Γραικίσκος schrieb am 02.09.2019 um 15:29 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 02.09.2019 um 15:30 Uhr (Zitieren)
[Plutarch: Pyrrhos 21]
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 02.09.2019 um 20:45 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 02.09.2019 um 21:34 Uhr (Zitieren)
Dass die Beschäftigung mit Paradoxien lebensgefährlich sein kann, dokumentiert folgende Kurzbiographie, die sich in der Suda, einem byzantischen Lexikon aus dem zehnten Jahrhundert, unter φ 332 findet:
Zu den Möglichen Quellen dieses Eintrags heißt es in der engl. Wikipedia:
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 03.09.2019 um 17:49 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 03.09.2019 um 18:04 Uhr (Zitieren)
Immer wieder schön, diese Funstücke von Jean Paul. Bald bin ich vom Kauf überzeugt.
Nur ganz am Rande: Der Philetas-Hinweis hat mir gefallen; aber wird er in der Suda nicht Φιλητᾶς geschrieben?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 03.09.2019 um 18:16 Uhr (Zitieren)
In dieser Kurzbiographie steckt allerdings der Plot eines pikaresken Philosophenromans.
Bei Φιλήτας bin ich der Loeb-Ausgabe Hellenistic Collection: Philitas. Alexander of Aetolia. Hermesianax. Euphorion. Parthenius (LCL 508, S.8) gefolgt.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 03.09.2019 um 19:00 Uhr (Zitieren)
Stimmt, dort steht es so. Ich hab's in der Suda nachgeschaut. Nicht erheblich.
Den Plot mit Stoff (Handlung) zu füllen, stelle ich mir nicht ganz einfach vor. Ein Ansatz: Man könnte viele Situationen, wie sie in den hier gesammelten Paradoxien vorkommen, zur Grundlage nehmen - etwa ein Gerichtsverfahren in der Art des Euathlos, eine Ehe, in der die Partner einander immer wieder widersprechen, indem sie beahupten, sie widersprächen ja gar nicht usw.
Der gedachte Philetas stößt in seinem Leben, das ihn tragischerweise auch noch zum Philosophen hat werden lassen, immer wieder auf Parxadoxien. Durch sie und durch sein Nachdenken über sie gerät er in eine Krise. Diese erreicht ihren Höhepunkt angesichts eines Plastikstrohhalms (oder eines Barfußschuhs).
_____
A.: "Ich wußte nicht, was ich dir schenken soll. Deshalb bin ich mit der Zeitmaschine bis Weihnachen gereist und habe nachgesehen, was ich dir schenke."
B.: "Socken und ein Paradoxon! Danke."
(Josha Sauer)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 03.09.2019 um 20:06 Uhr (Zitieren)
Ich sehe auch im Übergang von der Entdeckung der Ubiquität des Paradoxen zur existenziellen Krise den erzählerischen Motor. Er müsste einen geradezu grotesken Kampf gegen die verschlingende Kraft führen, die für ihn von diesen Paradoxien ausgeht und alles wortwörtlich aufzufressen droht, am Ende ihn selbst, während alle Welt sonst damit anscheinend kein Problem hat. Das beträfe z.B. also nicht nur die Begrifflichkeiten von Wahrheit und Lüge überhaupt, sondern den sich in diesen Spiegelkabinetten verlierenden endlichen Denker in seiner physischen und geistigen Existenz, der immer weiter abmagert, dessen Blickfeld sich zusehends verengt, unfähig, sich von diesem sich immer weiter verwickelnden gordischen Knoten mit einem Denkakt zu befreien, der die Natur von Alexanders Schwerthieb besitzt. Dann auch das Elend eines Lehrers, der, nachdem ihm substanziell eigentlich nicht mehr zu lehren bleibt, den Lehrer für Ptolemaios spielen muss, der also sozusagen sein eigenes Paradoxon wird. Paradox wäre auch der notorisch unzuverlässige Erzähler anzulegen, von dem man von Seite zu Seite immer weniger zu sagen vermag, ob er lügt, wenn er zu erzählen behauptet, was Sache war, oder Wahrheiten als Lügen verkauft.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 03.09.2019 um 22:56 Uhr (Zitieren)
Den Erzähler entsprechend zu gestalten, ist eine gute Idee.
