gute Idee.
Der Leser müßte erleben, wie sein eigenes klares Weltbild zerbröselt, in einen Sog des Zweifels gerät.
(Ich finde ähnliches bei Philip K. Dick: "The Three Stigmata of Palmer Eldritch"; auch da weiß man am Ende nicht mehr, was real und wer man selber ist.)
Auch gefällt es mir, mich in Alexandria in der Zeit Ptolemaios' I. und II. zu bewegen.
Zunächst aber sammle ich Informationen über Philetas/Philitas und gerate dabei in die Lage, daß ich bei Athenaios nur auf relativ Belangloses stoße, außer 13.598e-f; aber auch dies ist nicht die Stelle, die Du zitiert hast - die finde ich überhaupt nicht, wenn ich nach dem Index der LCL-Ausgabe vorgehe.
Kannst Du die Stelle angeben?
DNP schreibt überhaupt nichts über seine Faszination für Paradoxien.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 03.09.2019 um 23:03 Uhr (Zitieren)
P.S.: Der Neue Pauly hat die Schreibweisen Φιλήτας und Φιλίτας, wobei er die letztere für die bessere erklärt; der Kleine Pauly lehnt die Schreibweise der Suda, Φιλητᾶς, explizit ab.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 04.09.2019 um 12:29 Uhr (Zitieren)
Der Erzähler ist also Kreter.
Die Kontrastierung der Mobilität in intellektuellen Biographien (wie kommt man an diese Stelle in Alexandria überhaupt?), die Verwandlung des Geistes durch Reisen usf. mit den überall auftauchenden Paradoxien, denen man nicht entkommen kann, die zur fixen Idee werden, könnte einen weiteren Punkt dieser Heldenreise in den Irrsinn bilden. Gibt es eigentlich antike Beschreibungen eines Verhungerns, Verzehrtwerdens, obwohl keine äußere Notwendigkeit besteht, man also vor vollen Schüsseln sitzt?
filix schrieb am 04.09.2019 um 12:32 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 04.09.2019 um 12:55 Uhr (Zitieren)
Zu Philetas: Ah ja. Eigenartige Zählung; bei LCL 401e.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 05.09.2019 um 15:23 Uhr (Zitieren)
[Zur Gastronomie in Wien:]
[Stephan Löwenstein in der Frankfurter Allgemeine vom 5. September 2019]
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 05.09.2019 um 15:54 Uhr (Zitieren)
filix hatte das Paradox schon erkannt - jetzt ist es veröffentlicht:
[Christoph Schäfer in der Frankfurter Allgemeine vom 5. September 2019]
Wenn das nicht der gute alte Fall des Euathlos ist, mit dem hier einst alles begann!
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 05.09.2019 um 15:55 Uhr (Zitieren)
Das hatte filix geschrieben:
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 08.09.2019 um 13:54 Uhr (Zitieren)
Wenn Psychologen Lügner an bestimmten Merkmalen (Sprachstil, Körpersprache usw.) erkennen, dann werden geschickte Lügner sich gerade bei diesen Merkmale verstellen. So gefährden die Kriterien für die Erkennbarkeit von Lüge deren Erkennbarkeit.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 08.09.2019 um 18:36 Uhr (Zitieren)
Was soll man auch von einer Stadt, die sich als kleine Großstadt sieht (https://tinyurl.com/y6ophhzq), die Irreführung schon heimlich im Namen trägt (Die Ortsnamen der Stadt Bielefeld, S. 41: ... als Billerfeld ‘Irrfeld’ nach Westfäl. Wb. i sp. 720 billeren ‘planlos umherirren’ bzw. Billerbene ‘Irrweg, Abweg’) und Wirkungsstätte eines der einflussreichsten Soziologen war, dessen Denken u.a. um den Beobachter, der sich selbst nicht beobachten kann, kreiste und in der Paradoxie die Orthodoxie einer Gegenwart sah, die alle Letztbegründung von den Prinzipien in unauflösliche Widersprüche verlegt hat (Luhmann: passim), schon erwarten? ;)
---
Die Frage ist, ob eine ars dissimulandi beliebig Zugriff auf diese Indizien entwickeln kann und ob sich nicht vielleicht immer sekundäre Indizien (sozusagen Lügensignale höherer Ordnung) einstellen.
In dem Zusammenhang fällt mir auch die paradoxie Strategie ein, die Baltasar Gracián in seinem sogenannten Handorakel analysiert, welche das Wechselspiel von Täuschung, Durchschauen und folgender Täuschungserwartung des Gegners wiederum zu Täuschungszwecken einsetzt, wobei Lüge und Wahrheit im zweiten Durchgang den Platz tauschen, erstere nun gerade dadurch, dass sie sich am Platz der vermuteten heimlichen Absicht findet, glaubhaft erscheint, während die Wahrheit die Stelle der Täuschung einnimmt, und dadurch unglaubwürdig wirkt.
Man erzähle also dem Gegenüber, das meint, einen zu durchschauen, die Wahrheit als Lüge und lasse ihn geschickt die Lüge, die man ihn glauben machen will, als heimliche Absicht dahinter entdecken, die er für die Wahrheit halten wird.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 08.09.2019 um 18:38 Uhr (Zitieren)
paradoxie paradoxe Strategie
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 08.09.2019 um 21:07 Uhr (Zitieren)
Man erzähle also dem Gegenüber, das meint, einen zu durchschauen, die Wahrheit als Lüge und lasse es geschickt die Lüge, die man es glauben machen will, als heimliche Absicht dahinter entdecken, die es sodann für die Wahrheit halten wird.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 08.09.2019 um 21:18 Uhr (Zitieren)
Mich nervt das Fehlen einer Möglichkeit, die Beiträge zu korrigieren, ungemein. Könntest Du, nachdem ich schon einmal ergebnislos einen Vorstoß unternommen habe, Albert für eine Implementation der im Lateinforum zur Verfügung stehenden Funktionen zu gewinnen versuchen? Als Gründungsmitglied, Chief Content Producer und überhaupt und sowieso.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 08.09.2019 um 22:42 Uhr (Zitieren)
Sehr schön, das mit dem Gracián - und sogar in der Textform, die Schopenhauer ihm gegeben hat, nicht in der einer der zahlreichen Überarbeitungen.
Arthur Hübscher bietet sie in seiner Ausgabe des Handschriftlichen Nachlasses, Bd. IV/2.
***
Diese Funktion habe auch ich mir schon des öfteren gewünscht. Und Albert Martin hat auf Deinen Vorstoß nicht reagiert? Dann bin ich gespannt, ob & wie er auf meinen antwortet. Ich werde die Möglichkeit für Dich und mich beantragen. Ob man ihm dafür die E-Mail-Adresse mitteilen muß? Meine hat er ja dann, wenn ich ihm schreibe.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 08.09.2019 um 22:49 Uhr (Zitieren)
Abgeschickt. Abwarten.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 08.09.2019 um 22:58 Uhr (Zitieren)
Danke. Ich habe Albert Martin deswegen schon mindestens einmal kontaktiert, das ist aber mittlerweile gewiss mehr als zwei Jahre her. Er hat das Anliegen, sagen wir einmal, höflich ignoriert. Ich fände eine Ausrichtung der Funktionen am Lateinforum jedenfalls vorteilhaft, d.h. die "Registrierung" wäre optional und für das Verfassen keine Voraussetzung. Wer Beiträge ändern möchte, könnte dies über die Eingabe eines bei ihm beantragten Passworts im Eingabefeld "Name:" tun, das Pseudonym wäre dadurch auch geschützt.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 08.09.2019 um 23:23 Uhr (Zitieren)
Aha, mit Registrierung & Paßwort.
Nun, beim letzten Anliegen hat er ja auf meine Anfrage reagiert - aber ich hüte mich vor Induktionsschlüssen.
Ich habe Dich als zweiten Interessenten genannt; ggfs. mußt Du Dich dann mit ihm in Verbindung setzen. Was ich weiß bzw. erfahre, werde ich hier hinterlegen.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 16.09.2019 um 12:40 Uhr (Zitieren)
Auch auf meine Anfrage habe ich keine Antwort erhalten. Ich werde nachhaken.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 18.09.2019 um 17:17 Uhr (Zitieren)
Im Herbst wird es abends immer früher spät.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 18.09.2019 um 22:26 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 18.09.2019 um 22:29 Uhr (Zitieren)
Der Webmaster hat nun reagiert: starke Arbeitsbelastung derzeit; Korrekturfunktion soll eingebaut werden, sobald er wieder etwas mehr Zeit für sein Webhobby hat.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 18.09.2019 um 22:35 Uhr (Zitieren)
Danke, auf der Titanic wird also noch repariert. Ich fürchte allerdings, dass dieses Forum die Folgen der EU-Urheberrechtsreform nicht überstehen wird.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 19.09.2019 um 18:39 Uhr (Zitieren)
In der Tiefgarage unseres Hauses standen Bauarbeiten an, weshalb mir die Hausverwaltung mitteilte, meine Frau müsse an dem betreffenden Tag, nämlich morgen, ihr Auto anderswo parken. Das habe ich ihr pflichtgemäß ausgerichtet: „Du mußt morgen dein Auto falsch parken, weil an deinem Stellplatz gebaut werden soll.“
Als sie am nächsten Morgen von einer mit dem Auto erledigten Besorgung heimkam, fragte ich sie besorgt: „Hast du auch falsch geparkt?“
„Ja“, beruhigte sie mich, „ich habe falsch geparkt.“
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 23.09.2019 um 13:33 Uhr (Zitieren)
Immer hatte der Leiter der Schule
In den verschiedenen Pausen kleiner und größerer Art
Sein Fenster mehrmals geöffnet
Und in den Hof hinuntergerufen:
"Ungezwungen, seid ungezwungen!
Kinder, seid ungezwungen, ungezwungen!"
Mehrmals am Tage habe
So Kastner
Der Leiter dieses Stück Wort in den Hof gerufen
Hanns-Dieter Hüsch: Hagenbuch und die Erziehung
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 23.09.2019 um 13:55 Uhr (Zitieren)
Sehr schön!
Als bibliographische Angabe habe ich gefunden:
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 23.09.2019 um 14:39 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 23.09.2019 um 14:55 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 23.09.2019 um 15:19 Uhr (Zitieren)
(Hanns-Dieter Hüsch: Mein Traum vom Niederrhein. Duisburg ²1997, S. 11-13)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 23.09.2019 um 15:24 Uhr (Zitieren)
Egland --> England
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 24.09.2019 um 19:02 Uhr (Zitieren)
War die "repressive Toleranz" des Herbert Marcuse schon da? Ich bin nicht sicher,ob ich das für kritische Geister exakt genug erklären kann.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 24.09.2019 um 19:02 Uhr (Zitieren)
War die "repressive Toleranz" des Herbert Marcuse schon da? Ich bin nicht sicher,ob ich das für kritische Geister exakt genug erklären kann.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 24.09.2019 um 22:44 Uhr (Zitieren)
Nein, "repressive Toleranz" gab's noch nicht. Überhaupt haben wir die Marxisten mit ihrer Dialektik bisher vernachlässigt.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 24.09.2019 um 23:21 Uhr (Zitieren)
Ich hab es in meine Sammlung übernommen. Danke für den Hinweis.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 27.09.2019 um 22:47 Uhr (Zitieren)
(Martin Grotjahn: Vom Sinn des Lachens; zitiert nach einem Leserbrief in der Frankfurter Allgemeine vom 27. September 2019)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 29.09.2019 um 23:18 Uhr (Zitieren)
Ein Mensch kann abwesend anwesend sein, z.B. wenn sich den ganzen Abend lang das Gespräch um ihn dreht.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 30.09.2019 um 14:06 Uhr (Zitieren)
Ob der Untote, der Zombie, diese paradoxe Existenzform zwischen Tod und Leben, sich schon in der Sammlung findet, weiß ich nicht.
Ich habe aber bei Dante im letzten Gesang des Inferno einen schönen Beleg gefunden. Dante erblickt den im Eis eingefrorenen Satan:
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 30.09.2019 um 14:08 Uhr (Zitieren)
Die Ermahnung, sich nicht gehen zu lassen und nicht in Selbstmitleid zu versinken, quittierte er mit den Worten: Ich habe kein Selbstmitleid, ich bin einfach so arm!
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 01.10.2019 um 12:53 Uhr (Zitieren)
Geschenk des Lebens? Dankbarkeit? Gott hätte mich gefälligst erstmal fragen sollen, bevor er mich geschaffen hat!
***
Zu allen Zeiten haben die alten Leute über die jüngeren geschimpft und über den Verfall der Sitten. Aber wir sind die erste Generation, die recht damit hat!
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 01.10.2019 um 13:23 Uhr (Zitieren)
Kann das Problem, das jemand mit der Unzuverlässigkeit eines anderen hat, mit einem Versprechen von dessen Seite gelöst werden?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 02.10.2019 um 14:23 Uhr (Zitieren)
(Philip K. Dick)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 04.10.2019 um 10:15 Uhr (Zitieren)
Es gibt die "schöpferische Zerstörung" (creative destruction) des Kapitalismus (Schumpeter). Die Ergebnisse lassen sich rund um den Globus besichtigen.
Gandhi befahl seiner Frau, sich zu emanzipieren.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 04.10.2019 um 11:17 Uhr (Zitieren)
Karoline von Günderode: Liebe
O reiche Armut!
Gebend seliges Empfangen!
In Zagheit Mut!
In Freiheit, doch gefangen.
In Stummheit Sprache.
Schüchtern bei Tage.
Siegend mit zaghaftem Bangen.
Lebendiger Tod,
In Einen sel´ges Leben.
Schwelgend in Not,
Im Widerstand ergeben.
Genießend schmachten,
Nie satt betrachten,
Leben im Traum und doppelt Leben.
WER TOPPT DAS?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 04.10.2019 um 11:44 Uhr (Zitieren)
Mal Gedichte in Betracht zu ziehen, ist ein guter Einfall.
Und überhaupt: Liebe als Paradox!
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 05.10.2019 um 01:12 Uhr (Zitieren)
Dem Spott des französischen Volksmundes über die polytechniciens verdanken sich paradoxe Formulierungen wie C'est un homme qui sait tout et rien d'autre, die sich in viele Sprachen verbreitet hat. Zuletzt begegnet ist mir eine Variante in Roberto Begninis Huldigung an Dante ("Il mio Dante"), wo daraus ein angebliches Machiavelli-Zitat wird:
Damit verwandt ist die Selbstcharakterisierung des österreichischen Kabarettisten Günther "Gunkl" Paal als Experte für eh alles.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 05.10.2019 um 01:48 Uhr (Zitieren)
hat haben
---
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 08.10.2019 um 12:00 Uhr (Zitieren)
Less is more. Mies van der Rohe (glaube ich).
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 08.10.2019 um 13:20 Uhr (Zitieren)
Dort zu finden ist auch die Extrapolation durch Rem Koolhaas "If less is more, maybe nothing is everything".
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 08.10.2019 um 13:35 Uhr (Zitieren)
(Ein Zwischenstand: meine Sammlung, die nicht völlig, aber weitgehend gleich ist mit den beiden Threads hier, umfaßt inzwischen 481 Paradoxien.)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 08.10.2019 um 14:10 Uhr (Zitieren)
Sammelst Du auch visuelle und akustische Paradoxien (z.B. die auf Shepardtönen basierenden scheinbar unendlich an- oder absteigenden Tonfolgen: https://www.youtube.com/watch?v=OsBanpBQj0k)?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 08.10.2019 um 14:35 Uhr (Zitieren)
Bilder ja, Escher und sowas. Aus dem Bereich der Musik habe ich bisher nur das schöne Grab des Komponisten Alfred Schnittke, von dem es bei Wikipedia eine Abbildung gibt: https://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Schnittke
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 15.10.2019 um 00:14 Uhr (Zitieren)
Christus ist im Jahre 4 vor Christi Geburt geboren.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Johannes schrieb am 15.10.2019 um 09:21 Uhr (Zitieren)
"Nach Mt 2,1 ff. und Lk 1,5 wurde er zu Lebzeiten des Herodes geboren, der nach Josephus 4 v. Chr. starb. Demnach wurde Jesus wahrscheinlich zwischen 7 und 4 v. Chr. geboren."
Ganz genau kann man es also nicht sagen.
Dass Jesus eine literarische Fiktion ist, wird
auch heute noch behauptet.
Fakt ist, dass wir über den historischen Jesus
fast nichts wissen.
Γραικίσκος schrieb am 15.10.2019 um 12:18 Uhr (Zitieren)
Nein, genau kann man es nicht sagen, aber spätestens 4 v. Chr.
Die Paradoxie funktioniert auch mit Deiner Version, sofern man "Jesus" mit "Christus" erweitert und das "v. Chr." ausschreibt:
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Gast schrieb am 15.10.2019 um 12:56 Uhr (Zitieren)
Zum (Jesus) Christus wurde er erst n.Chr. durch seine Auferstehung (ca. 30 n. Chr.).
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 15.10.2019 um 13:13 Uhr (Zitieren)
Und doch rechnet man gemeinhin "ab/nach Christi Geburt" (post Christum natum), nicht ab der Auferstehung.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 15.10.2019 um 13:15 Uhr (Zitieren)
... und auch nicht ab Jesu Geburt (n. J.).
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Gast schrieb am 15.10.2019 um 13:34 Uhr (Zitieren)
Da man ihn im Nachhinein aufgrund seiner Anastasis als den Christus/Gesalbten Gottes identifizierte, wurden die Namen schnell verschmolzen und er firmiert seitdem vorwiegend
unter dem Doppelnamen.
Die Auferstehung wird theologisch auch als Bestätigung seiner Sendung durch Gott gesehen (Messias).
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 16.10.2019 um 22:23 Uhr (Zitieren)
Zwei Filmszenen im jüdischen Milieu ("Der letzte Komödiant" mit Billy Crystal):
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 22.10.2019 um 00:12 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 27.10.2019 um 22:16 Uhr (Zitieren)
(Woody Allen in „Schatten und Nebel“, 1991)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 29.10.2019 um 12:59 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 29.10.2019 um 16:55 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 29.10.2019 um 17:00 Uhr (Zitieren)
"Ich, Borderliner": Wolfgang Weimer, 2017
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 03.11.2019 um 10:40 Uhr (Zitieren)
Gab es diesen Satz, Heraklit zugeschrieben, schon? "Die ohne Verstand hören, gleichen Tauben; die Redensart bezeugt es ihnen: Anwesend sind sie abwesend´" (...phatis autosi marturei: pareontas apeinai. Bei Clemes Alex.)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 03.11.2019 um 13:23 Uhr (Zitieren)
Es gibt hier, leider ziemlich versteckt, eine Suchfunktion (rechts oben bei geöffnetem Thread).
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 13.11.2019 um 12:57 Uhr (Zitieren)
Eine mäßig intelligente Handlung ihres Mannes kommentiert seine Frau: "Das kommentiere ich jetzt nicht."
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 13.11.2019 um 16:37 Uhr (Zitieren)
Das Auswahlparadoxon: Je mehr Wahlmöglichkeiten, desto schwieriger die Wahl.
[Quelle: Dynamische Wege aus dem Dilemma – Interview mit der Psychologin Katharina Voigt; in: Frankfurter Allgemeine vom 13. November 2019]
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Platon schrieb am 13.11.2019 um 17:22 Uhr (Zitieren)
Besser und unparadox bekannt als:
Wer die Wahl hat, hat die Qual.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 13.11.2019 um 18:05 Uhr (Zitieren)
Wenn man es paradox(er) will: Je mehr Wahlmöglichkeiten (wegen Vielfalt), desto weniger Wahlmöglichkeiten (wegen Qual).
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 14.11.2019 um 00:19 Uhr (Zitieren)
(Horaz, epist. I 12, 19)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 14.11.2019 um 12:26 Uhr (Zitieren)
Lebenspraktisches Paradoxon:
Wer weiß (i. S. v.: man wird schon sehen), wozu das Schlechte gut ist!
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 19.11.2019 um 23:05 Uhr (Zitieren)
Fati ista culpa est: nemo fit fato nocens.