Der Leser müßte erleben, wie sein eigenes klares Weltbild zerbröselt, in einen Sog des Zweifels gerät.
(Ich finde ähnliches bei Philip K. Dick: "The Three Stigmata of Palmer Eldritch"; auch da weiß man am Ende nicht mehr, was real und wer man selber ist.)
Auch gefällt es mir, mich in Alexandria in der Zeit Ptolemaios' I. und II. zu bewegen.
Zunächst aber sammle ich Informationen über Philetas/Philitas und gerate dabei in die Lage, daß ich bei Athenaios nur auf relativ Belangloses stoße, außer 13.598e-f; aber auch dies ist nicht die Stelle, die Du zitiert hast - die finde ich überhaupt nicht, wenn ich nach dem Index der LCL-Ausgabe vorgehe.
Kannst Du die Stelle angeben?
DNP schreibt überhaupt nichts über seine Faszination für Paradoxien.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 03.09.2019 um 23:03 Uhr (Zitieren)
P.S.: Der Neue Pauly hat die Schreibweisen Φιλήτας und Φιλίτας, wobei er die letztere für die bessere erklärt; der Kleine Pauly lehnt die Schreibweise der Suda, Φιλητᾶς, explizit ab.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 04.09.2019 um 12:29 Uhr (Zitieren)
Der Erzähler ist also Kreter.
Die Kontrastierung der Mobilität in intellektuellen Biographien (wie kommt man an diese Stelle in Alexandria überhaupt?), die Verwandlung des Geistes durch Reisen usf. mit den überall auftauchenden Paradoxien, denen man nicht entkommen kann, die zur fixen Idee werden, könnte einen weiteren Punkt dieser Heldenreise in den Irrsinn bilden. Gibt es eigentlich antike Beschreibungen eines Verhungerns, Verzehrtwerdens, obwohl keine äußere Notwendigkeit besteht, man also vor vollen Schüsseln sitzt?
filix schrieb am 04.09.2019 um 12:32 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 04.09.2019 um 12:55 Uhr (Zitieren)
Zu Philetas: Ah ja. Eigenartige Zählung; bei LCL 401e.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 05.09.2019 um 15:23 Uhr (Zitieren)
[Zur Gastronomie in Wien:]
[Stephan Löwenstein in der Frankfurter Allgemeine vom 5. September 2019]
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 05.09.2019 um 15:54 Uhr (Zitieren)
filix hatte das Paradox schon erkannt - jetzt ist es veröffentlicht:
[Christoph Schäfer in der Frankfurter Allgemeine vom 5. September 2019]
Wenn das nicht der gute alte Fall des Euathlos ist, mit dem hier einst alles begann!
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 05.09.2019 um 15:55 Uhr (Zitieren)
Das hatte filix geschrieben:
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 08.09.2019 um 13:54 Uhr (Zitieren)
Wenn Psychologen Lügner an bestimmten Merkmalen (Sprachstil, Körpersprache usw.) erkennen, dann werden geschickte Lügner sich gerade bei diesen Merkmale verstellen. So gefährden die Kriterien für die Erkennbarkeit von Lüge deren Erkennbarkeit.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 08.09.2019 um 18:36 Uhr (Zitieren)
Was soll man auch von einer Stadt, die sich als kleine Großstadt sieht (https://tinyurl.com/y6ophhzq), die Irreführung schon heimlich im Namen trägt (Die Ortsnamen der Stadt Bielefeld, S. 41: ... als Billerfeld ‘Irrfeld’ nach Westfäl. Wb. i sp. 720 billeren ‘planlos umherirren’ bzw. Billerbene ‘Irrweg, Abweg’) und Wirkungsstätte eines der einflussreichsten Soziologen war, dessen Denken u.a. um den Beobachter, der sich selbst nicht beobachten kann, kreiste und in der Paradoxie die Orthodoxie einer Gegenwart sah, die alle Letztbegründung von den Prinzipien in unauflösliche Widersprüche verlegt hat (Luhmann: passim), schon erwarten? ;)
---
Die Frage ist, ob eine ars dissimulandi beliebig Zugriff auf diese Indizien entwickeln kann und ob sich nicht vielleicht immer sekundäre Indizien (sozusagen Lügensignale höherer Ordnung) einstellen.