[Seneca: Oedipus, V. 1019]
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 24.11.2019 um 23:21 Uhr (Zitieren)
(Laura Karasek im WDR-Fernsehen am 24. November 2019)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 26.11.2019 um 13:46 Uhr (Zitieren)
(Quelle: Die wahre Steinzeitdiät; in: Spektrum der Wissenschaft 12.19, S. 37)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 28.11.2019 um 16:14 Uhr (Zitieren)
Ein Kurznachrichten-Wechsel zweier Vetter, Jacob und Tamir Bloch:
(Jonathan Safran Foer: Hier bin ich. Köln 2016, S. 654(
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 30.11.2019 um 13:53 Uhr (Zitieren)
Das gehört auch noch hier hinein:
(Zenon gem. Diogenes Laërtios IX 72)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 30.11.2019 um 14:44 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 04.12.2019 um 16:28 Uhr (Zitieren)
(Ambrose Bierce)
(W. Somerset Maugham)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Gast schrieb am 04.12.2019 um 18:36 Uhr (Zitieren)
Oxymoron, kein Paradoxon?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 05.12.2019 um 16:30 Uhr (Zitieren)
Was ist denn da der Unterschied?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 06.12.2019 um 18:31 Uhr (Zitieren)
Eine Busfahrerin im Streitgespräch mit einem weiblichen Fahrgast, der seinen Fahrschein nicht ohne weiteres vorzeigen wollte und extrem laut diskutierte:
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 07.01.2020 um 10:52 Uhr (Zitieren)
Man kann nicht behaupten, daß jede Vorstellung wahr sei - weil sich der Satz umkehren läßt, wie Demokrit und Platon im Widerspruch gegen Protagoras gezeigt haben. Denn wenn jede Vorstellung wahr ist, dann ist auch der Satz, daß nicht jede Vorstellung wahr ist, wenn man sich seinen Inhalt vorstellt, wahr; und so wird der Satz, daß jede Vorstellung wahr ist, falsch.
[Überliefert von Sextus Empiricus VII 389; gr. Diels 55, 114; dt. Capelle 440, 122]
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 07.01.2020 um 10:52 Uhr (Zitieren)
Ich verspreche dir X [z.B.: dich zu besuchen], aber ich kann dir nicht sagen, ob ich dieses Versprechen auch halten werde.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 07.01.2020 um 10:53 Uhr (Zitieren)
Ich glaube, hilf meinem Unglauben.
[Jahreslosung der Evangelischen Kirche Deutschlands für 2020]
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 12.01.2020 um 03:07 Uhr (Zitieren)
Auf einem Spaziergang entdeckte ich neulich eine in die schwarz gestrichene Außenmauer einer Bar eingelassene chromglänzende Türklingel, darunter eine Plakette mit der Aufschrift: "This doorbell is only here to remind you to keep quiet while being outside. Never ring it." Die paradoxe Intervention gilt offensichtlich den vom Gesetz vor die Tür verbannten Rauchern, die sich nächtens dort versammeln.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 12.01.2020 um 03:14 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 12.01.2020 um 18:47 Uhr (Zitieren)
ars est artem celare.
(mittelalterlichen Ursprungs)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 12.01.2020 um 19:48 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
mitleser schrieb am 14.01.2020 um 20:44 Uhr (Zitieren)
Werte gewinnen an Wert, wenn sie an Wert verlieren.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 25.01.2020 um 16:38 Uhr (Zitieren)
Der Syrer Mustafa Khalifa wird in Syrien unter dem Vorwurf verhaftet, er sei Mitglied einer illegalen Organisation. Bei der Einlieferung ins Gefängnis wird Khalifa mit verbundenen Augen einer Bastonade unterzogen. Dabei kommt es zu folgendem Dialog:
[Mustafa Khalifa: Das Schneckenhaus. Bonn 2019, S. 14-16)[/i]
1) Mustafa Khalifa ist Atheist; aber es erweist sich in der Folgezeit seiner dreizehnjährigen Haft als katastrophaler Fehler, das in einem islamischen Land offen gesagt zu haben – sogar im Gefängnis eines islamischen Landes
Vgl. auch:
(Tess Finch-Lees: Anyone who thinks Brexit won’t bring back violence to Ireland doesn’t understand the Good Friday Agreement. The Independent, Tuesday 10 April 2018 - tinyurl.com/y9hazyr9
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 26.01.2020 um 00:43 Uhr (Zitieren)
"Hotel California" ist ein Song von den Eagles, auf den hier angespielt wird.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 26.01.2020 um 12:32 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 09.02.2020 um 14:20 Uhr (Zitieren)
(Olga Slawnikowa: 2017. Berlin 2016, S. 208-210(
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 09.02.2020 um 17:53 Uhr (Zitieren)
Das Paradox des Lauten: Jeder, der brüllt, will auffallen, um gehört zu werden. Aber wenn alle brüllen, fällt niemand mehr auf, wird niemand mehr gehört.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 09.02.2020 um 18:17 Uhr (Zitieren)
Dazu passt die in gewisser Weise die Maxime unserer Tage "Fake it till you make it" - man soll also nicht bei der bloßen Vortäuschung stehenbleiben, sondern, indem man zunächst so tut als ob, sich langsam in das verwandeln, was man werden möchte. Wer z.B. kein Geld hat, so die Idee, es aber versteht, sich wie ein Reicher zu geben, kann eben dadurch Reichtum erlangen, indem sich ihm - des Matthäuseffekts wegen etwa - neue Einkommensquellen erschließen.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 19.03.2020 um 00:22 Uhr (Zitieren)
Die Empfehlung zur Krise um das Corona-Virus, ausgesprochen am 18. März 2020: eng beieinander stehen, indem wir Abstand voneinander halten.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 03.04.2020 um 13:59 Uhr (Zitieren)
Der fünfzehnjährige, hochintelligente Andreas Wolf ist von seinem Vater, einem Staatssekretär und Mitglied des ZK der SED in der DDR, wegen exzessiven Onanierens zum Psychiater geschickt worden.
(Jonathan Franzen: Unschuld. Reinbek bei Hamburg 2015, S. 176)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 03.04.2020 um 14:01 Uhr (Zitieren)
(Jonathan Franzen: Unschuld. Reinbek bei Hamburg 2015, S. 204)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
mitleser schrieb am 03.04.2020 um 15:08 Uhr (Zitieren)
Wenn man sich die Hände zuoft nass macht, trocknen sie aus.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 09.04.2020 um 22:59 Uhr (Zitieren)
Erdmännchenweibchen
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 10.05.2020 um 15:50 Uhr (Zitieren)
(Sarah Bosetti)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 14.05.2020 um 18:41 Uhr (Zitieren)
(Juvenal: Satiren X 82)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 15.05.2020 um 15:54 Uhr (Zitieren)
Karikatur in der SZ, Ehepaar vorm Fernseher, er sagt:"Ist doch egal, ob er die Wahrheit sagt, kommt doch bloß darauf an, dass er Recht hat."
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 15.05.2020 um 16:43 Uhr (Zitieren)
Schön. Da ich Paradoxien sammle: Kannst Du mir den Tag der SZ-Ausgabe nennen?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
mitleser schrieb am 19.05.2020 um 17:08 Uhr (Zitieren)
Mein Sohn drückte mit drei Jahren einmal eine komplette Tube Zahnpasta auf dem Boden aus. Als ich entsetzt aufschrie: "Du machst ja alles schmutzig!", sah er mich mit großen Augen an: "Zahnpasta macht sauber!"
Γραικύλος schrieb am 21.05.2020 um 18:15 Uhr (Zitieren)
Danke, auch für die Angabe der Fundstelle.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 22.05.2020 um 14:58 Uhr (Zitieren)
Das bringt mich zur Frage, ob das der Antike grundsätzlich fremd ist, schlechterdings modern: Nicht nur über andere siegen, sondern sich am Unmöglichen versuchen, an die Grenzen des Leistungsvermögens gehen und sie immer weiter verschieben als Schauspiel. Das erklärte auch das relative Desinteresse der alten Welt an Rekorden, die ja in dieser Perspektive ein universales Vergleichsmaß für diese Virtuosität des Unvermögens darstellen, während die Gegenwart ein hochtechnisiertes Spektakel daraus macht, z.B. den Marathon unter zwei Stunden zu laufen. Gegen die Uhr oder den eigenen Körper ist in der Antike niemand angetreten.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 22.05.2020 um 15:38 Uhr (Zitieren)
So ganz fremd scheint mir das Sich-Versuchen am Unmöglichen in der Antike nicht zu sein. Ich gebe einige spontane Gedanken dazu:
1. Viele dieser schier unmöglichen physischen Leistungen hat man auf die Heroen (Halbgötter) projiziert, was immerhin eine Freude daran indiziert.
2. Die sportliche Disziplin des Marathonlaufes bezieht sich ja immerhin auf ein historisches Ereignis, auch wenn es etwas verwirrend überliefert ist.
3. Es gab zudem den Berufsstand der Schnell- oder Tagesläufer (Hemerodromoi), und die werden ihren Ehrgeiz und ihren Preis gehabt haben, der sich nach ihren Fähigkeiten richtete.
4. Im Hellenismus erkenne ich eine Sucht des Immer-Größer, Immer-Höher (bei Schiffen, Schlachttürmen etc.), die sich am scheinbar Unmöglichen erprobt (Fünfzehnruderer). Auch Schnellsegler gab es.
5. Der Versuch des Tiberius, von Pannonien aus seinen in Germanien sterbenden Bruder Drusus noch lebend zu erreichen, galt schon in der Antike als Rekord an Schnelligkeit in der Bewegung, wurde entsprechend erwähnt und bestaunt. Die Uhr, gegen die Tiberius ritt, war in diesem Falle die Lebensuhr des Drusus.
6. Zu untersuchen wäre, inwieweit die Gladiatorenkämpfe mit ihren immer neuen, einander überbietenden Attraktionen (ich sage einmal, ohne diesen Programmpunkt konkret belegen zu können: Frau gegen Elephant), für eine Attraktivität von Steigerungen ins kaum Faßliche sprechen.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 22.05.2020 um 18:11 Uhr (Zitieren)
7. Vor allem in der Spätantike kam der Kult des Herakles stark in Mode, des Meisters schier unmöglicher Taten. Kaiser Commodus hat sich als Herakles darstellen lassen und soll in diesem Kostüm gar im Colosseum aufgetreten sein. Bestimmt hat er dabei Rekordtaten vollbracht, auch wenn es nur Show war.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 23.05.2020 um 13:03 Uhr (Zitieren)
Die Projektion unglaublicher Leistungen auf Heroen und sonstiges mythologisches Personal macht daraus aber noch kein Schauspiel der Virtuosität des Unvermögens. Mögen die Tagesläufer untereinander ihre kleinen, informellen Wettkämpfe, die sich an Rekorden orientierten, gehabt haben (gibt es dazu Stellen in der Literatur?), sie blieben eingespannt in ihre Tätigkeit und die war nicht die Darbietung ihres Versuchs am Unmöglichen. Citius, altius, fortius stammt auch nicht aus der Antike, sondern von einem Dominikanerpater der vorletzten Jahrhundertwende. Der moderne Marathonlauf überbringt keine andere Nachricht mehr als die von der Grenze des Leistungs(un)vermögens des menschlichen Körpers (wofür sogar ganze Straßenzüge neue asphaltiert werden).
Einzig bei den Gladiatoren könnte man vielleicht von einem exzedierenden Theater des ultimativen Scheiterns, für das eine Gesellschaft in die Arenen strömt und bereit ist, erhebliche Investitionen (Bauten, Ausbildung, Personal) zu tätigen, sprechen. Aber das ist vielleicht wieder nur eine neuzeitliche Projektion, ähnlich wie Camus' berühmte Neubewertung des zur unermüdlichen Arbeit am Scheitern verurteilten Sisyphos, die am Ende gleichsam alpinistische Züge annimmt: "Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen."
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 24.05.2020 um 13:51 Uhr (Zitieren)
In einem Artikel der Rubrik Lifestyle über einen der letzten Kupferstecher Europas, der in einer aus der Zeit gefallenen Werkstatt ohne Internetanschluss mit Grabstichel, Pantograph und Handdruckpresse seiner Berufung nachgeht, erwähnt der Verfasser beiläufig, dass er von der Schönheit der Erzeugnisse betört, sich habe hundert Visitenkarten machen lassen. Gerade die hohe Qualität (nicht unbedingt der angemessene Preis) der Arbeit hindere ihn aber, sie ihrer Bestimmung gemäß unter die Leute zu bringen, keine einzige habe er noch überreicht. Es wäre zu schade, so liegen sie wohlverwahrt in einer edlen Schachtel.
Besitzen nicht viele Menschen solche Gebrauchsdinge oder Werkzeuge, die paradoxerweise gerade durch die Qualität ihrer Ausführung ihre Nutzung hemmen und sie zu Gegenständen der bloßen Betrachtung an der Grenze zu Kunstwerken machen?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 24.05.2020 um 14:01 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 24.05.2020 um 18:46 Uhr (Zitieren)
Zur Kursivschrift: Wenn doch der Webmaster, statt nur täglich das Lateinforum zu entmüllen, wenigstens einmal pro Woche hier vorbeischauen würde und nach dem Rechten sähe!
***
Wenn ich mir Gegenstände zum Zwecke ihres Gebrauchs kaufe und sie dann für zu kostbar halte, um sie zu gebrauchen, dann sind das unbrauchbare (wenngleich nicht defekte) Gebrauchsgegenstände - das hat etwas Paradoxes.
Wenn ich eine zum Lesen geschriebene Buchrolle der Ilias bekäme, läse ich sie auf keinen Fall; aber ich hätte sie auch nicht zu diesem Zwecke erworben, sondern nur als Wertgegenstand. Das ist nicht paradox.
Wenn ich auf einer Auktion einen Denar aus der Zeit des Kaisers Tiberius ersteigere, der doch zum Bezahlen gedacht war, dann bezahle ich damit nichts, sondern lege ihn in eine Schatulle. Auch dies ist nicht paradox.
Es hängt also nicht davon ab, zu welchem Zweck das Objekt geschaffen wurde, sondern davon, zu welchem Zweck es erworben wird.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 24.05.2020 um 20:10 Uhr (Zitieren)
Ja, das Desinteresse an dieser Agora ist ärgerlich. Aber hat der Schattenadministrator von nebenab überhaupt die technische Möglichkeit hier einzugreifen?
***
Jein, ich denke nicht, dass sich die Paradoxie ganz auf die Ebene der Intentionen des Erwerbs verlegen lässt. Das paradoxe Hemmnis läge in dem speziellen Fall ja in der optimalen Gestaltung für den Verwendungszweck des Gegenstandes, die eine lähmende Schönheit jenseits eines Surplus an Design erzeugt, welches Hemmnis man in der Tat nur erfährt, wenn es in der Absicht, es wirklich zu nutzen, angeschafft wurde und nicht schon als Sammlerobjekt oder dergleichen. Ich schlösse aus dieser Paradoxie jedoch umgekehrt Fälle aus, wo davon unabhängig der hohe Anschaffungspreis etwa alleinige Ursache der absichtswidrigen Nichtnutzung wäre.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 25.05.2020 um 18:12 Uhr (Zitieren)
Kant konnte nicht umhin, nach 20 Jahren Dienst seinen diebischen Kammerdiener Lampe zu entlassen. Das schmerzte ihn sehr, darum beschloss er, Lampe gänzlich zu vergessen. Um sich stets an diese Entscheidung zu erinnern, notierte er sich den Imperativ: "Lampe muss vergessen werden."
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 26.05.2020 um 12:26 Uhr (Zitieren)
Ich habe eigens die Suchfunktion bemüht - das hatten wir tatsächlich noch nicht, in keinem der beiden Threads.
Die Ankedote ist natürlich sehr schön. Ob Kant der Witz daran bewußt war?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 26.05.2020 um 17:24 Uhr (Zitieren)
Es gibt einen Typus von Paradoxien durch zirkuläre Voraussetzungen. Das bekannteste Beispiel dürfte das aus dem „Hauptmann von Köpenick“ stammen (oder sogar aus der Behördenpraxis): Um eine Wohnung zu bekommen, muß man einen Arbeitsplatz nachweisen; um einen Arbeitsplatz zu bekommen, muß man eine Wohnung nachweisen.
Von dieser Art habe ich nun zwei Fälle erlebt:
• Im Zuge der Corona-Bekämpfung werden hier auf dem Lande keine Fahrscheine mehr im Bus verkauft. Fahrscheine kann man online kaufen oder – und jetzt folgt für diejenigen, die kein Smartphone bzw. nicht die App dazu besitzen, die Paradoxie – im Vorverkauf. Um mit dem Bus fahren zu dürfen, muß man im Vorverkauf einen Fahrschein erwerben. Um zur nächsten Vorverkaufsstelle zu kommen, muß man mit dem Bus fahren.
• Eine Bekannte wohnt im Elsaß und arbeitet in Baden. Nach der Grenzschließung, ebenfalls dank Corona-Maßnahmen, durfte sie von ihrer Wohnung nur noch mit der Bescheinigung ihres deutschen Arbeitgebers (systemrelevante Tätigkeit) nach Baden zu ihrer Arbeitsstelle einreisen; um aber die Bescheinigung zu bekommen, mußte sie nach Baden zu ihrer Arbeitsstelle reisen.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 26.05.2020 um 18:10 Uhr (Zitieren)
Noch zu Kant & Lampe:
Man muß bedenken, daß Kant um diese Zeit bereits dement war. Alle Details der Geschichte (das Hängen am Gewohnten, die Anrede des neuen Dieners mit dem Namen des alten, der Zettel) sind typisch für demente Menschen.
Es ist sehr traurig, wenn man in Kants "Opus postumum" oft merkt, daß er am Ende eines Satzes bereits nicht mehr weiß, wie er ihn grammatisch begonnen hat.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 03.06.2020 um 23:13 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 04.06.2020 um 00:07 Uhr (Zitieren)
Das klingt nach einer Äußerung Goethes:
Ich kann's allerdings nicht beschwören.
Daß MRR es gekannt & übernommen hat, wäre ihm zuzutrauen.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 04.06.2020 um 00:08 Uhr (Zitieren)
(Graffito, in "French Connection II" kurz zu sehen)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 04.06.2020 um 01:13 Uhr (Zitieren)
Marcella schrieb am 04.06.2020 um 01:13 Uhr (Zitieren)
Das verweist auf den kruden nekrophilen Schlachtruf der spanischen faschistischen Falange: "Muera la inteligencia, viva la muerte."
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 04.06.2020 um 01:42 Uhr (Zitieren)
Bei Baudelaire kommt das auch irgendwo vor. Es wunderte mich nicht, wenn das Publikum der Hinrichtungen zu Zeiten von La Terreur den Spruch als Gegenstück zur obsolet gewordenen Heroldsformel "Le roi est mort, vive le roi!" geprägt hätte, ist doch der Tod da der neue absolute Herrscher. In der in der Revolution angesiedelten Oper Andrea Chénier von Umberto Giordano eignet sich das Paar auf dem Weg zum Schafott die Formel als Schlusswort schließlich wieder an: Viva la morte insiem!
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 04.06.2020 um 12:53 Uhr (Zitieren)
Es hätte mich gewundert, wenn "Vive la mort" für ein Filmset kreiert worden wäre.
Danke für Eure Angaben zu den Hintergründen.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
mitleser schrieb am 05.06.2020 um 20:24 Uhr (Zitieren)
Interessant ist auch, wenn Beschlüsse das Gegenteil dessen bewirken, was sie eigentlich bewirken sollen.
Zwei Beispiele:
1.) Um mehr Sicherheit zu gewähren, soll man oft seine Passwörter wechseln. Wenn man aber oft seine Passwörter wechselt, wählt man einfachere Passwörter, um nicht durcheinander zu kommen und sie sich leichter merken zu können.
2.) Eine Linie zwischen Straße und Fahrradweg soll beide Straßen voneinander trennen und den Fahrradfahrern Sicherheit bieten. Untersuchungen haben aber ergeben, dass Autos näher an die Fahrradfahrer fahren, wenn es eine Linie gibt, als wenn es keine Linie gibt.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 06.06.2020 um 11:29 Uhr (Zitieren)
Die Paradoxie von Sicherheitsmaßnahmen kann man das wohl nennen.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 07.06.2020 um 14:56 Uhr (Zitieren)
Windows beendet man über Start, dann über Ein/Aus, obwohl man an dieser Stelle gar nicht einschalten kann, sofern der Computer nicht bereits eingeschaltet ist.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 25.07.2020 um 14:12 Uhr (Zitieren)
filix schrieb am 15.08.2020 um 22:42 Uhr (Zitieren)
Mit der Einführung der Kinderbeichte ab dem 7. Lebensjahr zu Beginn des 20. Jhdts entsteht ein mir in einigen persönlichen Erinnerungen begegnetes Paradoxon: Das von der Situation überforderte Kind, das nicht weiß, was es beichten soll, oder seine tatsächlichen Verfehlungen für so gering achtet, dass es Gefahr zu laufen glaubt, für unaufrichtig gehalten zu werden, belügt den Beichtvater (im kindlichen Verständnis augustinischer Strenge allemal eine schwere Sünde) und erfindet Beichtwürdiges, d.h. in dieser Innenperspektive des Beichtkindes wird eine Verfehlung begangen, um Vergebung zu erlangen für Schuld, die man gar nicht auf sich geladen hat, während diese tatsächliche Verfehlung selbst unerwähnt und unvergeben bleibt.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 15.08.2020 um 23:25 Uhr (Zitieren)
Das ist gut analysiert! Den Sachverhalt kenne ich aus eigenem Erleben, wobei sich das Problem nicht daraus ergab, daß ich als Kind keine "Sünden" begangen hätte, sondern daß wir die 10 Gebote entlang beichten mußten, was eine Reflexion und Angabe zu jedem Gebot erforderte.
4. Gebot: das war mit einem Streit zuhause leicht erledigt. Fürs 5. Gebot reichten feindselige Gedanken gegenüber irgendjemandem. Aber zum 6. Gebot hätte ich damals aufrichtigerweise nichts zu sagen gehabt. Da habe ich dann "unkeusche Gedanken" gestanden, ohne zu wissen, worum es sich da eigentlich handelte.
Daß der Kaplan, bei dem ich beichtete, sich später als pädophil erwies, machte - im Nachhinein - die Angelegenheit noch skurriler. Ich hoffe, er hatte einen guten Beichtvater.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Aurora schrieb am 16.08.2020 um 07:00 Uhr (Zitieren)
In den so genannten Beichtspiegeln, die auswendig
gelernt werden mussten, fand sich zu meiner Zeit
auch das Delikt "Ich habe genascht".
Man achte auf die Formulierungen etwa beim
6. Gebot.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 16.08.2020 um 18:03 Uhr (Zitieren)
Ja, auf dem Niveau von "ich habe genascht" befand sich das in der Kinderversion. Genau, Beichtspiegel, so hieß das. Da man vor der Erstkommunion beichten mußte, war man halt noch ein Kind.
Danke für den Link.
So haben wir denn eine weitere Paradoxie: Zu sagen: "Ich bin kein Sünder" ist sündhaft.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 19.08.2020 um 22:59 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 19.08.2020 um 23:32 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 24.08.2020 um 21:07 Uhr (Zitieren)
(Karl Julius Weber: Und so verzeiht mein spöttisch Maul. [Demokritos oder Hinterlassene Papiere eines lachenden Philosophen] Auswahl in 2 Bdn., hrsg. v. Jürgen Rauser. Schwäbisch Hall 1966; Bd. 1, S. 243)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Andreas schrieb am 25.08.2020 um 14:37 Uhr (Zitieren)
Γραικύλος schrieb am 27.08.2020 um 15:16 Uhr (Zitieren)
[quote]O glaubt mir doch, ihr meine lieben Brüder,
Ein Dunst, ein Traum ist unser Lebenslauf,
Gesund und frisch legt ihr euch abends nieder,
und mausetot – steht ihr am Morgen auf!](quote] (Quelle: Pater Pfeffel; zitiert nach Karl Julius Weber: Demokritos oder Hinterlassene Papiere eines lachenden Philosophen. Hrsg. v. Wolfgang Ronner. München 1966, S. 330)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 27.08.2020 um 15:16 Uhr (Zitieren)
(Quelle: Pater Pfeffel; zitiert nach Karl Julius Weber: Demokritos oder Hinterlassene Papiere eines lachenden Philosophen. Hrsg. v. Wolfgang Ronner. München 1966, S. 330)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 28.08.2020 um 15:07 Uhr (Zitieren)
Karl Julius Weber: Und so verzeiht mein spöttisch Maul. [Demokritos oder Hinterlassene Papiere eines lachenden Philosophen] Auswahl in 2 Bdn., hrsg. v. Jürgen Rauser. Schwäbisch Hall 1966; Bd. 2, S. 135)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 29.08.2020 um 15:18 Uhr (Zitieren)
(Napoleon Bonaparte; zitiert nach Karl Julius Weber: Und so verzeiht mein spöttisch Maul. [Demokritos oder Hinterlassene Papiere eines la-chenden Philosophen] Auswahl in 2 Bdn., hrsg. v. Jürgen Rauser. Schwäbisch Hall 1966; Bd. 2, S. 151)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 20.09.2020 um 20:32 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
mitleser schrieb am 21.09.2020 um 18:40 Uhr (Zitieren)
Woran man einen Dummkopf erkennt?
Er weiß alles
Harald Schmid (*1946), Aphoristiker
PS: Irgendeiner bedient sich meines frei verfügbaren Nicknames...
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 23.09.2020 um 13:44 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 26.09.2020 um 14:48 Uhr (Zitieren)
(Bandenwerbung von adidas am 3.9.2020 beim Spiel Deutschland vs. Spanien in der Nations League)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 26.09.2020 um 14:50 Uhr (Zitieren)
Über eine Schule mit Inklusion:
(Frankfurter Allgemeine vom 14. September 2020)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 26.09.2020 um 15:02 Uhr (Zitieren)
"A lttle bit too much is not enough for me." Inschrift in einer Altstadt-Bar in Turin
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
mitleser schrieb am 03.10.2020 um 15:49 Uhr (Zitieren)
Die einen wissen, wie es in der DDR war, und die anderen haben in ihr gelebt.
Klaus D. Koch Heute ist der 30. Jahrestag der deutschen Einheit.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 10.10.2020 um 13:31 Uhr (Zitieren)
Γραικύλος schrieb am 14.10.2020 um 13:54 Uhr (Zitieren)
(Henry Fielding, Tom Jones. München 1965, S. 236)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 14.10.2020 um 14:00 Uhr (Zitieren)
(Wolfgang Weimer)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 14.10.2020 um 14:36 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Λητώ schrieb am 14.10.2020 um 15:32 Uhr (Zitieren)
Vielleicht hatte die Frau des Autors auch die sich durch Sport verbessernde qualitative Seite des X-ens im Sinn. :)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 20.10.2020 um 15:27 Uhr (Zitieren)
Torricellis Trompete:
Daraus ergibt sich das "Painter's Paradox":
(Spektrum der Wissenschaft 11.20, S. 43)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 20.10.2020 um 15:31 Uhr (Zitieren)
Die Lösung erscheint witzig: Man kann die Trompete mit einer endlichen Menge "mathematischer Farbe" bemalen, die unendlich dünn wird.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 21.10.2020 um 14:31 Uhr (Zitieren)
(Henry Fielding: Tom Jones. München 1965, S. 407 f.)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 22.10.2020 um 18:33 Uhr (Zitieren)
(American Gangster, Regie: Ridley Scott 2007)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 22.10.2020 um 20:10 Uhr (Zitieren)
Das ist niedlich!
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 25.10.2020 um 18:08 Uhr (Zitieren)
Φησὶν σιωπῶν.
(In Griechisch und auch lateinischer Entsprechung verbreitetes Sprichwort)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 04.11.2020 um 23:23 Uhr (Zitieren)
[i](Der große Eisenbahnraub (1978), Edward Pierce/Sean Connery)[7i]
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 04.11.2020 um 23:23 Uhr (Zitieren)
(Der große Eisenbahnraub (1978), Edward Pierce/Sean Connery)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 06.11.2020 um 18:29 Uhr (Zitieren)
(gemäß einer Zeichnung von Uli Stein)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 23.11.2020 um 00:06 Uhr (Zitieren)
(Der ehemalige Fußballtrainer Max Merkel)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 23.11.2020 um 00:08 Uhr (Zitieren)
(Titel eines Films unter der Regie von Clint Eastwood, 2008)
Dazu hat Eastwood sogar die Musik geschrieben.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 02.12.2020 um 13:52 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 02.12.2020 um 14:48 Uhr (Zitieren)
Wenn ich es recht sehe, kommt es hier auf das "Das Wort praktisch bedeutet praktisch nichts" an.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 02.12.2020 um 14:51 Uhr (Zitieren)
Die Paradoxie als Lüge: Der SS-Brigadeführer Franz Walter Stahlecker, Leiter der Einsatzgruppe A des SD, schrieb im Oktober 1941 über die Judenpogrome in Lettland:
(E. F. Zielke / H. Rothweiler, Sittengeschichte des Zweiten Weltkrieges. Hanau o.J., 2. Aufl., S. 516 f.)
Eine gelenkte und doch beweisbare Spontaneität!
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 02.12.2020 um 22:01 Uhr (Zitieren)
Technically yes, practically ... könnte man z.B. einige Überlegungen anstellen, was diese paradoxe Nichtigkeit für die Verwendung in der Offenbarung, der Gebrauch sei im Fall des Erzählers praktisch ein Ausdruck der Angst, bedeutet an diesem Kreuzungspunkt einer intellektuellen Pilgerfahrt (die sich als Spurensuche nach einem anderen, der vielleicht ich ist, entpuppt, wie sich im gesamten Text immer wieder andeutet) mit einer Reise in den Tod, die auf paradoxe Weise von Routinen und Höflichkeiten eingehegt wird.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 03.12.2020 um 14:57 Uhr (Zitieren)
(Quelle: Frankfurter Allgemeine vom 3. Dezember 2020: Der Zauberlehrling des Kinos)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 03.12.2020 um 15:00 Uhr (Zitieren)
Erst gab es keine Zeit, dann ist etwas passiert, und seitdem gibt es Zeit.
(begegnet einem häufiger, vor allem in religiösen Kontexten)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Mitleser schrieb am 03.12.2020 um 16:52 Uhr (Zitieren)
Dieses Seitdem lässt sich ermitteln.
Aktueller Stand 13,82 Milliarden Jahre.
Mit dem Urknall beginnt das, was wir ZEIT nennen.
Über das DAVOR darf man spekulieren und tut es
auch, ebenso über die Vorgänge in einem schwarzen Loch,
bei dem die Gesetze der Physik zusammenbrechen.
Singularitäten sind mathematisch nicht mehr
beschreibbar.
Ab Sekunde 10hochminus44 ist alles erklärt,
was "davor" war, entzieht sich (noch?) der methodischen
Beschreibbarkeit.
Eine Schätzung besagt, dass die Wahrscheinlichkeit,
dass es zum Big Bang
kommen konnte, bei etwa 1zu 10hoch500 liegt.
Mathematisch ist das so gut wie Null,
physikalisch bzw. realiter aber eben nicht
exakt Null.
Das biblische FIAT LUX ist gar nicht so weit
weg von der modernen Kosmologie, wenn auch
stark interpretationsbedürftig.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 04.12.2020 um 18:13 Uhr (Zitieren)
Mit dem Urknall begannen Raum und Zeit, so heißt es. Das macht die Frage, was davor war, allerdings obsolet, und zwar semantisch, nicht nur physikalisch.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 27.12.2020 um 17:19 Uhr (Zitieren)
1568 wurde die spanische Christin Elvira del Campo von der Inquisition verhaftet und verhört. Sie war denunziert worden, kein Schweinefleisch zu essen und samstags, d.h. am Sabbat, ihre Unterwäsche zu wechseln, also eine heimliche Jüdin zu sein. Wie üblich wurde sie mit dem Vorwurf der Anklage nicht offen konfrontiert, erst recht nicht mit den Zeugen, so daß die Frau, unter Folter aufgefordert, „die Wahrheit“ zu sagen, gar nicht wußte, was sie gestehen sollte.
(Peter de Rosa: Gottes erste Diener. Die dunkle Seite des Papsttums. München 1989, S. 210)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 27.12.2020 um 17:22 Uhr (Zitieren)
Selbst bei der Zensur gab es Spaßiges. Zuerst vollbrachte [Papst] Paul IV. [Petrus Carafa, zuvor Generalinquisitor] die Heldentat, sich selbst auf den Index zu setzen [1555]. Es ist eine merkwürdige Geschichte.
Ein paar Jahre zuvor hatte Paul III. ein halbes Dutzend Kardinäle ernannt, die unter Carafas Führung alle zu durchleuchten hatten, die in Glauben und Moral von der Orthodoxie abwichen. „Die Schuldigen und die Verdächtigen“, sagte Paul, „sind zu verhaften und vor Gericht zu stellen bis zum endgültigen Urteil (Tod).“ Carafa hatte den Befehl buchstabengetreu ausgeführt. Der Papst wurde nicht belästigt, obwohl er ein hervorragender Kandidat für Nachforschungen war – mit seiner Mätresse, seinen unehelichen Kindern, seinen Geschenken von roten Hüten an seinen Enkel und seine Neffen, die vierzehn und sechzehn Jahre zählten.
Im abschließenden Consilium oder Ratschlag an Papst Paul gab es tatsächlich offene Kritik am päpstlichen Absolutismus, Simonie, Mißbräuchen in der Verleihung von Bischofsämtern an unwürdige Kandidaten und vielem mehr. Unglücklicherweise für den Vatikan wurde dies Dokument bekannt. Die Protestanten lasen es mit Entzücken, weil es alles bestätigte, was sie je über das Papsttum gesagt hatten.
Als Carafa Papst wurde, hatte er keine Wahl, als das Consilium, das er geschrieben hatte, auf den Index zu setzen.
(Peter de Rosa: Gottes erste Diener. Die dunkle Seite des Papsttums. München 1989, S. 214 f.)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 27.12.2020 um 20:09 Uhr (Zitieren)
"... befehle ich Ihnen, dass Sie ...meine Befehle nicht beachten".
Friedrich II.vor der Schlacht bei Mollwitz, aus der er übrigens türmte.
Γραικύλος schrieb am 28.12.2020 um 01:03 Uhr (Zitieren)
(Peter de Rosa: Gottes erste Diener. Die dunkle Seite des Papsttums. München 1989, S. 67)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 29.12.2020 um 14:57 Uhr (Zitieren)
Da staunte Galilei. Als nämlich Papst Urban VIII. zu ihm sagte:
(Peter de Rosa: Gottes erste Diener. Die dunkle Seite des Papsttums. München 1989, S. 281)
Credo quia absurdum.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 05.01.2021 um 17:29 Uhr (Zitieren)
Papst Innozenz IV. (1243 – 1254) versuchte, seinen Neffen als Prätendenten für die Nachfolge des Bischofs Grosseteste von Lincoln zu etablieren. Grosseteste empfand das als unschicklich und schrieb dem Papst:
(Peter de Rosa: Gottes erste Diener. Die dunkle Seite des Papsttums. München 1989, S. 508)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 05.01.2021 um 17:31 Uhr (Zitieren)
(Peter de Rosa, Gottes erste Diener. Die dunkle Seite des Papsttums. München 1989, S. 521)
Das heißt: Ich spreche dich nicht von deinen Sünden frei, bis du zu einer Sünde bereit bist.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 06.01.2021 um 17:54 Uhr (Zitieren)
(Michel Houellebecq: Ein bisschen schlechter. Neue Interventionen - Essays. Köln 2020, S. 9)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 18.01.2021 um 15:01 Uhr (Zitieren)
(Das fehlende Puzzleteil; in: Spektrum der Wissenschaft 2.21, S. 14)
Man könnte es die Paradoxie der Floskel nennen - "ganz zu schweigen" davon, daß hier ein Mathematiker über Logik schreibt!
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Aristoteles schrieb am 18.01.2021 um 16:56 Uhr (Zitieren)
Ob man da wirklich von sinnvoller Veranschaulichung sprechen kann, darf
bezweifelt werden. Unser Gehirn ist für solche Vorstellungen nicht geschaffen.
Dass etwas unendlich sein kann, also kein Ende hat, widerstrebt unserer Intuition,
wohl auch deswegen, weil unser Begriff von Wirklichkeit letztlich sehr begrenzt ist.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 18.01.2021 um 18:02 Uhr (Zitieren)
"Hilberts Hotel" kenne ich; aber die Paradoxie, die ich hier angesprochen habe, hat nichts mit dem Begriff der Unendlichkeit zu tun, sondern mit der Phrase "ganz zu schweigen von" als Einleitung einer längeren Abhandlung.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Aristoteles schrieb am 18.01.2021 um 18:13 Uhr (Zitieren)
Es handelt sich hier um das Stilmittel der Praeteritio.
Daher würde ich eher von einer untypischen Paradoxie sprechen.
Mein Beitrag war nur als Zusatzinfo gedacht.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 19.01.2021 um 12:30 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 19.01.2021 um 14:20 Uhr (Zitieren)
Sehr schön. Zur Quellenfrage (ich möchte ein Buch über Paradoxien schreiben): Das stammt von Dir?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 19.01.2021 um 20:07 Uhr (Zitieren)
Ja, das stammt von mir.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 20.01.2021 um 01:50 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 20.01.2021 um 15:18 Uhr (Zitieren)
Von der Struktur her (Bestätigung dessen, was zugleich verneint wird) ist das so wie "Du hast keine Chance. Nutze sie."
***
(Guillermo Arriaga: Der Wilde. Stuttgart 2018, S. 223)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 31.01.2021 um 12:21 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 31.01.2021 um 16:35 Uhr (Zitieren)
Eine gelungene Übertragung der diskutierten Frage auf einen sokratischen Dialog.
Dein Argument erinnert mich auf eine vage Weise an Gedanken von Hilary Putnam u.a., daß weder alle Bilder eine Fälschung noch wir alle bloß Gehirne in einem Tank (übrigens auch dies eine SF-Idee von Philip K. Dick) sein können.
Dies
leuchtet mir auch völlig ein.
Aber dies
immer noch nicht, so sehr ich auch darüber nachgedacht habe.
Wir unterscheiden zwei mögliche Zustände: Leben und Totsein. Oder: Träumen und Wachsein. Kriterien zu ihrer Unterscheidung gibt es, z.B. den Vorgang des Sterbens [wie bei X und Y beobachtet] bzw. das Erlebnis des Aufwachens.
Dennoch weiß ich nicht, in welchem von beiden Zuständen ich mich befinde, weil ich (a) mich an den Vorgang meines Sterbens nicht erinnere [diese Erinnerung gehört nicht zum oben genannten Kriterium] und (b) nicht weiß, ob mir das Erlebnis des Aufwachens nicht in naher Zukunft bevorsteht.
Irgendein spezielles Wissen darüber, wie es ist, tot zu sein, ist weder für die Unterscheidung noch für meinen Zweifel Voraussetzung.
Nun ahne ich Deinen Einwand: Aber im Falle (b), also des Träumens und Aufwachens, ist doch klar ersichtlich, daß ich beides kennen muß, um zweifeln zu können, in welchem der beiden Zustände ich mich befinde.
Ja, aber das liegt an dem eingeführten Kriterium (s.o.), bei dem ich das (subjektive) Erlebnis des Aufwachens verwendet habe.
Nicht so beim Tod: Ich habe meine Eltern sterben sehen und weiß, wie die Ärzte den Tod festgestellt haben. Das habe ich als Kriterium benutzt. Was ich nicht weiß: wie sich das aus der Sicht meiner Eltern angefühlt hat bzw. heute anfühlt: tot zu sein. Also hat das Kriterium in diesem Falle keine subjektive Komponente.
Deshalb kann ich heute lediglich ausschließen, irgendeine Erinnerung daran zu haben, daß ein Arzt mich für tot erklärt hat. Vielleicht haben auch meine Eltern das nicht, obgleich sie für tot erklärt worden sind.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 01.02.2021 um 14:58 Uhr (Zitieren)
Mein Einwand hat eine zunächst simple analytische Dimension, die, denke ich, noch immer den mit Schleiermachers Version von Platons Sokrates als Revenant (oder auch nicht) spielenden Eintrag im Paradoxiethread rechtfertigt.
Ich erwidere also zunächst, dass die in der vorgestellten Argumentation gebrauchte Behauptung "Ich kann nicht wissen, wie es ist, x zu sein" impliziert, dass man zum Zeitpunkt der Äußerung x nicht ist und auch noch nie war, andernfalls sie keinen (oder schon paradoxen) Sinn ergibt. Das gilt für x = eine Katze, ein Kindersoldat in Angola, unter dem Einfluss von LSD, pansexuell, glücklich ... und offenbar auch tot, woraus sich, da tot in gewöhnlichem Verständnis in binärer Opposition zu lebendig steht (tot = ist nicht lebendig/nicht tot = lebendig), ergibt, dass der Sprecher das Reich des Todes noch nie betreten hat, also lebt. Das Modalverb steigert diesen Aspekt zusätzlich von der Faktizität (Ich weiß es nicht) zu einer grundsätzlichen Unmöglichkeit (Ich kann es nicht wissen, weiß es also auch nicht, und werde es vermutlich nie wissen).