In dem Zusammenhang fällt mir auch die paradoxie Strategie ein, die Baltasar Gracián in seinem sogenannten Handorakel analysiert, welche das Wechselspiel von Täuschung, Durchschauen und folgender Täuschungserwartung des Gegners wiederum zu Täuschungszwecken einsetzt, wobei Lüge und Wahrheit im zweiten Durchgang den Platz tauschen, erstere nun gerade dadurch, dass sie sich am Platz der vermuteten heimlichen Absicht findet, glaubhaft erscheint, während die Wahrheit die Stelle der Täuschung einnimmt, und dadurch unglaubwürdig wirkt.
Man erzähle also dem Gegenüber, das meint, einen zu durchschauen, die Wahrheit als Lüge und lasse ihn geschickt die Lüge, die man ihn glauben machen will, als heimliche Absicht dahinter entdecken, die er für die Wahrheit halten wird.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 08.09.2019 um 18:38 Uhr (Zitieren)
paradoxie paradoxe Strategie
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 08.09.2019 um 21:07 Uhr (Zitieren)
Man erzähle also dem Gegenüber, das meint, einen zu durchschauen, die Wahrheit als Lüge und lasse es geschickt die Lüge, die man es glauben machen will, als heimliche Absicht dahinter entdecken, die es sodann für die Wahrheit halten wird.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 08.09.2019 um 21:18 Uhr (Zitieren)
Mich nervt das Fehlen einer Möglichkeit, die Beiträge zu korrigieren, ungemein. Könntest Du, nachdem ich schon einmal ergebnislos einen Vorstoß unternommen habe, Albert für eine Implementation der im Lateinforum zur Verfügung stehenden Funktionen zu gewinnen versuchen? Als Gründungsmitglied, Chief Content Producer und überhaupt und sowieso.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 08.09.2019 um 22:42 Uhr (Zitieren)
Sehr schön, das mit dem Gracián - und sogar in der Textform, die Schopenhauer ihm gegeben hat, nicht in der einer der zahlreichen Überarbeitungen.
Arthur Hübscher bietet sie in seiner Ausgabe des Handschriftlichen Nachlasses, Bd. IV/2.
***
Diese Funktion habe auch ich mir schon des öfteren gewünscht. Und Albert Martin hat auf Deinen Vorstoß nicht reagiert? Dann bin ich gespannt, ob & wie er auf meinen antwortet. Ich werde die Möglichkeit für Dich und mich beantragen. Ob man ihm dafür die E-Mail-Adresse mitteilen muß? Meine hat er ja dann, wenn ich ihm schreibe.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 08.09.2019 um 22:49 Uhr (Zitieren)
Abgeschickt. Abwarten.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 08.09.2019 um 22:58 Uhr (Zitieren)
Danke. Ich habe Albert Martin deswegen schon mindestens einmal kontaktiert, das ist aber mittlerweile gewiss mehr als zwei Jahre her. Er hat das Anliegen, sagen wir einmal, höflich ignoriert. Ich fände eine Ausrichtung der Funktionen am Lateinforum jedenfalls vorteilhaft, d.h. die "Registrierung" wäre optional und für das Verfassen keine Voraussetzung. Wer Beiträge ändern möchte, könnte dies über die Eingabe eines bei ihm beantragten Passworts im Eingabefeld "Name:" tun, das Pseudonym wäre dadurch auch geschützt.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 08.09.2019 um 23:23 Uhr (Zitieren)
Aha, mit Registrierung & Paßwort.
Nun, beim letzten Anliegen hat er ja auf meine Anfrage reagiert - aber ich hüte mich vor Induktionsschlüssen.