Dieses Nichtwissenkönnen eines Subjekts über einen bestimmten Zustand unter solchen Voraussetzungen (das ich im anderen Thread dessen kognitive Impermeabilität genannt habe) wird im Argument aber im nächsten Schritt in, wie ich eben meine, paradoxer Weise so verwertet, dass besagte Implikation in ihrer Geltung aufgehoben wird, da die Folgerung zur Unentscheidbarkeit führt, pointiert verknappt: Ich kann nicht wissen, wie es ist, tot zu sein, bin es daher vielleicht oder auch nicht. Darin stecken natürlich unzählig weitere Probleme, ich sehe aber nicht, wie man in dieser Argumentation den Widerspruch so einfach abschütteln könnte.
Man müsste im Ausgang von "Irgendein spezielles Wissen darüber, wie es ist, tot zu sein, ist weder für die Unterscheidung noch für meinen Zweifel Voraussetzung" vielmehr erst einmal herausfinden, was denn die nicht-speziellen, vielmehr allerallgemeinsten Bedingungen (und nicht nur die des Wissens) für eine solchen Überlegung und die Unterscheidung darstellen, die sich nicht verwerfen lassen, ohne die Bedeutung der semantischen Impermeabilität und ihre Folgerungen zu destabilisieren.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 06.02.2021 um 18:36 Uhr (Zitieren)
Der Traum des Zhuang Zi
Einst träumte (meng - 夢) Zhuang Zhou (d. i. Zhuangzi), daß er ein Schmetterling wurde (wei -為), der beschwingt umherflatterte. Er hatte Freude an sich und folgte allen seinen Regungen (wtl: „er paßte zu seinen Regungen“; shi²zhi² - 適志).
Dabei wußte er nicht (buzhi - 不知), daß er Zhuang Zhou war. Plötzlich wurde er wach (jue -覺); da war er Zhuang Zhou – ganz eindeutig nur dieser. Nun weiß man nicht (buzhi - 不知), ob es Zhuang Zhou war, der geträumt hat, er sei ein Schmetterling geworden, oder ob es ein Schmetterling war, der geträumt hat, er sei Zhuang geworden. Es gibt aber gewiß zwischen Zhuang Zhou und einem Schmetterling einen Unterschied. Dies ist damit gemeint, wenn gesagt wird: „Die Wesen unterliegen dem Wandel (wuhua - 物化)“.
Ist Zhuangzi der Träumer oder ist er der Traum des Schmetterkings? Das kann Zhuangzi nie mit Sicherheit wissen.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 07.02.2021 um 12:56 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Sana schrieb am 07.02.2021 um 15:05 Uhr (Zitieren)
Das ist super, dass hier jemand Chinesisch kann. Ich frage mich, wofür in 則蘧蘧然周也 das doppelte qu² (蘧) steht?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 07.02.2021 um 17:34 Uhr (Zitieren)
Da muss ich leider passen, Chinesisch kann ich nicht.
Ich habe nur auf der Suche nach dem Text des "Schmetterlingstraums" dieses gefunden, garniert mit chinesischem O-Text für den Kenner. Mir sind die Zeichen Deko.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 07.02.2021 um 23:03 Uhr (Zitieren)
Beim "Schmetterlingstraum" habe ich den Eindruck, daß es sich da nicht um eine Paradoxie handelt, sondern um eine systematische Unsicherheit mangels Kriterium, um Traum von Wirklichkeit zu unterscheiden.
filix ist da vermutlich anderer Ansicht, weil es sich um einen analogen Fall zur Ungewißheit handelt, ob man schon tot ist.
***
Ein vergleichbarer Text:
(Victor H. Mair (Hrsg.), Zhuangzi. Das klassische Buch daoistischer Weisheit. Frankfurt/Main 1998, S. 84)
***
Ganz ohne Zweifel paradox ist der folgende Text, weil er sich selbst aufhebt:
(Dschuang Dsi, Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Hrsg. von Richard Wilhelm. Düsseldorf/Köln 1969, S. 226 f.)
(Der wird wohl im Parallelthread schonmal vorgekommen sein.)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 08.02.2021 um 11:57 Uhr (Zitieren)
Im Traum des Zhuang Zi, so wie er oben in dt. Übersetzung steht, stellt sich die paradoxe Struktur m.E. zunächst nicht so unvermittelt her, da im Grunde nur Behauptungen eines externen Beobachters oder, genauer gesagt, eines auktorialen Erzählers (Nullfokalisierung nach Genette) dargeboten werden, nicht aber das Subjekt im Text selbst die kognitive Impermeabilität bezüglich seiner selbst in der Ich-Form feststellt. Der erkenntnistheoretische Status eines solchen allwissenden oder wenigstens mit dem vom Leser gewöhnlich akzeptierten Anspruch, ungehindert die Innenschau der Figuren schildern zu können, auftretenden Erzählers, verknüpft sich allerdings mit dem Peritext (in diesem Fall mit der Verfasserangabe), der nahelegt, dass Erzähler und von ihm behandelte Figur ein- und derselbe sind. Aus dieser Konstellation kann man eine Menge Paradoxien generieren.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 08.02.2021 um 13:37 Uhr (Zitieren)
So gesehen führt uns Zhuang Zi in ein Spiegelkabinett der "Realitäten"
Das macht perplex mindestens wie Sokrates.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 08.02.2021 um 13:41 Uhr (Zitieren)
Der Buddhismus kam erst lange nach meister Zhuangzi nach China, fand aber offenbar die Lehre von Illusion des Seins, der Maya, bestens vorbereitet.
Marcella schrieb am 08.02.2021 um 13:43 Uhr (Zitieren)
meister > Meister; Lehre von der Illusion
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 08.02.2021 um 22:53 Uhr (Zitieren)
Eine Rangerin aus Namibia berichtet über das Problem der Elefanten, bei zunehmender Trockenheit noch genügend Wasserstellen zu finden, und das Problem der Gartenbesitzer, bei denen die Elefanten auf der Suche nach Wasser eindringen. Nun baut man spezielle Wasserbecken für Elefanten. Die Feststellung der Rangerin:
(Weltspiegel in der ARD am 7.2.2021)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 09.02.2021 um 14:02 Uhr (Zitieren)
Ich gehe nochmals auf das "Ich weiß nicht, wie es ist, tot zu sein" ein:
Es gibt eine Reihe von Sätzen, die man nicht aussprechen kann, ohne sich selbst zu widersprechen:
• Ich existiere nicht.
• Ich bin bewußtlos.
• Ich kann kein Wort Deutsch.
• Ich zweifle an allem.
Die Frage ist, ob „Ich bin tot“ dazugehört. Das ist abhängig davon, ob man über eine Definition und ein Kriterium dafür verfügt, was Totsein bedeutet. Bei Bewußtsein bzw. Bewußtlosigkeit z.B. ist das der Fall, da hat man ein Kriterium.
Wenn man nun Totsein so versteht wie Epikur, dann ist „Ich bin tot“ in der Tat paradox. Seine Vorstellung der Nichtexistenz und Bewußtlosigkeit wird aber vielfach bestritten (von denen, die an ein Leben nach dem Tod glauben) und kann deshalb nicht ohne weiteres der Beurteilung zugrunde gelegt werden. Deshalb sage ich, daß ich nicht weiß, was es bedeutet, tot zu sein. Und dann ist der Satz „Ich bin tot“ ebensowenig paradox wie „Ich weiß nicht, ob ich tot bin“.
filix will wohl darauf hinaus, daß der letztere Satz ähnlich zu beurteilen ist wie „Ich weiß nicht, ob ich eine Erkältung habe“: Wenn man nicht weiß, ob man eine Erkältung hat, dann hat man keine. Das liegt aber nur daran, daß Erkältetsein mit der Empfindung, erkältet zu sein, verbunden ist. Hingegen „Wenn man nicht weiß, ob man einen Herzinfarkt (gehabt) hat, dann hat man keinen (gehabt)“ ist falsch. We-gen der Möglichkeit des stillen, nicht von einer Empfindung begleiteten Herzinfarkts kann man nicht ausschließen, einen (gehabt) zu haben.
Und wegen der Möglichkeit (!), daß nach dem Tod eine Art von Leben folgt, dessen Eigenschaften wir nicht kennen, ist es nicht paradox zu sagen: „Ich weiß nicht, ob ich schon gestorben und in diesem Sinne tot bin.“ Daß ich keine Erinnerung daran habe, gestorben zu sein, ist kein Einwand, denn es muß nicht so sein, daß das Leben nach dem Tod mit einer solchen Erinnerung verbunden ist.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 09.02.2021 um 23:23 Uhr (Zitieren)
Ich sehe nicht ein, warum man den Zustand, tot zu sein, nach Art einer unentdeckten Krankheit (eine literarisch gewiss reizvolle Idee) betrachten sollte, die erstens nicht die Existenzweise des sprechenden Subjekts in toto angreift (denn das gehört doch zu beiden Seiten der Differenz tot/lebendig wohl dazu), zweitens, um in einem Satz vom Typ "Ich weiß nicht, ob ich einen (stillen) Herzinfarkt hatte" Sinn zu ergeben, für spezielle Vorstellungsinhalte und Entscheidungskriterien offen sein muss, also nicht vollständig kognitiv impermeabel ist. Kurzum, der Verführung zum nachfolgenden Analogieschluss nachzugeben, sehe ich mangels eines Arguments für diesen Zwischenschritt vorerst keinen Anlass.
Eine Krankheit, für die es keinerlei innerlichen oder äußerlichen Anzeichen welcher Art immer, keine Untersuchungsmethoden und Diagnosekriterien usf. gibt, verwandelt sich schnell in ein ähnlich paradoxes Unding wie der von allen speziellen Inhalten gereinigte und allen Kriterien für seinen Eintritt begrifflich entzogene Tod, der nur noch eine wissens- und erfahrungsmäßig unerreichbare Seite einer in binärer Oppostion angelegten Differenz markiert (tot ist nicht lebendig, lebendig ist nicht tot).
Was sollte der sonst noch sein, weisen wir alle psychischen und physischen Empfindungen, alles sozial vermittelte Wissen, die stumme Einrede der Leichen, die Versicherungen der Nächsten und Umstehenden wie der Ärzte, Priester und Verwalter, die auf Unterscheidung beharren, zurück? Ist er begrifflich nicht mehr, impliziert, dabei bleibe ich, "Ich weiß nicht, wie es ist, tot zu sein", dass ich es nicht bin. Oder die Rede wird überhaupt sinnlos. Deshalb schrieb ich weiter oben, man müsse erst einmal die allerallgemeinsten Voraussetzung einer solchen Epoché widerstehenden Definition von tot/lebendig analysieren.
Was möglich ist, ist gewöhnlich nicht wirklich, soll hier aber offenbar heißen: möglicherweise schon eingetreten, also wirklich, jedoch unentdeckt. Ich bin folglich womöglich schon tot, weiß es nur noch nicht. Die in diesem Lichte eigenartige Rede von "nach dem Tod" markiert dann bloß eine Wissensdifferenz. Wäre der Tod sozusagen eine Art stiller Herzinfarkt der Existenz, müsste, um die Analogie zu bemühen, es Kriterien geben, herauszufinden, dass er sich in der Vergangenheit ereignet hat. Der Sinn einer solchen Rede liegt darin, das Ereignis vom Wissen zu trennen. Das Wissen schafft nicht das Ereignis, man hat also nicht einen stillen Herzinfarkt dadurch erlitten, dass man um ihn weiß. Entsprechendes gilt für das womöglich schon eingetretene Leben nach dem Tod, es müsste also Kriterien geben, um herauszufinden, dass es schon eingetreten ist, die aber als unverfügbar behauptet werden. Sind sie es, weil man noch nicht gestorben ist, so entsteht in der Argumentation die Paradoxie, dass weil man noch nicht tot ist, nicht wissen kann, ob man es schon ist. Wird hingegen eine prinzipielle Unmöglichkeit angesetzt, durch irgendeine eine vom Wissen unterschiedene Existenztransformation in den Besitz solcher Kriterien zu gelangen, stellt sich die Frage, wie man das argumentieren sollen, ohne in allerlei Paradoxien zu geraten? Wie soll in solchen Verhältnissen ein Nichtwissenkönnen um den Eintritt eines fundamentalen Existenzustandes anders begründet werden als unter der Implikation seines Nichteintritts?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 09.02.2021 um 23:26 Uhr (Zitieren)
argumentieren sollen kann
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 10.02.2021 um 01:47 Uhr (Zitieren)
Hier kann man, Stichwort Cotard-Syndrom, nachlesen, welche zersetzende Kraft entfaltet, was hier als unterhaltsame Spekulation auftritt, wird es empfunden und zur Überzeugung:
Γραικύλος schrieb am 10.02.2021 um 16:32 Uhr (Zitieren)
Der Hinweis auf das Cotard-Syndrom ist interessant. Er erinnert mich an folgendes Erlebnis: Mit einer Schülergruppe habe ich eine psychiatrische Klinik besucht, wo uns der Chefarzt Informationen zu verschiedenen Geisteskrankheiten gegeben hat. „Das Auffallende an einer Psychose“, so sagte er unter anderem, „besteht darin, daß die Betroffenen vollkommen sicher sind, in der Wirklichkeit zu leben, und wir, die anderen, seien die mit der verzerrten Wahrnehmung.“
Dazu kam von mir spontan die Frage: „Wie können wir, die wir genau diese Überzeugung haben, dann sicher sein, nicht psychotisch zu sein?“
Ob dem Chefarzt diese Frage schonmal gekommen war, weiß ich nicht; er wirkte jedenfalls nicht allzu überrascht und meinte: „Wenn Sie daran zweifeln, ob Sie psychotisch sind, dann sind Sie es nicht. Denn für den Psychotiker ist gerade die vollkommene Sicherheit typisch.“
Nun, das ist ein empirisches, kein logisches Kriterium; und doch erinnert es mich an Deinen Standpunkt: Wenn ich daran zweifle, ob ich tot bin, dann kann ich es nicht sein.
Das Argument des Arztes habe ich verstanden; das ist ein Kriterium, und es hat weitreichende Folgen.
Ich weiß immer noch nicht, ob Du das Werk Philip K. Dicks kennst, dessen Lebensthema das war. Unter Umständen schreibe ich jetzt also etwas, das Dir schon bekannt ist.
PKD hat eines Tages am Himmel ein großes, metallenes, böses Gesicht gesehen, und diese Wahrnehmung blieb ihm für mehrere Tage. (Diese Erfahrung hat er zu seinem Roman „The Three Stigmata of Palmer Eldritch“ verarbeitet.) Später hat er zweimal ein Gotteserlebnis gehabt – ein Wesen, das er VALIS (Vast Active Living Intelligent System) nannte (Grundlage seiner VALIS-Trilogie). Auffallenderweise hat er immer, lebenslang, daran gezweifelt, ob er etwas Wirkliches erlebt hatte oder einer Wahnvorstellung erlegen war. Im VALIS-Fall hat das zu ca. 10000 Seiten Reflexionen (nur in Auszügen veröffentlicht) geführt, in denen er Pro und Contra abgewogen hat, aber nie unreflektiert davon ausgegangen ist, daß es Wirklichkeit war. (Ich frage mich, ob Moses und Mohammed ähnlich skrupulös mit ihren Erfahrungen umgegangen sind.)
Nach dem eben erwähnten Kriterium kann PKD nicht psychotisch gewesen sein – und es ist auch nie eine Psychose bei ihm diagnostiziert worden. Neurosen schon, in Menge, aber keine Psychose. Daß PKD immer wieder seinen eigenen Vorstellungen, auch den entsetzlichsten, eine (galgen-)humorige Seite abgewinnen konnte, spricht im Sinne des Chefarztes ebenfalls gegen eine Psychose. („Daß ich an Verfolgungswahn leide, heißt noch lange nicht, daß sie nicht hinter mit her sind.“) Psychotiker sind humorfrei, was ihre Grundüberzeugungen angeht.
Post mortem ist bei PKD eine Schläfenlappen-Epilepsie vermutet worden; aber auch dies ist nicht das Resultat irgendeiner medizinischen Diagnose zu Lebzeiten.
Der als „Bladerunner“ verfilmte PKD-Roman basiert auf der Frage, ob die verschiedenen Akteure Menschen oder Androiden sind – wobei wir Leser bzw. Zuschauer im Laufe der Handlung immer unsicherer werden, wer was ist und ob wir nicht am Ende selbst Androiden sind. Zur Unterscheidung gibt es den sog. Voigt-Kampff-Test, der die Frage angeblich beantworten soll; in einer Schlüsselszene wird der Androiden-jäger, der sich mit großer Selbstverständlichkeit für einen lupenreinen Menschen hält, zu seiner Verblüffung gefragt: „Haben Sie eigentlich den Voigt-Kampff-Test schonmal mit sich selber machen lassen?“
Und dann in dem Roman UBIK das Problem eines Menschen, der sich für lebendig hält, im Laufe der Zeit jedoch herausfindet, daß er in Wahrheit tot ist. Die Kriterien dafür werden im Verlauf der Handlung nach und nach durch seltsame Ereignisse entwickelt, die nicht in die ursprüngliche Annahme passen.
In diesen Zusammenhang gehört auch die Aussage (ich weiß nicht mehr, bei wem ich sie gelesen habe), daß Alan Turing den Turing-Test vor allem deshalb entwickelt habe, weil er selbst den Verdacht gehabt habe, ein Computer-Programm zu sein.
In allen diesen Fällen geht es für uns primär um eine unterhaltsame Spekulation – für Dich vielleicht noch mehr als für mich, der ich durch diese Möglichkeiten schon existentiell etwas beunruhigt bin. Und es geht, intellektuell gesehen, um mögliche Kriterien, durch die wir den Unterschied feststellen können. Ich wäre beruhigter, wenn ich sie klarer erkennen könnte ... oder wenn wir uns auf welche einigen könnten.
Wie gesagt, die Äußerung des Chefarztes erschien und erscheint mir zumindest klar verständlich: Wer zweifelt, ist weder wahnsinnig noch gar tot. Das ist zunächst beruhigend. Aber ob es zutrifft? Gerne hätte ich das Gespräch mit dem Arzt fortgesetzt, wenn er denn die Zeit dazu gehabt hätte: Was ist, wenn jemand ein riesiges Gesicht am Himmel sieht (sieht!), aber daran zweifelt, ob das wirklich oder ob er wahnsinnig geworden ist?
Das ist mir noch nicht passiert. Ebenso hatte ich noch nicht ernsthaft das Gefühl, tot zu sein. Falls ich aber eines Morgens am Badezimmerspiegel links unten einen kleinen Klebezettel sehen sollte, auf dem „UBIK“ steht, dann ahne ich, daß es jetzt losgeht. Mit dem Wahnsinn oder mit dem Totsein.
Die Erlebnisse in meinem Leben, für die ich keinerlei Erklärung habe und die sich nicht recht in die naturgesetzlich geregelte Weltordnung fügen wollen, sind zum Glück bisher episodischer Natur und zu selten, als daß ich ernsthaft in Betracht ziehen müßte, daß mit meinen Annahmen über mich und die Welt etwas grundlegend nicht stimmt.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 10.02.2021 um 16:44 Uhr (Zitieren)
Bekannt dürfte sein die Verfilmung einer PKD-Kurzgeschichte: "Total Recall".
Darin weiß der Protagonist nicht (und wissen wir nicht), ob er ein Bauerarbeiter auf der Erde ist, der sich für einen Mars-Agenten hält, oder ein Mars-Agent, der sich für einen Bauarbeiter auf der Erde hält.
Klingt wie die SF-Version des Schmetterlingstraums.
PKD kannte sich gut genug in asiatischem Denken aus, um ihm hier ein Anleihe zuzutrauen. "The Man in the High Castle" (kürzlich von Amazon verfilmt) hat er nach dem I Ging geschrieben. Da taucht die 'wirkliche' Vergangenheit (daß Deutschland und Japan den Zweiten Weltkrieg verloren haben) als fiktive Version innerhalb einer Fiktion (daß Deutschland und Japan den Zweiten Weltkrieg gewonnen haben) auf.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 10.02.2021 um 21:40 Uhr (Zitieren)
Mit PDK habe ich mich nur wenig befasst, die kursorische Lektüre hat mich nie so gefesselt, dass das Bedürfnis sich eingestellt hätte, sie zu vertiefen. Die Sache mit dem Turing-Test ist natürlich wunderbar - se non è vero, è molto ben trovato - und eine Nährlösung für allerlei Überlegungen zu Paradoxien im Zusammenhang mit solchen Verfahren.
Ich denke, die tiefere Ursache, warum wir uns nicht einig sind, hängt mit einer Bedeutungsdimension von Sätzen des Typ „Ich existiere“, „Ich lebe“ usf. zusammen, die gewissermaßen über aller vorgetragenen Argumentation schwebt.
Zu sein, zu leben ist eben auch eine Art unhintergehbares Grundgefühl, das diskursiv nicht herzustellen oder einzuholen, jedoch Voraussetzung aller Kriteriologie ist, gerät das Subjekt in eine Krise, die es daran zweifeln lässt, ob es lebt oder tot ist.
Diese Krise wird hier, mit unterschiedlichem Beunruhigungspotenzial, spielerisch evoziert, bricht beim Cotard-Syndrom und Verwandtem aber offenbar vor aller Überlegung unf Argumentation, deren Verständnis es mitbedingt, aus.
Metaphorisch gesprochen spielen wir auf hoher See aus Abenteuerlust ein bisschen mit der Steuerung, um die Orientierung zu verlieren und vom Kurs abzukommen, während im Ernstfall ein Brand im Maschinenraum das Schiff auf eine äußerst unangenehme, unkontrollierbare Reise durch die Meere des Wahnsinns schickt.
Ich vermute, dass dir aus angedeuteten existenziellen Motiven mehr daran gelegen ist, diese resistente Krise des Grundgefühls, die im Satz „Ich kann nicht wissen, ob ich tot bin oder lebe“ sich abzeichnet, als solche einzuholen und sichtbar zu machen, wogegen ich mich mehr mit der Methode ihrer vermittelnden Herstellung durch Argumentation, in der ich besagte Widersprüche orte, befasse. Dass diese sich als argumentativ defekt oder paradox erweist, ändert natürlich nichts daran, dass die Krise des Grundgefühls virulent bleibt, von diesem Zweifel kann man so nicht abgebracht werden. So gesehen reden wir wahrscheinlich aneinander vorbei.
Man könnte jedenfalls den fiktiven sokratischen Dialog mit all diesen Aspekten spielend erweitern, einschließlich des Auftritts eines antiken Psychiaters avant la lettre.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 17.02.2021 um 15:43 Uhr (Zitieren)
(Zülfü Livaneli: Der Eunuch von Konstantinopel)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 17.02.2021 um 20:45 Uhr (Zitieren)
Wow!
Ist das ein Paradoxon? Das wahre Wort ist nicht schön, das schöne Wort ist nicht wahr. Lao Dse
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 18.02.2021 um 12:46 Uhr (Zitieren)
(Gedicht 81 in der üblichen Zählung)
Das ist m.E. nur dann paradox, wenn der Verfasser behauptet, seine Worte seien nicht nur wahr (was wir ihm unterstellen dürfen), sondern auch schön.
Eindeutiger liegt der Fall in Gedicht 56:
Das ist einer der (redenden) Texte, wie sie auch im Zhuangzi vorkommen: die sich nämlich selbst dementieren.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 19.02.2021 um 16:03 Uhr (Zitieren)
(Leonard Nelson: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. Vortrag vom 11. April 1911; in: Leonard Nelson, Vom Selbstvertrauen der Vernunft. Schriften zur kritischen Philosophie und ihrer Ethik. Hrsg. v. Grete Henry-Hermann. Hamburg 1975, S. 55 f.)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 20.02.2021 um 16:34 Uhr (Zitieren)
(Egon Friedell; zitiert nach: Kultur ist Reichtum an Problemen. Extrakt eines Lebens gezogen und vorgesetzt von Heribert Illig. Zürich 1989, S. 20)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Mitleser schrieb am 21.02.2021 um 11:16 Uhr (Zitieren)
Was soll damit gemeint sein?
Wie glaubt ein Organismus?
Beispiel?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 21.02.2021 um 23:56 Uhr (Zitieren)
Den Gedanken, daß der Leib "glaube" und darin stärker sei als der Geist, hat Friedell vermutlich von Nietzsche übernommen.
Im Volksmund läßt man sich vom Herzen oder vom Bauchgefühl leiten, und nach heutigem Verständnis sind es die im Darm oder noch tiefer gebildeten Hormone, die uns steuern. Zumindest was Männer angeht, hat der Volksmund auch dafür eine Bezeichnung.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 22.02.2021 um 11:31 Uhr (Zitieren)
Also nicht nur Bauchhirn-und -intelligenz, sondern auch Bauchglauben.
Das würde ja so manches erklären. Damit könnte eine Flatulenz religiöse Wirkungskraft gewinnen.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 25.02.2021 um 16:47 Uhr (Zitieren)
(John Dos Passos: Manhattan Transfer. Reinbek ²2016, S. 231)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 10.03.2021 um 10:22 Uhr (Zitieren)
Die "Glaubensgewissheit" oder auch die "Glaubenstatsache":
(so die "Erkenntnis (!) dieser dreifachen Glaubenstatsache: Christus im Vater, wir in Christus, Christus in uns" usw., leicht zu googlen.)
Geht´s paradoxer?
Oder meinen die Theologen lediglich, es sei gewiss und unbezweifelbar, dass ich glaube? Die Erkenntnis wäre ein cogito. Das führt jedoch nicht weit.
Der Tatsachenbegriff hat auf der Ebene des
Glaubens eine eigene Bedeutung, die von der
üblichen abweicht. So wird ein Theologe wohl
argumentieren.
Die Auferstehung ist kein historisch festzumachendes Faktum,
für den Glaubenden dennoch ein Faktum, ein Faktum sui generis.
Glaubenstatsachen sind "Fakten" für den, der
glaubt, weil sie zur Basis seines Glaubens zählen.
Nimmt man die Auferstehung weg, bricht das
Christentum in sich zusammen.
Der von dir zitierte Satz wird spätestens nach dem 1. Komma
problematisch. Denn
was soll das dann Folgende bedeuten?
"Christus in uns" spielt auf das paulinische
"Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt
in mir" an.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Johannes schrieb am 10.03.2021 um 13:47 Uhr (Zitieren)
Der Tatsachenbegriff hat auf der Ebene des
Glaubens eine eigene Bedeutung, die von der
üblichen abweicht. So wird ein Theologe wohl
argumentieren.
Die Auferstehung etwa ist kein historisch festzumachendes Faktum,
für den Glaubenden dennoch ein Faktum, ein Tatsache sui generis.
Glaubenstatsachen sind "Fakten" für den, der
glaubt, weil sie zur Basis seines Glaubens zählen.
Nimmt man die Auferstehung weg, bricht das
Christentum in sich zusammen.
Der von dir zitierte Satz wird spätestens nach dem 1. Komma
problematisch. Denn was soll das dann Folgende bedeuten?
"Christus in uns" spielt auf das paulinische
"Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt
in mir" an (Gal 2,20).
Hier gilt: In einer Fachsprache können Begriffe Bedeutungen haben,
die sie im Alltag so nicht haben, ja dieser sogar widersprechen.
Sagt nicht sogar ein berühmter Theologe?
Credo, quia absurdum. (Tertullian)
Als Argument wird auf das Geheimnis bzw.
die Unbegreiflichkeit Gottes verwiesen, was
immer das konkret bedeuten mag.
In kurzer Blick in die Dogmengeschichte zeigt, wie schwer man sich
mit klaren Begriffsdefinitionen tat mit fatalen, blutigsten
Konsequenzen (Ketzervefolgung).
vgl:
Franz Buggle: Denn sie wissen nicht, was sie glauben.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 10.03.2021 um 13:52 Uhr (Zitieren)
Ein hübscher Ausdruck, irgendwie postfaktisch.
Ich kann mir eine objektive Faktizität (physikalische Tatsachen: es regnet jetzt hier) und daneben eine subjektive Faktizität (psychische Tatsachen: ich habe Schmerzen) vorstellen.
"Ich glaube etwas" wäre dann eine subjektive Tatsache. Aber von einem objektiven Sachverhalt: der physikalischen 'Tatsache' der Wiederauferstehung eines Toten?
Klingt komisch. Klingt wie eine μετάβασις εἰς ἄλλο γένος.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Johannes schrieb am 10.03.2021 um 15:12 Uhr (Zitieren)
Γραικύλος schrieb am 10.03.2021 um 15:29 Uhr (Zitieren)
Für meinen Vater war es eine wichtige Frage, ob er seine Frau wiedersehen werde. Der Priester hat ihm gesagt: ja.
Die theologische Antwort hätte ihm nicht geholfen. Theologen sind das eine, Seelsorger das andere.
Mit Marcella meine ich allerdings, daß dieser Glaube von Gewißheit unterschieden werden sollte. (Auch ich bin kein Seelsorger.)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 11.03.2021 um 23:25 Uhr (Zitieren)
(Lothar Matthäus in der Frankfurter Allgemeine vom 10. März 2021)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Aurora schrieb am 12.03.2021 um 06:39 Uhr (Zitieren)
Marcella schrieb am 17.03.2021 um 12:32 Uhr (Zitieren)
Das viele Lesen hat uns eine gelehrte Barbarei beschert. Lichtenberg - eher Oxymoron
Wenn ich nichts mehr zu leben habe, schreib´ ich mein Leben. Jean Paul
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 17.03.2021 um 18:48 Uhr (Zitieren)
Ich freue mich über alle Beiträge zu diesem Thema ... möglichst mit Angabe der Fundstelle.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 17.03.2021 um 20:09 Uhr (Zitieren)
Lichtenberg: Sudelbücher Heft F (1085). Die Angabe stammt aus dem Internet. Selber fand ich es in meinem Scrap-book - ohne Quellanngaben.
Jean Paul: Ideengewimmel 389
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 17.03.2021 um 23:22 Uhr (Zitieren)
Danke für die Information.
Jetzt habe ich aber noch eine neue Frage: Was ist ein Scrap-book?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 19.03.2021 um 13:07 Uhr (Zitieren)
Das Scrapbook (scrap= u.a.Zeitungssausschnitt)
benutze ich, um allerlei interessante Zitate,Zeitungsausschnoitte,Einfalle festzuhalten. U.a.existiert darin schon eine schöne Sammlung von "suprema verba morientium" .
Frappierende Todesanzeigen sammle ich ebenfalls ,u.a.findet sich bei einer der Spruch "Den Holocaust überlebte sie, sie starb unter der Corona-Diktatur".
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 19.03.2021 um 14:04 Uhr (Zitieren)
Verstehe. Zu den letzten Worten könnte ich Dir eine eigene Sammlung (als Word-Datei) schicken, möchte allerdings angesichts unseres Trolls derzeit meine E-Mail-Adresse hier nicht angeben.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 19.03.2021 um 14:08 Uhr (Zitieren)
An Todesanzeigen habe ich nur einige paradoxe gesammelt:
1.
Seien wir Realisten und versuchen das Unmögliche.
[FAZ am 14.1.2015, Todesanzeige des Managers Günther Cramer]
2.
Du bist nicht mehr da, aber überall wo wir sind.
[Todesanzeige Wolfgang Theile, FAZ vom 10. Oktober 2020]
3.
auf dem rücken liegend
manchmal genügt es
einem fluss zuzusehen
die augen geschlossen
urs jaeggi
[Todesanzeige für Urs Jaeggi in der FAZ vom 20. Februar 2021]
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 09.05.2021 um 13:06 Uhr (Zitieren)
Ich fühle mich denen überlegen, die sich anderen überlegen fühlen.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Andreas schrieb am 09.05.2021 um 13:50 Uhr (Zitieren)
Worin genau soll die Paradoxie bestehen?
Leute, die sich gern überlegen glauben, irren sich oft.
Wenn du ihren Irrtum durchschaust, kannst du dich zu Recht
überlegen fühlen.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 09.05.2021 um 13:59 Uhr (Zitieren)
Gemeint: Ich fühle mich all denen überlegen, die ... (und bin doch einer von ihnen --> ich fühle mich mir selbst überlegen).
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 19.05.2021 um 14:42 Uhr (Zitieren)
(Samuel Beckett, Gedichte. Wiesbaden 1959, S. 54 f.)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 23.07.2021 um 17:30 Uhr (Zitieren)
(Quelle: Das Kind in der Wanne)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 31.07.2021 um 14:07 Uhr (Zitieren)
(Geoffrey Chaucer: Die Canterbury Tales. München 1974, S. 391 f.)
Der Verweis auf Seneca ist mir rätselhaft.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filx schrieb am 31.07.2021 um 20:57 Uhr (Zitieren)
As seith Senek in De ira 1,18,3.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Aurora schrieb am 01.08.2021 um 07:35 Uhr (Zitieren)
Γραικύλος schrieb am 01.08.2021 um 10:33 Uhr (Zitieren)
Ach, Gn. Calpurnius Piso, bekannt durch seinen tödlichen Konflikt mit Germanicus, war der "Richter"!
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 18.08.2021 um 15:06 Uhr (Zitieren)
Der Folterer Dulics, der eben Ostojin grausam zu Tode gequält hat mit der Angst im Nacken, dass sein Sohn, Igelchen genannt, zuhause durch Gottes rächende Hand an einer Krankheit sterben könnte, erfährt am Telefon von seiner vor Glück schluchzenden Frau, dass es mit dem Jungen aufwärts gehe, das Fieber nachgelassen habe.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 19.08.2021 um 13:18 Uhr (Zitieren)
Zu formelhaften Paradoxien in der Musikkritik:
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 31.08.2021 um 15:38 Uhr (Zitieren)
Im Rahmen der Konflikte zwischen Indern und Schwarzen in Südafrika flammen immer wieder gewalttätige Auseinandersetzungen auf, speziell in dem von beiden Bevölkerungsgruppen bewohnten Ort Phoenix. So hat die linksradikale Oppositionspartei „Economic Freedom Fighters (EFF)“ zu einer Demonstration aufgerufen unter dem Motto:
[Quelle: Frankfurter Allgemeine vom 31. August 2021]
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 06.09.2021 um 16:54 Uhr (Zitieren)
Das Paradox des Kreters Epimenides findet sich auch bei Paulus (Titus-Brief 1, 12) angedeutet:
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Aurora schrieb am 07.09.2021 um 07:55 Uhr (Zitieren)
Γραικύλος schrieb am 07.09.2021 um 14:34 Uhr (Zitieren)
Das ist eine gute Übersicht. Danke für den Hinweis.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 07.09.2021 um 18:36 Uhr (Zitieren)
Das Marathon-Paradox: Ausdauersport verlängert die Lebenserwartung, der Wettkampf verkürzt sie durch Schädigung des Immunsystems.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 08.09.2021 um 15:13 Uhr (Zitieren)
Das tragische Paradox:
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 25.10.2021 um 13:50 Uhr (Zitieren)
[Graffito aus Ostia; CIL 4, 2254; zitiert nach: Detlev Fehling, Phallische Demonstration; in: Ethologische Überlegungen auf dem Gebiet der Altertumskunde (Zetemata 61). München, S. 7-38; Nachdruck in: Sexualität und Erotik in der Antike. Hrsg. v. Andreas Karsten Siems. Darmstadt 1988, S. 233-323, hier: S. 304 f.]
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 25.10.2021 um 21:45 Uhr (Zitieren)
Ich hoffe, das muß man nicht übersetzen, auch wenn man πυγίζω nicht im Schulgriechisch lernt.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Andreas schrieb am 26.10.2021 um 11:23 Uhr (Zitieren)
Man müsste nur sagen:
Der zuvor genannte Satz besteht nicht aus sieben
Wörten. Problem beseitigt.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 01.12.2021 um 18:08 Uhr (Zitieren)
Den Satz durch einen anderen zu ersetzen, löst m.E. das Problem nicht bzw. nur dann, wenn man die Paradoxie unbedingt vermeiden will.
Der metasprachliche und typentheoretische Ansatz zur Vermeidung von paradoxer Selbstreferenzialität hat mich noch nie befriedigt.
Aber es führt vielleicht zu weit, das hier in extenso auszuführen. Sagen wir: Das Problem ist umstritten und offen. Es gibt sogar eine (formalisierbare) "parakonsistente Logik". Ferner ist mir noch Gotthard Günther mit "Idee und Grundriß einer nicht-aristotelischen Logik" in Erinnerung - beides nach und trotz Russell & Tarski.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
aurora schrieb am 02.12.2021 um 09:08 Uhr (Zitieren)
Neulich las ich Folgendes:
Es gibt Fragen, die man zwar klar mit Ja oder Nein beantworten könnte,
aber nie damit beantworten würde?
Wie könnte eine solche lauten?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 02.12.2021 um 10:49 Uhr (Zitieren)
Ist es der Typ: Ist es wahr, dass Sie vor zwei Wochen Ihre Frau zum letzten Mal geohrfeigt haben?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 02.12.2021 um 23:13 Uhr (Zitieren)
Da kann ich mir viele Fragen vorstellen, z.B. der von Marcella genannte Typ.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 03.12.2021 um 12:13 Uhr (Zitieren)
Die heimliche Ersetzung des Referenten erzeugt es ja erst, für den Satz vom ausgeschlossenen Dritten ist der Satz der Selbstidentität Voraussetzung, der durch die Hinzufügung der Negationspartikel verletzt wird, i.e. A = A hieße "Dieser Satz besteht aus sieben Wörtern" = "Dieser Satz besteht nicht aus sieben Wörtern".
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 03.12.2021 um 12:51 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 09.12.2021 um 00:38 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 09.12.2021 um 11:23 Uhr (Zitieren)
Orhan Pamuk schreibt über die vier Istanbuler Schriftsteller Abdülhak Șinasi Hisar, Yahya Kemal, Ahmet Hamdi Tanpınar sowie Reşat Ekrem Koçu:
(Orhan Pamuk: Istanbul. Frankfurt/Main ³2010, S. 192)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 09.12.2021 um 14:38 Uhr (Zitieren)
Netflix, das keinen konventionellen Kinovertrieb besitzt und mitverantwortlich gemacht wird für das Verschwinden jenes magischen Ort der Moderne, des Saalkinos oder Filmtheaters nämlich, hat David Finchers Huldigung Voir: a collection of visual essays about the love of cinema produziert. Schon der Teaser zeigt jede Menge Versatzstücke dieser Magie untermalt von den unvermeidlichen Klangflächen der minimal music: lange Sitzreihen voller gespannter Kinogeher, große Leinwände, den Lichtkegel des Projektors, in dem der Staub tanzt & c., nichts jedoch, was an die fragmentierte Privatheit des Streamers erinnert:
Γραικύλος schrieb am 17.02.2022 um 23:46 Uhr (Zitieren)
(Stanislaw Jerzy Lec: Sämtliche unfrisierte Gedanken. Hrsg. v. Karl Dedecius. München/Wien 1996, S. 43)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 18.02.2022 um 00:10 Uhr (Zitieren)
(Gregor Gysi: Ein Leben ist zu wenig. Die Autobiographie. Aufbau Verlag, Berlin 2017, Prolog)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 04.03.2022 um 10:39 Uhr (Zitieren)
"Wenn das menschliche Gehirn so einfach wäre, dass wir es verstehen könnten, dann wären wir so einfach, dass wir es nicht verstehen würden".
Emerson Pugh 1977, Motto der Ausstellung "Das
Gehirn" in der Bundeskunsthalle.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 04.03.2022 um 14:56 Uhr (Zitieren)
Das ist sehr schön, dafür bedanke ich mich. Ich sammele Paradoxien.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 05.03.2022 um 00:23 Uhr (Zitieren)
Dann hätte ich noch einen für Dich, schon als Dankeschön für die bemerkenswerten altchinesischen Gedichte:
"Wenn alle Stricke reißen, häng´ich mich auf, aber erst dann." Nestroy
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 05.03.2022 um 13:15 Uhr (Zitieren)
Kannst Du mir, bitte, dafür die Fundstelle angeben?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 05.03.2022 um 15:13 Uhr (Zitieren)
Leider nein.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 05.03.2022 um 20:07 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 06.03.2022 um 14:02 Uhr (Zitieren)
Das ist schön, ich danke.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 07.03.2022 um 14:56 Uhr (Zitieren)
filix bringt´s mal wieder. Das Zitat fand ich so in meinem Scrapbook vor. Die durchaus sinnvolle Zuspitzung ist nicht von mir, das hat ein anderer "verbrochen" . Zum Trost ein belegtes Zitat.
Kafka wird in einem Artikel von Nils Minkmar in der SZ vom 25.2.22 bezeichnet als der "zum Verrücktwerden klarsichtige Prager Jurist" . Ist das aber nicht eher ein Oxymoron?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 08.03.2022 um 14:27 Uhr (Zitieren)
[Jazz-Standardtitel aus dem Broadway-Musical „Flying Colors” (1932)]
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 08.03.2022 um 14:27 Uhr (Zitieren)
kleines Omega
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Aurora schrieb am 12.03.2022 um 09:23 Uhr (Zitieren)
Die EU gibt der Ukraine weitere 500 Millionen Euro
aus einem Friedensfond für den Kauf von Waffen wie immer und des Menschen Gier
sowieso nicht.
Der einen Tod, der anderen Dividende und Rendite.
Der Markt kennt keine Moral.
Gleichzeitig werden Aktien von Rüstungsfirmen
als Geldanlage von Börsenprofis empfohlen.