Ich habe Dich als zweiten Interessenten genannt; ggfs. mußt Du Dich dann mit ihm in Verbindung setzen. Was ich weiß bzw. erfahre, werde ich hier hinterlegen.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 16.09.2019 um 12:40 Uhr (Zitieren)
Auch auf meine Anfrage habe ich keine Antwort erhalten. Ich werde nachhaken.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 18.09.2019 um 17:17 Uhr (Zitieren)
Im Herbst wird es abends immer früher spät.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 18.09.2019 um 22:26 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 18.09.2019 um 22:29 Uhr (Zitieren)
Der Webmaster hat nun reagiert: starke Arbeitsbelastung derzeit; Korrekturfunktion soll eingebaut werden, sobald er wieder etwas mehr Zeit für sein Webhobby hat.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 18.09.2019 um 22:35 Uhr (Zitieren)
Danke, auf der Titanic wird also noch repariert. Ich fürchte allerdings, dass dieses Forum die Folgen der EU-Urheberrechtsreform nicht überstehen wird.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 19.09.2019 um 18:39 Uhr (Zitieren)
In der Tiefgarage unseres Hauses standen Bauarbeiten an, weshalb mir die Hausverwaltung mitteilte, meine Frau müsse an dem betreffenden Tag, nämlich morgen, ihr Auto anderswo parken. Das habe ich ihr pflichtgemäß ausgerichtet: „Du mußt morgen dein Auto falsch parken, weil an deinem Stellplatz gebaut werden soll.“
Als sie am nächsten Morgen von einer mit dem Auto erledigten Besorgung heimkam, fragte ich sie besorgt: „Hast du auch falsch geparkt?“
„Ja“, beruhigte sie mich, „ich habe falsch geparkt.“
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 23.09.2019 um 13:33 Uhr (Zitieren)
Immer hatte der Leiter der Schule
In den verschiedenen Pausen kleiner und größerer Art
Sein Fenster mehrmals geöffnet
Und in den Hof hinuntergerufen:
"Ungezwungen, seid ungezwungen!
Kinder, seid ungezwungen, ungezwungen!"
Mehrmals am Tage habe
So Kastner
Der Leiter dieses Stück Wort in den Hof gerufen
Hanns-Dieter Hüsch: Hagenbuch und die Erziehung
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 23.09.2019 um 13:55 Uhr (Zitieren)
Sehr schön!
Als bibliographische Angabe habe ich gefunden:
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 23.09.2019 um 14:39 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 23.09.2019 um 14:55 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 23.09.2019 um 15:19 Uhr (Zitieren)
(Hanns-Dieter Hüsch: Mein Traum vom Niederrhein. Duisburg ²1997, S. 11-13)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 23.09.2019 um 15:24 Uhr (Zitieren)
Egland --> England
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 24.09.2019 um 19:02 Uhr (Zitieren)
War die "repressive Toleranz" des Herbert Marcuse schon da? Ich bin nicht sicher,ob ich das für kritische Geister exakt genug erklären kann.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 24.09.2019 um 19:02 Uhr (Zitieren)
War die "repressive Toleranz" des Herbert Marcuse schon da? Ich bin nicht sicher,ob ich das für kritische Geister exakt genug erklären kann.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 24.09.2019 um 22:44 Uhr (Zitieren)
Nein, "repressive Toleranz" gab's noch nicht. Überhaupt haben wir die Marxisten mit ihrer Dialektik bisher vernachlässigt.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 24.09.2019 um 23:21 Uhr (Zitieren)
Ich hab es in meine Sammlung übernommen. Danke für den Hinweis.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 27.09.2019 um 22:47 Uhr (Zitieren)
(Martin Grotjahn: Vom Sinn des Lachens; zitiert nach einem Leserbrief in der Frankfurter Allgemeine vom 27. September 2019)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 29.09.2019 um 23:18 Uhr (Zitieren)
Ein Mensch kann abwesend anwesend sein, z.B. wenn sich den ganzen Abend lang das Gespräch um ihn dreht.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 30.09.2019 um 14:06 Uhr (Zitieren)
Ob der Untote, der Zombie, diese paradoxe Existenzform zwischen Tod und Leben, sich schon in der Sammlung findet, weiß ich nicht.
Ich habe aber bei Dante im letzten Gesang des Inferno einen schönen Beleg gefunden. Dante erblickt den im Eis eingefrorenen Satan:
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 30.09.2019 um 14:08 Uhr (Zitieren)
Die Ermahnung, sich nicht gehen zu lassen und nicht in Selbstmitleid zu versinken, quittierte er mit den Worten: Ich habe kein Selbstmitleid, ich bin einfach so arm!
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 01.10.2019 um 12:53 Uhr (Zitieren)
Geschenk des Lebens? Dankbarkeit? Gott hätte mich gefälligst erstmal fragen sollen, bevor er mich geschaffen hat!
***
Zu allen Zeiten haben die alten Leute über die jüngeren geschimpft und über den Verfall der Sitten. Aber wir sind die erste Generation, die recht damit hat!
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 01.10.2019 um 13:23 Uhr (Zitieren)
Kann das Problem, das jemand mit der Unzuverlässigkeit eines anderen hat, mit einem Versprechen von dessen Seite gelöst werden?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 02.10.2019 um 14:23 Uhr (Zitieren)
(Philip K. Dick)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 04.10.2019 um 10:15 Uhr (Zitieren)
Es gibt die "schöpferische Zerstörung" (creative destruction) des Kapitalismus (Schumpeter). Die Ergebnisse lassen sich rund um den Globus besichtigen.
Gandhi befahl seiner Frau, sich zu emanzipieren.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 04.10.2019 um 11:17 Uhr (Zitieren)
Karoline von Günderode: Liebe
O reiche Armut!
Gebend seliges Empfangen!
In Zagheit Mut!
In Freiheit, doch gefangen.
In Stummheit Sprache.
Schüchtern bei Tage.
Siegend mit zaghaftem Bangen.
Lebendiger Tod,
In Einen sel´ges Leben.
Schwelgend in Not,
Im Widerstand ergeben.
Genießend schmachten,
Nie satt betrachten,
Leben im Traum und doppelt Leben.
WER TOPPT DAS?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 04.10.2019 um 11:44 Uhr (Zitieren)
Mal Gedichte in Betracht zu ziehen, ist ein guter Einfall.
Und überhaupt: Liebe als Paradox!
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 05.10.2019 um 01:12 Uhr (Zitieren)
Dem Spott des französischen Volksmundes über die polytechniciens verdanken sich paradoxe Formulierungen wie C'est un homme qui sait tout et rien d'autre, die sich in viele Sprachen verbreitet hat. Zuletzt begegnet ist mir eine Variante in Roberto Begninis Huldigung an Dante ("Il mio Dante"), wo daraus ein angebliches Machiavelli-Zitat wird:
Damit verwandt ist die Selbstcharakterisierung des österreichischen Kabarettisten Günther "Gunkl" Paal als Experte für eh alles.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 05.10.2019 um 01:48 Uhr (Zitieren)
hat haben
---
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 08.10.2019 um 12:00 Uhr (Zitieren)
Less is more. Mies van der Rohe (glaube ich).
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 08.10.2019 um 13:20 Uhr (Zitieren)
Dort zu finden ist auch die Extrapolation durch Rem Koolhaas "If less is more, maybe nothing is everything".
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 08.10.2019 um 13:35 Uhr (Zitieren)
(Ein Zwischenstand: meine Sammlung, die nicht völlig, aber weitgehend gleich ist mit den beiden Threads hier, umfaßt inzwischen 481 Paradoxien.)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 08.10.2019 um 14:10 Uhr (Zitieren)
Sammelst Du auch visuelle und akustische Paradoxien (z.B. die auf Shepardtönen basierenden scheinbar unendlich an- oder absteigenden Tonfolgen: https://www.youtube.com/watch?v=OsBanpBQj0k)?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 08.10.2019 um 14:35 Uhr (Zitieren)
Bilder ja, Escher und sowas. Aus dem Bereich der Musik habe ich bisher nur das schöne Grab des Komponisten Alfred Schnittke, von dem es bei Wikipedia eine Abbildung gibt: https://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Schnittke
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 15.10.2019 um 00:14 Uhr (Zitieren)
Christus ist im Jahre 4 vor Christi Geburt geboren.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Johannes schrieb am 15.10.2019 um 09:21 Uhr (Zitieren)
"Nach Mt 2,1 ff. und Lk 1,5 wurde er zu Lebzeiten des Herodes geboren, der nach Josephus 4 v. Chr. starb. Demnach wurde Jesus wahrscheinlich zwischen 7 und 4 v. Chr. geboren."