Stell dir vor: Sie wollen dir Rüstungsaktien
verkaufen und keiner will sie haben!
Schön wär's.
Aurora schrieb am 12.03.2022 um 12:20 Uhr (Zitieren)
*Der Markt kennt keine Moral wie immer und des Menschen Gier
sowieso nicht.
Da muss etwas verrutscht sein.
Gut, dass ich nochmal reingeschaut habe.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 12.03.2022 um 13:42 Uhr (Zitieren)
(Frankfurter Allgemeine vom 9. März 2022)
Hier kann man sehen: Die Sorge um das Ansehen beschädigt das Ansehen.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Bukolos schrieb am 12.03.2022 um 20:19 Uhr (Zitieren)
Die eigentliche Paradoxie besteht doch darin, dass ein Organ der Mediendemokratie dadurch, dass es Politiker:innen als bewusste Akteure im PR-Spiel vorführt, suggeriert, es sollte anders sein.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 12.03.2022 um 21:06 Uhr (Zitieren)
Daß es anders sein sollte, hat Frau Spiegel heute im Untersuchungsausschuß dadurch bestätigt, daß sie es geleugnet hat, so vorgegangen zu sein.
(Es ist keine geringe Bestätigung einer Norm, wenn selbst der, der gegen sie verstößt, versichert, sich daran zu halten.)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 18.04.2022 um 14:32 Uhr (Zitieren)
[Meldung von „Outlook“ über seine Tastenkombinationen am 10.4.2022]
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 18.04.2022 um 14:34 Uhr (Zitieren)
Γραικύλος schrieb am 18.04.2022 um 14:35 Uhr (Zitieren)
[Ernst Friedrich, 1924]
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 20.04.2022 um 07:00 Uhr (Zitieren)
Oder: Fighting for peace is like fucking/raping for virginity.
War dieser 68er Spruch tatsächlich noch nicht im Thread?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 20.04.2022 um 13:08 Uhr (Zitieren)
Nein, der ist hier noch nicht vorgekommen. Deine Erwähnung bringt erst jetzt diese Erinnerung bei mir wieder hoch.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 05.05.2022 um 14:17 Uhr (Zitieren)
(Wolf Biermann: Elegie im 86. Jahr; zitiert nach: Nun schließt mein Lebenskreis sich höllenwärts, Frankfurter Allgemeine vom 5. Mai 2022)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 07.05.2022 um 14:59 Uhr (Zitieren)
Ein bemerkenswertes Verhältnis eines Sohnes zu seinem Vater spricht aus folgendem Leserbrief (FAZ vom 7.5.2022):
Einerseits maximale Distanz ("mein Vater, der Massenmörder"), anderseits ein Bekenntnis zur Nähe ("mein Vater, der Massenmörder"). In diesem Paradox von Nähe und Distanz liegt unendlich viel.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 15.05.2022 um 15:12 Uhr (Zitieren)
Das Paradox des Fortschritts am Beispiel des antiken Rom: Ein zunehmender Wohlstand verlängerte die Lebenserwartung (keine Mangelerkrankungen), verkürzte sie aber zugleich (Krankheitskeime in öffentlichen Bädern, Brunnen usw.).
[Geheimnisse der Antike, Teil 3: Der Untergang von Rom; Buch und Regie: Jonathan Drake, GB 2021]
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 18.09.2022 um 16:20 Uhr (Zitieren)
(Aulus Gellius: Noctes Atticae XX 5)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 18.09.2022 um 16:45 Uhr (Zitieren)
Vgl. Plutarch: Alexander 7
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 19.11.2022 um 18:33 Uhr (Zitieren)
(Cicero in seiner ersten Rege gegen Catilina 8, 21)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 20.11.2022 um 14:25 Uhr (Zitieren)
War das schon erwähnt: Die Kindersterblichkeit erfolgreich zu bekämpfen, war ein Segen für die Menschen, führte aber andererseits mit dazu, dass wir jetzt acht Milliarden Exemplare davon haben. Und das ist doch eher ein Fluch?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 20.11.2022 um 22:33 Uhr (Zitieren)
Die Medizin als Segen und Fluch - nein, das kam meiner Erinnerung nach noch nicht vor.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 24.11.2022 um 17:21 Uhr (Zitieren)
Das sog. Jevons-Paradoxon, erstmals 1865 beschrieben durch William Stanley Jevons, beschreibt den merkwürdigen Effekt, dass, wenn Ressourcen effektiver genutzt werden, der Nutzen oft zunichte gemacht wird, indem umgehend mehr verbraucht wird. Effizientere Dampfmaschinen führen zu mehr und wuchtigeren Dampfmaschinen. Effizientere Motoren brachten es, das die Autos mehr und größer wurden; breitere Straßen bedeuten mehr Verkehrs-Folgeproblem usw. Das nennt man heute meist den "Rebound"-Effekt.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Andreas schrieb am 25.11.2022 um 13:44 Uhr (Zitieren)
vor allem, wenn die denselben Lebensstandard
anstreben wie wir oder gar die Amerikaner.
Γραικύλος schrieb am 07.02.2023 um 15:07 Uhr (Zitieren)
(Frankfurter Allgemeine vom 7. Februar 2023)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 27.02.2023 um 22:06 Uhr (Zitieren)
(arte Journal am 27. Februar 2023)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 28.02.2023 um 10:53 Uhr (Zitieren)
28.2.23 im WDR 5: Die Flutung der jungen Menschen mit Sex und Porno in den sozialen Medien führt manifest dazu, dass viel weniger Realsex stattfindet und das "Erste Mal" später.
Ein interessante Lösungsmöglichkeit für das Überbevölkerungsproblem?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 28.02.2023 um 14:31 Uhr (Zitieren)
Bildung, Wohlstand, Emanzipation der Frau und Pornographie senken die Geburtenrate - eine interessante Kombination!
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 18.04.2023 um 14:46 Uhr (Zitieren)
Bei der Lektüre eines FAZ-Artikels über Sexshops in Ostdeutschland ist mir heute eine schöne Paradoxie aufgefallen:
Sexshops packen ihre Ware in neutrale Einkaufstüten, um ihre Kunden nicht zu beschämen. Da alle anderen Läden Einkaufstüten mit Werbeaufdruck verwenden, weiß man beim Anblick einer neutralen Einkaufstüte: Der hat im Sexshop eingekauft.
Die Tarnung als identifizierendes Merkmal!
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Andreas schrieb am 18.04.2023 um 16:54 Uhr (Zitieren)
Der clevere Kunde bringt seine eigene Tüte
mit, die er von einem anderen, unverfänglichen
Geschäft bekommen hat.
Mit Aldi-Tüte in den Beate-Uhse-Shop.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 19.04.2023 um 13:31 Uhr (Zitieren)
Daran erkennt man, daß kluge Leute einen Sinn für paradoxe Kommunikation haben.
Überlegt habe ich mal, wie man aus der Sicht von Sexshops das Problem vermeiden kann. Einkaufstüten mit dem Aufdruck anderer Firmen (Aldi etc.) dürfen sie ja nicht verwenden.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Andreas schrieb am 19.04.2023 um 14:37 Uhr (Zitieren)
filix schrieb am 19.04.2023 um 15:51 Uhr (Zitieren)
Dass sämtliche Läden, die keine Sexshops sind, auf den Werbeträger Tragebehälter oder Transportverpackung nicht verzichten, halte ich für ein Gerücht, schließlich gibt es noch andere Motive: Irrelevanz, Werbung bei der Zielgruppe im Verhältnis zu Mehrkosten zu betreiben (der kleine Gemüsehändler um die Ecke) oder Schutz vor die Hemmschwelle für kriminelle Handlungen senkenden Hinweisen auf den Inhalt (Notebook auf dem Versandweg) et cetera.
Es kommt also eher darauf an, dass das spezifische Aussehen einer sogenannten neutralen Verpackung nicht nur für einen Nutzer typisch ist, welcher Verrat in Zeiten industrieller Massenproduktion - siehe Link - als unwahrscheinlich gelten kann.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 20.04.2023 um 13:37 Uhr (Zitieren)
Um von meinem Standpunkt noch etwas zu retten, muß ich sagen:
Den Postversand hatte ich nicht im Sinn, sondern die Erinnerung an frühere Zeiten (heute lebe ich in einem Dorf, in dem es keinen Sexshop gibt), in denen ich Leute mit schwarzen Plastiktüten ohne jeden Aufdruck aus Sexshops habe herauskommen sehen. Die Packpapiertüten kamen meiner Erinnerung nach erst später auf. Und ja, diese mögen auch von anderen Händlern benutzt werden.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 09.07.2023 um 16:00 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 29.08.2023 um 16:31 Uhr (Zitieren)
(„Nicht high wie die Hölle“; in: Frankfurter Allgemeine vom 22.8.2023)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 29.08.2023 um 16:34 Uhr (Zitieren)
(Rainer Hermann, Rezension von „Iran ohne Islam. Der Aufstand gegen den Gottesstaat“ von Katajun Arnipur; Frankfurter Allgemeine vom 8.8.2023)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 31.08.2023 um 11:23 Uhr (Zitieren)
The degree of certainty envisaged for the petition is conveyed grammatically by the proleptic use of the aorist ἐλάβετε in the ὅτι clause indicating that the outcome is regarded with such certitude that it is assumed to have been realised even before the request is made. (Christopher D. Marshall: Faith as a Theme in Mark's Narrative. Cambridge University Press, 1994, S. 170f.)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Andreas schrieb am 31.08.2023 um 12:08 Uhr (Zitieren)
Könnte hier nicht auch Perfekt stehen?
Dieser wohl ungewöhnliche Aorist wird auch hier erklärt und weitere Beispiele werden genannt:
Γραικύλος schrieb am 31.08.2023 um 23:23 Uhr (Zitieren)
(Alexander Sinowjew: Gähnende Höhen. Zürich 1981, S. 380)
Einer der seltsamsten Romane, die ich kenne. Lauter kleine Szenen, die metaphorisch die Gesellschaft der UdSSR analysieren, ohne durchgehende Handlung, das aber über 1000 Seiten.
Wie es heißt, hat Sinowjew so geschrieben, weil er ständig damit rechnete, daß seine Arbeit vom KGB unterbrochen bzw. beendet wurde.
Auf jeden Fall liebt der Autor Paradoxa.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Andreas schrieb am 02.09.2023 um 13:59 Uhr (Zitieren)
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 03.09.2023 um 15:57 Uhr (Zitieren)
Zu Andreas' Frage:
Ich bin kein Spezialist (oder Altphilologe vom Fach), aber mir will scheinen, das Perfekt wäre hier fehl am Platze. Es hat immer - in der Benennung eines Ergebnisses der abgeschlossenen Handlung - einen konkreten Bezug zur Gegenwart (hier also das konkrete In-der-Hand-Halten / die Verfügbarkeit des Erbetenen). Dies aber steht m. E. zum Futur des ἔσται in Widerspruch.
Der Aorist dürfte hier zu Recht stehen: er benennt ja die Aktion an sich, ohne deren Auswirkung zu bestimmen: Concomitant zur Aktion des Bittens ist zwar die des Erhaltens, aber durch das Futur als Haupttempus wird signalisiert, daß die Szene zunächst einmal (nur) in der Vorstellung stattfindet (wenn als Bedingung dafür das πιστεύειν gegeben ist).
Es würde mich interessieren, ob meine Erklärung (mein Empfinden) einem fachlichen Urteil (Bukolos, oder sonst ein Altphilologe?) standhalten kann.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Bukolos schrieb am 04.09.2023 um 12:30 Uhr (Zitieren)
Ob sich die Verwendung eines der beiden Tempora hier ausschließen ließe, kann ich nicht sagen. Es wäre, denke ich, in erster Linie eine Frage der Perspektivierung, ob man mit dem Aorist vom Empfangenhaben oder mit dem Perfekt vom Empfängersein spräche. Paradox in seiner Vorgängigkeit zum προσεύχεσθε καὶ αἰτεῖσθε dürfte beides sein.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 04.09.2023 um 15:51 Uhr (Zitieren)
Danke für Deinen Kommentar, Bukolos.
Du meinst also, das Perfekt (= Empfängersein) wäre (hier ) so etwas wie die Beschreibung eines Zustands (z. B.: ich habe gegessen -> ich bin satt)?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Bukolos schrieb am 04.09.2023 um 22:07 Uhr (Zitieren)
Ja, das ist wohl die häufigste Funktion des Perfektindikativs.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 07.09.2023 um 12:18 Uhr (Zitieren)
Mein Verlag teilt mir mit:
Zur Erinnerung:
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 19.09.2023 um 10:54 Uhr (Zitieren)
Theologische Paradoxa gehen zum Beispiel so: Gott hat einige Menschen, gar nicht mal so wenige, mit gleichgeschlechtlicher sexueller Orientierung ausgestattet. Aber simultan hat er sie, Rom zufolge, mit dem Auftrag ausgestattet, dieser gottgewollten Gabe zu widerstehen.
Hinterfragt man als Christ die Sinnhaftigkeit solcher Aufträge und "Erwählungen", landet man meist beim "unerforschlichen Ratschluss". Das heißt, die Nutzung der Gottesgabe des Verstandes ist freiwillig aufzugeben, will man Gottes mutmaßlichen Willen folgen. Nicht so einfach.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Johannes schrieb am 19.09.2023 um 14:54 Uhr (Zitieren)
Es ist, wie du sagst, eine reine Mutmaßung.
Weder Gott Vater noch Gott Sohn haben sich
zu diesem Thema je dezidiert geäußert.
Die Verurteilung der Homosexualität durch Paulus in Röm 1,26ff.
beruht u.a. auch auf der Unkenntnis, dass diese genetisch
oder erziehungsbedingt verursacht ist.
Wenn Gott die Vielfalt liebt, wie die Kirche
behauptet, muss diese auch für die Sexualität gelten.
Zudem ist Gott ein Vater-Mutter-Gott.
Woher sollte sonst das Weibliche theologisch sonst kommen?
Wenn Gott die Liebe ist, wer sind dann ICH und DU bei ihm?
Mir fällt dazu dieses Buch ein:
Christa Mulack,
Die Weiblichkeit Gottes. Matriarchale Voraussetzungen des Gottesbildes, 1983.
Γραικύλος schrieb am 19.09.2023 um 15:57 Uhr (Zitieren)
Nun, wo sollte Gott Vater sich dazu äußern, wenn nicht im Pentateuch? Und dort sind die Äußerungen doch sehr eindeutig, etwa Leviticus 20, 13:
Vgl. Leviticus 18, 22 und Deuteronomium 22, 5.
Ich habe mal im Netz eine hübsche Satire zum Thema "Leben nach der Bibel" gefunden, in der auch auf Homosexualität - und manches andere - Bezug genommen wird:
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 19.09.2023 um 16:16 Uhr (Zitieren)
Ich meine übrigens, daß, auch wenn Jesus sich tatsächlich nicht explizit zur Homosexualität geäußert hat, sein Verständnis von Ehe und Ehebruch, wie er es in der Bergpredigt artikuliert, schwerlich mit homosexueller Praxis in Einklang zu bringen ist - es sei denn, er hätte eine Ehe auch für Homosexuelle ins Auge gefaßt (was aber wohl jenseits seines Horizontes gelegen haben dürfte).
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Johannes schrieb am 19.09.2023 um 18:56 Uhr (Zitieren)
Diese wurde nie gehalten, sie ist eine Kompilation
und Interpretation seiner Grundansichten
und Lebensmodells.
Vom historischen Jesus wissen wir fast nichts,
wie schon Albert Schweitzer konstatierte.
Alles ist Produkt der nachösterlichen Gemeinden.
Außerdem war auch er ein Kind seiner Zeit
und religiösen Vorprägung, die er aber in
vielerlei Hinsicht gesprengt hat.
Dazu ein neueres Buch:
Martin Ebner:
Jesus von Nazaret: Was wir von ihm wissen können, 2012.
als Sonderausgabe Taschenbuch (2018)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 19.09.2023 um 21:35 Uhr (Zitieren)
Die Aussagen des Pentateuch über Homosexualität sind ja ganz eindeutig. Gegen mein Verständnis der Bergpredigt hast Du an sich keinen Einwand, hältst jedoch fest, daß sie kein authentisches Jesus-Wort sei, nicht zur "ipsissimia vox" gehöre.
Aber was soll denn dann die biblische Grundlage einer christlichen Beurteilung von Homosexualität sein?
Soetwas wie eine 'zeitgemäße Neudeutung' mag zwar menschenrechtlich sinnvoll sein, aber inwiefern ist sie biblisch? Inwiefern ist es noch christlich, wenn man sich vom "sola scriptura" freimacht? Vor allem dann, wenn wir, wie Du schreibst, fast nichts über den historischen Jesus wissen.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Johannes schrieb am 20.09.2023 um 14:15 Uhr (Zitieren)
Ja, in dem Sinn, dass die BP die Grundintentionen Jesu komprimiert
und interpretiert,
die auf einem (noch nie dagewesenen ??) Biophilie-Prinzip basiert,
der bedingungslosen Akzeptation jedweden
menschlichen Lebens und Forderung, dieses
zu mehren und nicht zu schädigen.
Die Welt ist der Raum, in dem sich dieses
Leben maximal entfalten soll unter Wahrung
und Schutz dessen materieller Grundlagen
(Wahrung derSchöpfung).
Die Bibel ist zeitbedingt.
Kein seriöser Theologe hält am Wortlaut fest.
Sie ist Gottes Wille in menschlicher Sprache
mit irrtumsanfälligkeit aus Mangel an
oder Fehlinterpretation von (vermeintlichen) Wissen.
Sie muss im Kontext ausgelegt werden.
Sie ist unumgänglich.
Mit der modernen Religionspsychologie sollte das
kein großes Problem sein.
(vgl. Drewermann)
Man muss an das Wesen der Botschaft ran,
und bei dem geht es im Zentrum um Liebe.
Jede Form von Liebe, die mit Achtung vor dem
anderen und echter Humanität praktiziert wird,
kann nicht verwerflich sein.
Wenn Gott die Vielfalt will und liebt,
dann gilt das auch und gerade für die Liebe.
Denn die Liebe ist das Motiv der Schöpfung -
laut Christentum.
Homosexualität kann nicht verwerflich sein,
weil sie im evolutionären Rahmen möglich ist.
Die Evolution ist ein Geschehen in absoluter Freiheit
ohne das Telos Mensch, aber mit der
Potentialität den Menschen als liebesfähiges
Wesen hervorzubringen um damit dem
Prinzip Liebe auch in der Materie die Möglichkeit
zu geben sich fortzusetzen.
Liebe will und braucht ein Gegenüber.
In monadischer Gott kann per definitionem
kein liebender Gott sein.
Auf diesem Hintergrund muss man sich m.E.
das Wirken Jesu vorstellen, der um sich herum
"einen Raum der bedingungslosen Liebe" schuf,
wie Rahner hier sagt:
Liebe ist in diesem Sinn kein Gegenstand der
historisch kritischen Forschung, sondern der
konkreten praktischen Erfahrung und der
psycholologischen Frage:
Wie hat Jesu auf Menschen damals gewirkt,
was hat er bei und in ihnen ausgelöst, was
hat in so faszinierend gemacht,
dass ein Religion daraus entstehen konnte?
Und: Wie sehr hat die Kirche in der Geschichte
dieses Eigentliche zugeschüttet, pervertiert
und fast ad absurdum geführt.
Ich verstehe immer mehr, warum immer mehr sagen:
Jesus ja, Kirche nein!
Nur welchen Jesus meinen diese Menschen damit letztlich?
Was ist für sie das Zentrale
und Wichtigste bei ihm.
Für welche Idee steht er und wie plausibel
ist diese?
Hat Liebe eine (absolute) Zukunft, ja oder nein?
Egal, wie man sich das konkret vorstellen mag.
Hat es einen Sinn zu leben, wenn eh alles
im Nichts endet, kosmologisch in ultra-
langwelliger Strahlung?
Nur von daher macht der Aufstehungsgedanke
Sinn: Liebe endet nicht im Nichts, sagen
Gläubige, sondern bei dem, von dem sie ausging,
jener Liebe, die Christen Gott nennen
und ein "unfassbares Geheimnis" ist. (Rahner)
Dass damit jeder kritische Philosoph Probleme haben muss,
liegt in der Natur der Sache,
die auf Glauben beruht.
Man kann es glauben oder eben nicht.