Ganz genau kann man es also nicht sagen.
Dass Jesus eine literarische Fiktion ist, wird
auch heute noch behauptet.
Fakt ist, dass wir über den historischen Jesus
fast nichts wissen.
Γραικίσκος schrieb am 15.10.2019 um 12:18 Uhr (Zitieren)
Nein, genau kann man es nicht sagen, aber spätestens 4 v. Chr.
Die Paradoxie funktioniert auch mit Deiner Version, sofern man "Jesus" mit "Christus" erweitert und das "v. Chr." ausschreibt:
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Gast schrieb am 15.10.2019 um 12:56 Uhr (Zitieren)
Zum (Jesus) Christus wurde er erst n.Chr. durch seine Auferstehung (ca. 30 n. Chr.).
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 15.10.2019 um 13:13 Uhr (Zitieren)
Und doch rechnet man gemeinhin "ab/nach Christi Geburt" (post Christum natum), nicht ab der Auferstehung.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 15.10.2019 um 13:15 Uhr (Zitieren)
... und auch nicht ab Jesu Geburt (n. J.).
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Gast schrieb am 15.10.2019 um 13:34 Uhr (Zitieren)
Da man ihn im Nachhinein aufgrund seiner Anastasis als den Christus/Gesalbten Gottes identifizierte, wurden die Namen schnell verschmolzen und er firmiert seitdem vorwiegend
unter dem Doppelnamen.
Die Auferstehung wird theologisch auch als Bestätigung seiner Sendung durch Gott gesehen (Messias).
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 16.10.2019 um 22:23 Uhr (Zitieren)
Zwei Filmszenen im jüdischen Milieu ("Der letzte Komödiant" mit Billy Crystal):
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 22.10.2019 um 00:12 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 27.10.2019 um 22:16 Uhr (Zitieren)
(Woody Allen in „Schatten und Nebel“, 1991)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 29.10.2019 um 12:59 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 29.10.2019 um 16:55 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 29.10.2019 um 17:00 Uhr (Zitieren)
"Ich, Borderliner": Wolfgang Weimer, 2017
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 03.11.2019 um 10:40 Uhr (Zitieren)
Gab es diesen Satz, Heraklit zugeschrieben, schon? "Die ohne Verstand hören, gleichen Tauben; die Redensart bezeugt es ihnen: Anwesend sind sie abwesend´" (...phatis autosi marturei: pareontas apeinai. Bei Clemes Alex.)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 03.11.2019 um 13:23 Uhr (Zitieren)
Es gibt hier, leider ziemlich versteckt, eine Suchfunktion (rechts oben bei geöffnetem Thread).
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 13.11.2019 um 12:57 Uhr (Zitieren)
Eine mäßig intelligente Handlung ihres Mannes kommentiert seine Frau: "Das kommentiere ich jetzt nicht."
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 13.11.2019 um 16:37 Uhr (Zitieren)
Das Auswahlparadoxon: Je mehr Wahlmöglichkeiten, desto schwieriger die Wahl.
[Quelle: Dynamische Wege aus dem Dilemma – Interview mit der Psychologin Katharina Voigt; in: Frankfurter Allgemeine vom 13. November 2019]
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Platon schrieb am 13.11.2019 um 17:22 Uhr (Zitieren)
Besser und unparadox bekannt als:
Wer die Wahl hat, hat die Qual.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 13.11.2019 um 18:05 Uhr (Zitieren)
Wenn man es paradox(er) will: Je mehr Wahlmöglichkeiten (wegen Vielfalt), desto weniger Wahlmöglichkeiten (wegen Qual).
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 14.11.2019 um 00:19 Uhr (Zitieren)
(Horaz, epist. I 12, 19)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 14.11.2019 um 12:26 Uhr (Zitieren)
Lebenspraktisches Paradoxon:
Wer weiß (i. S. v.: man wird schon sehen), wozu das Schlechte gut ist!
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 19.11.2019 um 23:05 Uhr (Zitieren)
Fati ista culpa est: nemo fit fato nocens.
[Seneca: Oedipus, V. 1019]
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 24.11.2019 um 23:21 Uhr (Zitieren)
(Laura Karasek im WDR-Fernsehen am 24. November 2019)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 26.11.2019 um 13:46 Uhr (Zitieren)
(Quelle: Die wahre Steinzeitdiät; in: Spektrum der Wissenschaft 12.19, S. 37)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 28.11.2019 um 16:14 Uhr (Zitieren)
Ein Kurznachrichten-Wechsel zweier Vetter, Jacob und Tamir Bloch:
(Jonathan Safran Foer: Hier bin ich. Köln 2016, S. 654(
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 30.11.2019 um 13:53 Uhr (Zitieren)
Das gehört auch noch hier hinein:
(Zenon gem. Diogenes Laërtios IX 72)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 30.11.2019 um 14:44 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 04.12.2019 um 16:28 Uhr (Zitieren)
(Ambrose Bierce)
(W. Somerset Maugham)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Gast schrieb am 04.12.2019 um 18:36 Uhr (Zitieren)
Oxymoron, kein Paradoxon?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 05.12.2019 um 16:30 Uhr (Zitieren)
Was ist denn da der Unterschied?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 06.12.2019 um 18:31 Uhr (Zitieren)
Eine Busfahrerin im Streitgespräch mit einem weiblichen Fahrgast, der seinen Fahrschein nicht ohne weiteres vorzeigen wollte und extrem laut diskutierte:
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 07.01.2020 um 10:52 Uhr (Zitieren)
Man kann nicht behaupten, daß jede Vorstellung wahr sei - weil sich der Satz umkehren läßt, wie Demokrit und Platon im Widerspruch gegen Protagoras gezeigt haben. Denn wenn jede Vorstellung wahr ist, dann ist auch der Satz, daß nicht jede Vorstellung wahr ist, wenn man sich seinen Inhalt vorstellt, wahr; und so wird der Satz, daß jede Vorstellung wahr ist, falsch.
[Überliefert von Sextus Empiricus VII 389; gr. Diels 55, 114; dt. Capelle 440, 122]
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 07.01.2020 um 10:52 Uhr (Zitieren)
Ich verspreche dir X [z.B.: dich zu besuchen], aber ich kann dir nicht sagen, ob ich dieses Versprechen auch halten werde.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 07.01.2020 um 10:53 Uhr (Zitieren)
Ich glaube, hilf meinem Unglauben.
[Jahreslosung der Evangelischen Kirche Deutschlands für 2020]
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 12.01.2020 um 03:07 Uhr (Zitieren)
Auf einem Spaziergang entdeckte ich neulich eine in die schwarz gestrichene Außenmauer einer Bar eingelassene chromglänzende Türklingel, darunter eine Plakette mit der Aufschrift: "This doorbell is only here to remind you to keep quiet while being outside. Never ring it." Die paradoxe Intervention gilt offensichtlich den vom Gesetz vor die Tür verbannten Rauchern, die sich nächtens dort versammeln.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 12.01.2020 um 03:14 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικίσκος schrieb am 12.01.2020 um 18:47 Uhr (Zitieren)
ars est artem celare.