Es ist die freie Entscheidung jedes einzelnen
wie bei der Liebe: Man kann niemanden dazu zwingen.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 20.09.2023 um 18:38 Uhr (Zitieren)
Mich interessiert jetzt am meisten die Frage, wie diese Grundintention Jesu (über den wir historisch so gut wie nichts wissen) ermittelt wird. Da ist ja auffallend, daß alles, was an biblischem Text damit nicht in Einklang steht (der hart richtende Gott, der den Feigenbaum verfluchende Jesus etc.), eliminiert wird, so daß nur noch das übrigbleibt, was man darin sehen möchte. Ist das nicht eine Projektion eigener Vorstellungen in einen Text hinein? Als Historiker habe ich da ein ganz ungutes Gefühl.
Als Philosoph stört mich die einseitige Dominanz der Liebe, während mir das Universum eher im Symbol des Yin und Yang erfaßt zu sein scheint, d.h. daß ohne sein Gegenteil nichts existiert und nichts bewußt bzw. erkannt werden kann.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Johannes schrieb am 21.09.2023 um 13:13 Uhr (Zitieren)
Es wird nicht eliminiertt, sondern muss in Gesamtkontext
der "Guten Nachricht" interpretiert werden.
Der Rachegott des AT ist ein Gedankenkonstrukt,
das v.a. eine soziale Funktion hatte.
Strafe ist notwendig, um zum Wohlverhalten zu
motivieren.
Auch ein eigentlich Liebender kann mal ausrasten,
wenn der andere lieblos oder extrem
egoistisch handelt.
Die Vertreibung der Händler ließ Jesus ausrasten,
weil mit Gott Geschäfte gemacht wurden,
was mit seinem Gottesbegriff unvereinbar ist.
Alle antiken Opferpraktiken nach dem
DO-UT-DES-Prinzip lehnt Jesus ab. Er steht in der
Tradition der Propheten, die dasselbe bereits
gefordert hatten: keine Brandopfer will Gott,
sondern konkrete, helfende Nächstenliebe.
Zudem lässt sich Gott nicht kaufen, er ist
transzendent souverän.
Das Handeln Gottes beruht auf Gnade.
Das gilt auch für Liebe und Hass.
Gäbe es den Hass/Ablehnung nicht, wüssten wir nicht, was
Liebe/Akzeptation ist.
Der Kosmos basiert auf Bipolarität.
A ist ohne Nicht-A nicht zu haben.
Ohne Spannung wäre alles im "langweiligen"
Gleichgewicht wie im völlig symmetrischen
Quantenvakuum, in dem sich "nichts tut".
Ohne Asymmetrie und Spannung entsteht nichts Neues.
er herrschte ewiges Einerlei, Vielfalt ist nicht
möglich. Es gibt keine Bewegung,
kein Streben nach Ausgleich und bewusst gewollter Harmonie,
die mit Liebe zu tun hat.
Die Evolution zeigt, welch hohen Preis diese Vielfalt
hat nach menschlicher Beurteilung.
Mir fällt dazu ein kleines Büchlein, über das
man sicher wieder trefflich streiten könnte:
Γραικύλος schrieb am 21.09.2023 um 14:00 Uhr (Zitieren)
Was ich immer noch nicht verstehe: Hier berufst Du Dich erneut den Bibeltext, und das, obwohl
- Du das an anderer Stelle ablehnst (Jesus spricht in den Evangelien ca. 70 mal von der Hölle) und
- obendrein zugibst, daß wir über den historischen Jesus (fast) nichts wissen, also auch gar nicht sagen können, was er wirklich gemeint hat.
Wo ist das Kriterium, nach dem Du festlegst, was an den Evangelien zählt und was nicht? Es sollte doch nicht so sein, daß sich jede Epoche ihren "own personal Jesus" sucht und sich dabei der Evangelien wie eines Steinbruchs bedient, oder?
Notabene: Ich plädiere nicht für ein fundamentalistisches Bibelverständnis, sondern für eine irgendwie rationale Art des Umgangs mit ihr gemäß nachvollziehbaren Kriterien. Und das erfüllt in meinen Augen nicht ein Jesus, den sich die moderne Theologie, Jahrhunderte der Bibel- und Religionskritik im Magen, als 'letzte Festung' zurechtgelegt hat.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Johannes schrieb am 21.09.2023 um 17:14 Uhr (Zitieren)
Weil er Rückschlüsse auf den historischen Jesus
zulässt. Man kann an die Psyche des Nazareners
durchaus rankommen, meine ich zumindest
und Drewermann sicher auch:
vgl. E. Drewermann, Jesus von Nazareth
Befreiung zum Frieden, 1996.
Man muss keine Eisegese betreiben, wenn
eine plausible psychoanalytische Exegese möglich ist.
Das gilt v.a. für das AT, um den Rache-Gott
auf-und abzulösen, den Jesus überwunden hat
und in 1 Joh komprimiert in der Gleichung
zum Ausdruck kommt: Gott ist (die) Liebe.
Dass wir wenig wissen über ihn, heißt nicht,
dass die nachösterliche Gemeinde ihn nicht richtig
verstanden hat.
In den Evangelien wird die Mentalität und die
Gesinnung Jesu erkennbar, die eine Logik in sich hat.
Der Tenor ist herauslesbar, wenn man
die Interessen herausfiltert, die noch zusätzlich
im Spiel sind (Judenfeindlichkeit bei Matthäus etc.)
Dazu Gerd Theißen, Das Neue Testament,
C.H. Beck -Reihe Wissen
Am Ende nennt Theißen Kriterien für das, was
den christl. Glauben ausmacht.
Ansonsten empfehle ich die wissenschaftlichen
Kommentare der EKK-Reihe:
Es gibt schon klare Kriterien und eine nachvollziehbare Logik, was und wie
man etwas von Jesus herleiten kann.
Wie du weißt, ist keine Schrift der Antike so
zerpflückt worden wie die Bibel v.a. das NT.
Und es gibt weltweit viele Lehrstühle nur für
das NT.
Warum wohl?
Man will so nah wie möglich an den historischen
Jesus und v.a. seine Lehre ran, so wie die
Astrophysik mittels des Lichts an den Urknall
ran möchte.
M.W. fehlen nur noch wenige 100.000 Jahre.
Der Zeitpunkt des Knalls wird nun mit 13,82
Milliarden Jahre vor heute angegeben.
Vlt. wissen wir bald den exakten Zeitpunkt
mit Jahr, Monat, Tag, Stunde, Minute, Sekunde,
Nanosekunde.
Und vlt. können uns Exegeten klar sagen, wie
Liebe heute "geht" in immer egoistischeren
und materiell orientierten Gesellschaften,
in denen es immer schwieriger wird,
ein liebevoller Mensch zu sein und zu bleiben
- trotz allem und wegen allen, weil ein humane
Gesellschaft ohne Vertrauen und Liebe nicht
auskommen kann.
Die Liebe ist gewiss nicht alles, aber ohne sie
ist alles nichts, was analog für die Gesundheit
gilt, von der A. Schopenhauer dasselbe sagte.
Er hat übrigens heute seinen 163. Todestag.
Die volle Logik darfst du natürlich nicht erwarten nach heutigen Maßstäben.
Doch ist Liebe logisch?
Schopenhauer sagte über die Welt u.a. dies:
"Der Welt liegt ein irrationales Prinzip zugrunde."
Wenn er Recht hat, warum wundern wir und dann noch?
Die Evolution bestätigt genau diese Anschauung
und hat dennoch das hervorgebracht, wonach
sich alle Menschen immer schon gesehnt haben,
das Phänomen LIEBE.
Die Literatur, Musik, Kunst quillt über von
diesem Motiv,
das zusammen mit Leid und Tod die conditio
humana wesentlich und existentiell bestimmt,
wie der Logotherapeut Viktor Frankl u.a.
auf einem Symposium zusammenfasste,
das ich im Sommer 1983 miterlebte,
in dem auch der Satz fiel:
Wer ein Wofür zu leben hat, erträgt fast jedes
Wie.
Frankl hat zwei KZs überlebt.
Mutter, Bruder und Ehefrau wurde von den Nazis
als Juden ermordet.
Menschen leben und sterben für die Liebe,
Christen in dem Bewusstsein, dass sie sogar
den Tod überwinden kann - in welcher Form
auch immer.
"Alle Lust will Ewigkeit".
Für welche Lust sollte das mehr gelten als
die Lust immer wieder neu zu lieben bzw.
es immer wieder mit Liebe zu versuchen.lll
PS:
Man kann auch aus Steinbruchmaterial schöne
Gesamtkompositionen zusammenbauen
mit dem nötigen Geschick und erforderlichen
Abschleifarbeiten an sperrigen Einzelteilen.
;)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 27.09.2023 um 22:40 Uhr (Zitieren)
(Alexander Sinowjew: Gähnende Höhen. Zürich 1981, S. 856-858)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Aurora schrieb am 28.09.2023 um 08:52 Uhr (Zitieren)
Ob das nur auf die UdSSR zutraf?
Oder den ganzen Ostblock und westliche Länder?
Einiges davon trifft sicher auch heute nach
auf westliche Staaten zu.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 28.09.2023 um 14:48 Uhr (Zitieren)
Andreas hatte das schon am 2.9. zitiert ... und ich kann dem in allem zustimmen. Ein außergewöhnlicher, bemerkenswerter Roman.
Und Sinowjew liebt den Einsatz von Paradoxa. Hier ist ein weiteres:
(Alexander Sinowjew: Gähnende Höhen. Zürich 1981, S. 597)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 29.09.2023 um 22:17 Uhr (Zitieren)
Plakat Die Grünen in Hessen zur Landtagswahl am 8.10.2023:
(ZDF heute am 29.9.2023)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 29.09.2023 um 23:10 Uhr (Zitieren)
Müssen bei diesem Einsatz der Paradoxa diese eigentlich paradoxerweise gelten und nicht gelten, damit satirische Deutung sich noch einstellen kann, weil sonst sich ja z.B. die Lesart, dass hier ein eitler Vorgesetzter sich mit dialektischem Bullshit düpieren lässt, auflöste?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 30.09.2023 um 14:45 Uhr (Zitieren)
(Alexander Sinowjew: Gähnende Höhen. Zürich 1981, S. 901 f.)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 01.10.2023 um 21:28 Uhr (Zitieren)
(Peter Weiss: Die Ästhetik des Widerstandes, Suhrkamp 1981, Bd 3., S. 261)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 02.10.2023 um 15:17 Uhr (Zitieren)
(Alexander Sinowjew: Gähnende Höhen. Zürich 1981, S. 945)
Erinnert mich an Aristoteles: "Wer viele Freunde hat, hat keinen Freund." (Eudemische Ethik 1245b 20)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 04.10.2023 um 22:53 Uhr (Zitieren)
Einige Dramatiker des Siglo de Oro, darunter Calderón, fügen ihren Autographen insbesondere religiöser Stücke und Komödien am Ende eine durch Unterschrift beglaubigte Entlastungsformel hinzu: Si quid dictum contra fidem et bonos mores quasi non dictum, et omnia sub correctione Sanctae Matris Ecclesiae - Wenn irgendetwas gegen den Glauben und die guten Sitten gesagt (wurde), (wurde) es gleichsam nicht gesagt und alles der Berichtigung durch die Heilige Mutter Kirche unterstellt.
Von der inhärenten Paradoxie, dass der Inhalt des Gesagten erst darüber entscheidet, ob etwas gesagt wurde oder nicht gesagt wurde, abgesehen, kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass die Klausel selbst gegen die insbesondere im Christentum als verwerflich angesehene Doppelzüngigkeit (Mt 5,37, 2 Kor 1,12ff. 1 Tim 3,8 et cetera) verstößt, sich also konsequenterweise als ungesagt selbst aufheben müsste.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 04.10.2023 um 22:58 Uhr (Zitieren)
… gegen das Verbot insbesondere im Christentum als verwerflich angesehener Doppelzüngigkeit verstößt …
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 05.10.2023 um 13:46 Uhr (Zitieren)
Die Idee bzw. das Problem ist anscheinend der christlichen (katholischen?) Theologie inhärent.
Peter de Rosa (Gottes erste Diener. München 1989) erwähnt einen echten Papst (Benedikt V.), der geschworen hat, ein falscher zu sein, sowie einen anderen Papst (Paul IV.), der sich gezwungen sah, seine eigenen Werke auf den Index zu setzen.
Zu erwähnen ist auch der Grundsatz, daß die Überzeugung, kein Sünder zu sein, sündhaft ist.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 10.10.2023 um 13:23 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 11.10.2023 um 00:05 Uhr (Zitieren)
(Jüdische Allgemeine online, 9.10.2023)
Das Adjektiv macht die dehumanisierende Abwertung paradox, denn gerade, was es ausdrückt, will diese den (sonst gewöhnlich nur)als Tiere Bezeichneten ja gerade absprechen.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 11.10.2023 um 00:07 Uhr (Zitieren)
gerade
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Johannes schrieb am 11.10.2023 um 12:06 Uhr (Zitieren)
Warum soll ein Irrtum Sünde sein?
Non peccare non posse humanum est, oder?
Die Frage ist zudem: Was ist das Wesen von Sünde?
Meine Antwort: Jede Form von Lieblosigkeit v.a. da, wo sie vermeidbar wäre.
Umfassend und immer liebevoll zu sein überforderte jeden Menschen.
Vlt. besteht das Göttliche bei Jesus genau darin, nie lieblos gewesen zu sein und einen
Raum authentischer Liebe um sich herum geschaffen zu haben wie es in jenem Rahner-Zitat heißt:
Nur abgehobenes Theologengeschwätz oder
illusorisches Wunschdenken?
Oder eine Möglichkeit gegen die Brutalität der
Evolution anzukämpfen als homo bonae voluntatis?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 11.10.2023 um 16:05 Uhr (Zitieren)
Nach katholischer Auffassung - die kenne ich noch - ist das sogar eine Todsünde: die des Hochmuts (superbia).
.
Wo fängt er an, wo hört er auf? Was wäre die Steigerung davon, was kommt vorher?
Was eine Todsünde?
Hochmut führt doch nicht sofort zum Tod?
Wenn sich jemand für den Stellvertreter Gottes auf Erden hält, ist das Bescheidenheit?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 11.10.2023 um 18:21 Uhr (Zitieren)
Die Päpste oszillieren in ihrem Selbstverständnis zwischen "Stellvertreter Gottes auf Erden" und "Diener der Diener Gottes". In den mittelalterlichen Höllenvisionen finden sich nicht wenige Päpste.
Eine Todsünde ist eine Sünde, in deren Stand (also ungebeichtet, nicht absolutiert) man im Todesfalle schnurstracks in die Hölle geht; das andere sind läßliche Sünden.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Aurora schrieb am 12.10.2023 um 06:44 Uhr (Zitieren)
filix schrieb am 14.10.2023 um 00:23 Uhr (Zitieren)
(Ingeborg Bachmann: Das Buch Franza (Todesarten) - Vorstufe III: Vorreden. Piper, München 2004. S. 201)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Aurora schrieb am 14.10.2023 um 08:24 Uhr (Zitieren)
Zum Buch:
Daraus 2 Zitate:
"Die Angst ist... der massive Angriff auf das Leben.“
„Wieviel hält ein Mensch aus, ohne zu krepieren?
Wieviel hält der Staat Israel aus, wieviel seine
Gegner?
Nach der Bodenoffensive wissen wir ein wenig mehr.
Im Radio hörte ich gerade, dass Israel 1 Mio Menschen aufgefordert hat,
den Gaza-Streifen zu verlassen.
Wo soll diese Mio. auf dei Schnelle untergebracht und versorgt werden?
Wann hört dieser Völkerhass auf?
Wohl nie.
Der Teufelskreis der Rache hat neuen, gewaltigen Schwung bekommen.
Quo vadis, Welt und deine friedlosen, aufgeklärten Völker?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 14.10.2023 um 13:30 Uhr (Zitieren)
In Plautus' Bacchides (788ff.) will der Sklave Chrysalus in einem schon fortgeschrittenen betrügerischen Verwirrspiel seinem Herren Mensilochus helfen, dessen Vater Nicobolus weiter Geld herauszulocken, er diktiert ihm dazu einen Brief an den Alten, in dem er selbst böser Absichten beschuldigt wird, um in weiterer Folge gerade dadurch das eigentliche Ziel zu erreichen. Bei der Übergabe des versiegelten Briefs an den Vater stellt er sich ahnunglos:
Andreas schrieb am 14.10.2023 um 15:59 Uhr (Zitieren)
Wie lebt so ein Mensch?
Welches Lebensgefühl mag er haben?
Wie kann man mit soviel Misstrauen durch die
Welt gehen?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 14.10.2023 um 16:20 Uhr (Zitieren)
Amans ... = Was der Liebende argwöhnt/sich einbildet, davon träumt er im Wachen. Das beschreibt vermutlich u.a. den deliranten Zustand, in den manchen Eifersucht versetzt, wo zwischen Einbildung und Wirklichkeit zu unterscheiden schwerfällt.
Ja,das macht Sinn.
Danke.
Du kennst dich offensichtlich sehr gut in der Literatur und den alten Sprachen aus,
wie mir beim Blättern im Forum aufgefallen ist.
Bist du Hochschullehrer (gewesen)?
Graeculus hat ebenfalls verdammt viel auf dem Kasten.
Ihr habt eine umfassende Bildung, wie man sie heute selten antrifft.
Bewunderns- und beneidenswert!
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 14.10.2023 um 18:15 Uhr (Zitieren)
Ja, filix gehört gewiß nicht zu denen, die einzig wissen, daß sie nichts wissen.
Ich für meine Person bin mir da nicht so sicher.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 14.10.2023 um 18:17 Uhr (Zitieren)
Die größte Gefahr für das Wissen ist, so scheint mir, eine, die Sokrates gar nicht auf dem Zettel hatte: das Vergessen. Was ich schon alles vergessen habe!
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 01.11.2023 um 16:16 Uhr (Zitieren)
FAS vom 29.10.2023: Hauck & Bauer - Am Rande der Gesellschaft (im Original mit Zeichnungen):
kann man sich einen Grabstein für einen Schriftsteller vorstellen:
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 03.11.2023 um 10:16 Uhr (Zitieren)
(Das 2. Anführungszeichen nach rechts unten, "Seite 1 bis ∞" zentriert.)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 03.11.2023 um 13:02 Uhr (Zitieren)
Philologengrab oder der Versuch, Schweigen zu zitieren.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 03.11.2023 um 14:16 Uhr (Zitieren)
re "Grabstein des deutsch-russischen Komponisten Alfred Schnittke"
Da ist ja kein Schlüssel vorgezeichnet - wie, bitte, soll man das spielen?!? ;-)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 03.11.2023 um 14:57 Uhr (Zitieren)
An filix:
Deine Version für den Grabstein eines Schriftstellers oder Philologen ist besser.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 03.11.2023 um 22:33 Uhr (Zitieren)
Ohne deine Version hätte ich mir vermutlich nie die Frage gestellt, ob und wie man Schweigen im Original zitieren kann und was eine unendliche Fußnote und das Unendliche als Fußnote bedeuten mag.
Apropos paradoxe Friedhöfe - in einer historischen Randnotiz zur Siedlungsgeschichte in Hearings, Reports and Prints of the Senate Committee on Interior and Insular Affairs (1968) im Vorfeld des Central Arizona Project, eines der größten amerikanischen Wasserbauvorhaben des 20. Jhtds., heißt es über Paradox Valley in Colorado, ein Talbecken, das seinen Namen einem ungewöhnlichen Flussverlauf verdankt:
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 04.11.2023 um 10:58 Uhr (Zitieren)
Es fehlt noch ein Pendant zu den fff, dem Fortissimo furioso. Ich denke da an drei Ausrufungszeichen hinter der Leerstelle.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 04.11.2023 um 13:54 Uhr (Zitieren)
Der etwas leisere Linguist im Nachbargrab:
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Johannes schrieb am 04.11.2023 um 14:05 Uhr (Zitieren)
Wieso "leere Menge"?
Mathematisch ist das ein Intervall mit der leeren Menge,
was keinen Sinn macht und verboten ist.
Möglich wäre die Menge {O}
O soll die leere Menge symbolisieren, weil ich das Zeichen erst
suchen müsste, das filix verwendet hat.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 04.11.2023 um 14:09 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 04.11.2023 um 23:37 Uhr (Zitieren)
(Michelangelo Antonioni: Comincio a capire. Girasole 1999, S. 31)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Aurora schrieb am 05.11.2023 um 10:45 Uhr (Zitieren)
Ich verstehe den Satz nur, wenn ich Gott = Liebe setze.
Ansonsten wäre zu fragen, was Antonioni mit Gott meint.
Dass sich viele Christen mit der Liebe, konkret als
Nächstenliebe, schwer tun, ist bekannt, ebenso
wie die gern Wasser predigen und Wein trinken v.a.
ihre Funktionäre und Verkünder der Frohbotschaft,
die die längste Zeit defacto eine Drohbotschaft war
mit verheerenden, heute noch nachwirkenden Folgen.
Wie verstehen andere diesen Satz, wie du, filix?
Als Übersetzung fand ich, die Italienisch nicht gelernt hat:
PS:
Neulich hörte ich im Rahmen einer sehr kirchenkritischen Sendung,
dass viele Heilige nach heutigen Maßstäben Verbrecher waren.
U.a. wurde Karlheinz Deschner zitiert
(Kriminalgeschichte des Christentums, 1986)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 05.11.2023 um 11:35 Uhr (Zitieren)
„Er [Jelzin] ließ ein Parlament zusammenschießen, um die Demokratie zu retten“ - jedenfals, wenn man der "Welt" glaubt.
(Links funktionieren bei mir bekanntlich leider nicht komplett.)
https://www.welt.de › geschichte › kopf-des-tages › article241337289 › Boris-Jelzin-Um-die-Demo
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 05.11.2023 um 14:06 Uhr (Zitieren)
Marcella,
ohne Dir zunahetreten zu wollen, aber es ist wirklich eine Kleinigkeit, den Beitrag mit einem Link, den Du mitteilen möchtest und der nach dem Copy-Paste bei Dir bspw. so aussieht:
https://www.welt.de › geschichte › kopf-des-tages › article241337289 › Boris-Jelzin-Um-die-Demo
nicht einfach so abzuschicken, sondern ihn zunächst in der Vorschau zu redigieren, indem Du [ › ] durch [/] ersetzest, also das:
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 05.11.2023 um 14:21 Uhr (Zitieren)
... in dem Falle natürlich nicht, weil der Link abgeschnitten ist - darauf ist eben auch zu achten.
Jedenfalls fände ich es schade, wenn wegen einer fehlenden kleinen Mühewaltung Deinerseits Dein Beitrag nicht alles enthielte, was Du mitzuteilen beabsichtigst.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 05.11.2023 um 21:02 Uhr (Zitieren)
Ist das die Lösung? Ich werde es so versuchen, danke sehr für den Tipp!
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 07.11.2023 um 12:35 Uhr (Zitieren)
Den Eintrag im Paradoxiethread zu rechtfertigen, genügt es, denke ich, zu sehen, dass der selbsterklärte Atheist Antonioni die Christen mangelnden religiösen Eifers zeiht. Gewöhnlich erwartete man, dass er doch froh darüber oder wenigstens gleichgültig dagegen sein sollte.
Um die vorgeschlagene Mühewaltung in Sachen Links zu vereinfachen, habe ich in Codepen ein Tool aufgesetzt, das zumindest die Ersetzung der Zeichen automatisiert - https://tinyurl.com/MarcellasLinx
Johannes schrieb am 07.11.2023 um 13:34 Uhr (Zitieren)
Atheismus und das tun, was der christl. Gott fordert, schließt sich nicht aus.
Es gibt viele Atheisten, radikale Humanisten, die
christlicher handeln als Taufscheinchristen und
die deshalb als anonyme Christen bezeichnet werden. Der Begriff stammt von Karl Rahner.
Wie sagte Jesus: An den Früchten werdet ihr sie
erkennen?
Warum sollen nicht auch Atheisten humanitäre Früchte bringen, bessere und größere als die
offiziellen Gottgläubigen?
Mit Gott kann er also mMn nur das meinen,
was für die Forderung nach Mitmenschlichkeit
und aktiver Nächstenliebe steht.
Wenn ihm als Atheisten Gott am Herzen liegt,
dann meint er damit, was seiner Ansicht nach
vom Menschen gefordert ist und das ist nichts
anderes als das Doppelgebot zu erfüllen.
Was sonst?
Der hohle Begriff HEILIGE meint konkret nichts anderes als die,
die dieses Gebot in einer besonderen und fast übermenschlichen Weise erfüllt haben.
Dass es darunter wohl auch schwarze Schafe gab oder Pervertierer, Neurotiker
bis hin zu Kriminellen, ändert nichts am Problem.
Nur wissen viele nicht, was das wirklich für Leute sind,
Sie beten zu ihnen, weil die Kirche sie zu Heiligen gemacht hat, die hofft, das keiner genauer nachforscht und die Aureole beschmutzt oder gar als Absurdum in Einzelfällen enttarnt.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 07.11.2023 um 18:53 Uhr (Zitieren)
Bei einem Regisseurs, der sich so sehr mit der Kehrseite des Sichtbaren, dem Versuch, das Bildlose in die Bilder eindringen zu lassen, dem Verschwinden, der Entleerung, der Auflösung, kurz der wenigstens negativ bestimmten Transzendenz, beschäftigt hat, der weder Erzähler noch Prediger sein wollte, scheint eine solche auf Moral beschränkte Vorstellung der Religion oder des Göttlichen mir kaum wahrscheinlich. Ich sehe indes nicht, wieso selbst unter dieser Annahme die Sache dadurch weniger paradox würde. Der Vorwurf des Mangels an eifriger Beschäftigung mit dem Gegenstand, an dessen Existenz zu glauben oder nicht zu glauben, gleich wie er definiert sein mag, die Differenz markiert, von der Seite, die Abwesenheit oder Ablehnung dieses Glaubens als wesentliches Kennzeichen hat, an die andere, für die das Vorhandensein oder die Bejahung desselben entscheidend ist, bleibt in sich widersprüchlich.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Johannes schrieb am 07.11.2023 um 19:56 Uhr (Zitieren)
Wie verstehst du das?
In welcher Hinsicht liegt ihm Gott am Herzen?
Was sind für ihn Heilige? Was zeichnet sie aus?
Das Thema Liebe scheint ihm sehr wichtig gewesen zu sein:
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 09.11.2023 um 14:54 Uhr (Zitieren)
Der gebürtige Albaner Elysea Bazna arbeitete im Zwei Weltkrieg unter dem Decknamen Cicero als Spion für Deutschland. In seiner Stellung als Kammerdiener des britischen Botschafters in Ankara lieferte er dem deutschen Sicherheitsdienst 400 Photokopien von Protokollen der alliierten Gipfelkonferenzen und Anweisungen für die Invasion in Frankreich.
Der Sicherheitsdienst stufte das Material als Fälschung ein, obwohl es echt war.
Er bezahlte Cicero mit 300000 Pfund Sterling. Und die schienen echt, waren aber falsch.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 09.11.2023 um 15:00 Uhr (Zitieren)
Zwei Weltkrieg --> Zweiten Weltkrieg
Quelle: Hanns Kurth/Hans Martin Stückelberger, Welt- und Kulturgeschichte. 10000 Daten nach Kalendertagen geordnet. Ratingen/Kastellaun/Düsseldorf 1974, S. 778
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 09.11.2023 um 18:38 Uhr (Zitieren)
filix schrieb am 18.11.2023 um 21:16 Uhr (Zitieren)
Am 3. Juni 1924 atmet der todkranke Franz Kafka so schwer, dass er Robert Klopstock, der ihn zusammen mit Dora Diamant im Sanatorium Dr. Hoffmann in Kierling bei Klosterneuburg betreut, auffordert, ihm die versprochene Dosis Pantopon (ein Opium-Vollpräparat) zu injizieren:
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 18.11.2023 um 23:54 Uhr (Zitieren)
Das ist gut! Aber so richtig paradox nur, wenn man das zweite "sie" großschreibt. Ach, wo bleibt die Editierfunktion?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 19.11.2023 um 19:12 Uhr (Zitieren)
Σύμφημι. Was die Editierfunktion angeht - für eine secessio sind wir leider zu wenige und zu sentimental.
—-
Ein im Jahre 2013 gefälltes Urteil des Supreme Court der Vereinigten Staaten (Salinas vs. Texas) stellte fest, dass es bei informellen Befragungen durch die Polizei, ehe man in Gewahrsam oder festgenommen wurde und einem die berühmten, den meisten aus Filmen und Serien bekannten Miranda-Rechte (das Recht zu schweigen, einen Anwalt hinzuzuziehen usf.) verlesen wurden, nicht genügt, einfach zu schweigen, um vom im Fifth Amendement geregelten Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen.
Vielmehr muss man sich seither bei jedem Schweigen nach einer Frage in so einer Situation ausdrücklich auf dieses Recht berufen, um eine Verwertung des Schweigens als Beweis in einem Prozess auszuschließen.
In der Praxis führt das dazu, dass sich die Befragten verkürzter, die Paradoxie noch verstärkender Formeln bedienen wie "remaining silent", "I remain silent" usf.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 20.11.2023 um 00:31 Uhr (Zitieren)
"I remain silent", dem entspricht in der Umgangssprache: "Dazu sage ich jetzt nichts." Eine sehr vielsagende Bemerkung.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Udoὧ schrieb am 20.11.2023 um 12:08 Uhr (Zitieren)
Ich denke, das ist die sprachökonomische Kurzform für:
Ich sage nur, dass ich dazu jetzt nichts sagen möchte.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 20.11.2023 um 14:07 Uhr (Zitieren)
Ich verstehe es als "donnerndes Schweigen".
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 20.11.2023 um 15:29 Uhr (Zitieren)
Das führt zur Frage nach der weiteren kommunikativen Bewertung des Schweigens, näherhin im Kontext des Aussageverweigerungsrechts als Einlösung des Prinzips nemo tenetur se ipsum accusare ergibt sich das Problem, dass gerade das Schweigen insbesondere als Reaktion auf dezidiert anklagende Vorhaltungen als belastend bewertet wird, weil man gewöhnlich die Leugnung oder Bestreitung erwartet und andere Motive als Schuld für das Schweigen auszublenden geneigt ist. Ist also, von einem Recht, das die Selbstbelastung vermeiden soll, Gebrauch zu machen und sich gerade dadurch unter bestimmten Voraussetzungen mehr zu belasten als durch Verzicht darauf, paradox?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 20.11.2023 um 15:50 Uhr (Zitieren)
Meines Wissens darf das Schweigen des Angeklagten auf keinen Fall in der Urteilsbegründung als verschärfender, belastender Umstand auftreten.
Was sich dennoch un- oder halbbewußt in den Köpfen von Richtern und Geschworenen abspielt, ist eine Frage der Psychologie.
Immerhin halte ich das juristische Tabu für einen gewissen Schutz, zumal Verteidiger auf seine Einhaltung achten.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 20.11.2023 um 17:03 Uhr (Zitieren)
Bedingt, denn partielles Schweigen, wenn man also nur zu für einen nicht belastenden Aspekten eines Sachverhalts etwa aussagt, sonst aber schweigt, kann meines Wissens sehr wohl in der Urteilsbegründung verwertet werden, sofern wir von Deutschland sprechen.
Daher die Einschränkung unter bestimmten Voraussetzungen.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 20.11.2023 um 18:44 Uhr (Zitieren)
Ich bin mir sicher, daß in Staaten, in denen der Grundsatz gilt "Das Geständnis ist die Krone der Beweisführung" (Andrej Wischynskij), das Schweigen des Angeklagten als belastend gilt, aber in einem Rechtsstaat, das ist mir neu.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 20.11.2023 um 19:20 Uhr (Zitieren)
Zur besagten Einschränkung in D kurz etwa https://www.hegewerk.de/recht-zu-schweigen/
unter Die Ausnahme: das sogenannte „Teilschweigen“, oder:
der Anwalt für Strafrecht mahnt: kein „Cherry-Picking“ für den Angeklagten!.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 20.11.2023 um 21:36 Uhr (Zitieren)
Das ist dann das Fazit:
Und "Cherry-Picking" ist unser "Rosinenpflücken".
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 20.11.2023 um 21:36 Uhr (Zitieren)
Das ist dann das Fazit:
Und "Cherry-Picking" ist unser "Rosinenpflücken".
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 20.11.2023 um 21:38 Uhr (Zitieren)
"Das Recht zu Schweigen" ist ein etwas peinlicher Rechtschreibfehler. Ob die eine Editierfunktion haben?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 21.11.2023 um 14:45 Uhr (Zitieren)
Der Deutschsprachige pickt im Sprachvergleich offensichtlich als einziger Rosinen (aus einem Kuchen oder dergleichen, der im Bild das Ganze eines Sachverhalts, Datensatzes, Angebots usw., aus dem gewählt wird, repräsentiert), er pflückt sie nicht, die Trauben werden gewöhnlich erst nach der Ernte getrocknet, und dies mindestens seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts (Die Prätensionen und Selbstüberhebungen Einzelner grenzen an das Unglaubliche. Wie Kinder aus dem Kuchen nur die Rosinen picken, haschen sie nur nach den sogenannten Prachtrollen [Deutsche Musik-Zeitung, Nr.9 1874, S. 3])
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 21.11.2023 um 14:53 Uhr (Zitieren)
William Blake: Proverbs of Hell in: Poems (Everyman's Library Pocket Poets Series), S. 184)
Wie soll man das verstehen?
Wie: minus mal minus = plus?
Wo ist die Pointe?
Wo soll das zutreffen?
Defacto bleibt er ein Narr, oder?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 21.11.2023 um 15:25 Uhr (Zitieren)
Man kann es einerseits als Ausdruck der Vorstellung lesen, dass eine bis zur bitteren Neige in all ihren Konsequenzen beharrlich verfochtene Narretei einen unvermeidlichen Lernprozess darstellt, aus dem der Narr am Ende geläutert, also weise hervorgeht.
Oder aber, wie James Joyce etwa, der Blakes proverb öfter zitierte, als Wandlung der Einschätzung der Umgebung, die am Ende anerkennt, dass der gegen alle Widerstände hartnäckig an seiner vermeintlichen Torheit, im Falle des Dubliners an seiner Vorstellung eines neuen literarischen Stils, Festhaltende gar kein Spinner oder armer Irrer ist.
In wieviel Fällen von 100?
Welche Art von Narr kommt infrage oder Blake vor Augen?
Ich gehe von wirklichen Narren aus, wobei die Frage nach der Definition bleibt.
Irgendwie ist jeder ein Narr, oder? Wer hat keine Illusionen oder Utopien im Kopf?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 21.11.2023 um 17:30 Uhr (Zitieren)
Aus Schaden wird auch nicht jeder klug. Will sagen, Geltungsansprüche von Sprichwörtern sind nicht so total, dass sie durch Gegenbeispiele als widerlegt gelten und einfach aus der Welt geschafft werden.
Blakes fingiertes proverb bleibt entsprechend vage, aber es liegt wohl auf der Hand, dass es hier schwerlich um kleine Narrheiten, liebgewonnene Illusionen usf. geht, auf denen zu beharren keine umfassenden physischen oder sozialen Kosten mit sich bringt. Ist nebenbei unsere Epoche nicht besonders eifrig darin, die Narrheit von ihren Konsequenzen trennen zu wollen?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 22.11.2023 um 23:52 Uhr (Zitieren)
Neuerscheinung:
Die einzelnen Beiträge diskutieren die
1. Paradoxien der Wahrheit (Das Lügnerparadox)
2. Paradoxien des Unendlichen (Cantor und die Folgen)
3. Paradoxien der Stützung (Das Rabenparadox)
4. Paradoxien der Vagheit (Das Soritesparadox)
5. Paradoxien der Quantenmechanik (Das Einstein-Podolsky-Rosen-Paradox)
6. Paradoxien der Zeit (Das Zwillingsparadox)
7. Paradoxien der Bildlichkeit (Unmögliche Konstruktionen und optische Täuschungen)
8. Paradoxien des Auditiven? (Ambiguitäten und Diskrepanzen beim Hören und in der Musik)
9. Philosophische Paradoxien und ihre Therapie (Wittgenstein und die "therapeutische" auflösung philosophischer Probleme)
10. Paradoxie und Parakonsistenz
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Aurora schrieb am 23.11.2023 um 09:52 Uhr (Zitieren)
Γραικύλος schrieb am 23.11.2023 um 14:40 Uhr (Zitieren)
Ich kann nur hinzufügen, daß das Buch auf eine Ringvorlesung an der Universität Oldenburg zurückgeht und diese Universität das Buch finanziell unterstützt hat. D.h. der Verlag hat sich einen Druckkostenzuschuß zahlen lassen, wie er bei Sach- und Fachbüchern allmählich zur Regel wird.
Dennoch ein solcher Preis!
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 23.11.2023 um 14:42 Uhr (Zitieren)
Es handelt sich übrigens um einen kartonierten Band und ist insofern durchaus vergleichbar mit meinem Buch zum Thema Paradoxien, dessen Preis von 39 Euro ich schon abschreckend fand.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 23.11.2023 um 14:44 Uhr (Zitieren)
Sach- und Fachbücher sind die Verlierer in der Konkurrenz mit dem Internet. Wenn jemand etwas über Paradoxien wissen will, was tut er dann? Kauft er ein Buch zum Thema?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 23.11.2023 um 16:01 Uhr (Zitieren)
Ach, das böse Internet. Ich dachte bisher, ein wesentlIcher Grund wäre, dass ein Verlag wie (mittlerweile) De Gruyter Brill als Oligopolist im Sektor geisteswissenschaftlicher Publikationen operiert und durch Steuergeld (und Vermögenskonstruktionen von elitären Privatuniversitäten) finanzierte Wissensproduktion mit auf dieselbe Weise finanzierten Hauptabnehmern kurzschließt, dabei auch Teile von Open Access kontrolliert, wobei von den Autoren article processing charges eingehoben werden, die wiederum … Man lernt nie aus.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 23.11.2023 um 16:06 Uhr (Zitieren)
Das mag so sein.
Aber auch das gilt:
Beide Verhaltensweisen schließen einander nicht aus.
Wer hier kauft noch Sachbücher, statt sich im Netz zu informieren?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 23.11.2023 um 17:32 Uhr (Zitieren)
Ich erinnere mich an einen Artikel in der FAZ zur letzten Frankfurter Buchmesse über den Stand von de Gruyter: Kein einziges aktuelles Buch wurde dort vorgestellt!
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 23.11.2023 um 20:55 Uhr (Zitieren)
Ich kaufe sehr wohl Sach- und Fachbücher, aber tatsächlich eher selten welche, deren Seitenpreis 30 Cent übersteigt.
Ich bezweifle indes, dass, vorausgesetzt an dem Geschäftsmodell ändert sich nicht grundsätzlich etwas, in einem Fall wie diesem bedeutend vermehrte Käufe durch außerhalb oder am Rande des tertiären Buldungssektors stehende Interessenten irgendetwas an der Preisgestaltung änderte.
Es gibt unter besagten ökonomischen Voraussetzungen keinen Anreiz, um sie zu werben, preisliche Rücksicht auf sie würde die Preisgestaltungsmacht bei den Hauptabnehmern eher unterminieren. Letztere haben außerdem große Budgets und sind in ihren Kaufentscheidungen verhältnismäßig unfrei und beständig.
Um sich einmal die Verhältnisse anhand eines wirklich großen Players klarzumachen: Elsevier’s profit margin (37.8%) can be compared with that of Google (21.2%) or Apple (24.56%). (Zahlen von 2022). Das gefährdet doch niemand ohne Not, indem er sich nach anderer Kundschaft umsieht.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 23.11.2023 um 21:04 Uhr (Zitieren)
*Ich bezweifle indes, dass, vorausgesetzt an dem Geschäftsmodell ändert sich nicht grundsätzlich etwas, in einem Fall wie diesem bedeutend vermehrte Käufe durch außerhalb oder am Rande des tertiären Bildungssektors stehende Interessenten irgendetwas an der Preisgestaltung änderten.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 04.12.2023 um 21:04 Uhr (Zitieren)
(William Blake, zitiert nach Leo Damrosch: Eternity's Sunrise - The Imaginitive World of William Blake, S. 132)
Biographischer Hintergrund ist das angespannte Verhältnis zu seinem Gönner Hayley, an den die bissigen Verse gerichtet sind. Dieser hat ihn, an einem Tiefpunkt angekommen, aufgefangen und mit der Aussicht auf neue Arbeitsmöglichkeiten und Anerkennung zu einem Umzug von London nach Felpham überredet. Er entpuppt sich allerdings zunehmend als aufdringlicher und zu kontrollierendem Verhalten neigender Charakter, der sich seine Wohltaten in beständig zum Ausdruck gebrachter Dankbarkeit abstottern lässt.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 05.12.2023 um 12:38 Uhr (Zitieren)
Das ist gut. Im Englischen kommt es besser rüber.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Johannes schrieb am 05.12.2023 um 17:29 Uhr (Zitieren)
Ein interessanter Denker:
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 07.12.2023 um 23:44 Uhr (Zitieren)
Nach über vier Jahren, über 10000 Aufrufen und vielen Beispielen schließe ich der Übersichtlichkeit halber diesen Thread und eröffne #3.