(mittelalterlichen Ursprungs)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 12.01.2020 um 19:48 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
mitleser schrieb am 14.01.2020 um 20:44 Uhr (Zitieren)
Werte gewinnen an Wert, wenn sie an Wert verlieren.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 25.01.2020 um 16:38 Uhr (Zitieren)
Der Syrer Mustafa Khalifa wird in Syrien unter dem Vorwurf verhaftet, er sei Mitglied einer illegalen Organisation. Bei der Einlieferung ins Gefängnis wird Khalifa mit verbundenen Augen einer Bastonade unterzogen. Dabei kommt es zu folgendem Dialog:
[Mustafa Khalifa: Das Schneckenhaus. Bonn 2019, S. 14-16)[/i]
1) Mustafa Khalifa ist Atheist; aber es erweist sich in der Folgezeit seiner dreizehnjährigen Haft als katastrophaler Fehler, das in einem islamischen Land offen gesagt zu haben – sogar im Gefängnis eines islamischen Landes
Vgl. auch:
(Tess Finch-Lees: Anyone who thinks Brexit won’t bring back violence to Ireland doesn’t understand the Good Friday Agreement. The Independent, Tuesday 10 April 2018 - tinyurl.com/y9hazyr9
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 26.01.2020 um 00:43 Uhr (Zitieren)
"Hotel California" ist ein Song von den Eagles, auf den hier angespielt wird.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 26.01.2020 um 12:32 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 09.02.2020 um 14:20 Uhr (Zitieren)
(Olga Slawnikowa: 2017. Berlin 2016, S. 208-210(
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 09.02.2020 um 17:53 Uhr (Zitieren)
Das Paradox des Lauten: Jeder, der brüllt, will auffallen, um gehört zu werden. Aber wenn alle brüllen, fällt niemand mehr auf, wird niemand mehr gehört.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 09.02.2020 um 18:17 Uhr (Zitieren)
Dazu passt die in gewisser Weise die Maxime unserer Tage "Fake it till you make it" - man soll also nicht bei der bloßen Vortäuschung stehenbleiben, sondern, indem man zunächst so tut als ob, sich langsam in das verwandeln, was man werden möchte. Wer z.B. kein Geld hat, so die Idee, es aber versteht, sich wie ein Reicher zu geben, kann eben dadurch Reichtum erlangen, indem sich ihm - des Matthäuseffekts wegen etwa - neue Einkommensquellen erschließen.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 19.03.2020 um 00:22 Uhr (Zitieren)
Die Empfehlung zur Krise um das Corona-Virus, ausgesprochen am 18. März 2020: eng beieinander stehen, indem wir Abstand voneinander halten.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 03.04.2020 um 13:59 Uhr (Zitieren)
Der fünfzehnjährige, hochintelligente Andreas Wolf ist von seinem Vater, einem Staatssekretär und Mitglied des ZK der SED in der DDR, wegen exzessiven Onanierens zum Psychiater geschickt worden.
(Jonathan Franzen: Unschuld. Reinbek bei Hamburg 2015, S. 176)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 03.04.2020 um 14:01 Uhr (Zitieren)
(Jonathan Franzen: Unschuld. Reinbek bei Hamburg 2015, S. 204)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
mitleser schrieb am 03.04.2020 um 15:08 Uhr (Zitieren)
Wenn man sich die Hände zuoft nass macht, trocknen sie aus.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 09.04.2020 um 22:59 Uhr (Zitieren)
Erdmännchenweibchen
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 10.05.2020 um 15:50 Uhr (Zitieren)
(Sarah Bosetti)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 14.05.2020 um 18:41 Uhr (Zitieren)
(Juvenal: Satiren X 82)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 15.05.2020 um 15:54 Uhr (Zitieren)
Karikatur in der SZ, Ehepaar vorm Fernseher, er sagt:"Ist doch egal, ob er die Wahrheit sagt, kommt doch bloß darauf an, dass er Recht hat."
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 15.05.2020 um 16:43 Uhr (Zitieren)
Schön. Da ich Paradoxien sammle: Kannst Du mir den Tag der SZ-Ausgabe nennen?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
mitleser schrieb am 19.05.2020 um 17:08 Uhr (Zitieren)
Mein Sohn drückte mit drei Jahren einmal eine komplette Tube Zahnpasta auf dem Boden aus. Als ich entsetzt aufschrie: "Du machst ja alles schmutzig!", sah er mich mit großen Augen an: "Zahnpasta macht sauber!"
Γραικύλος schrieb am 21.05.2020 um 18:15 Uhr (Zitieren)
Danke, auch für die Angabe der Fundstelle.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 22.05.2020 um 14:58 Uhr (Zitieren)
Das bringt mich zur Frage, ob das der Antike grundsätzlich fremd ist, schlechterdings modern: Nicht nur über andere siegen, sondern sich am Unmöglichen versuchen, an die Grenzen des Leistungsvermögens gehen und sie immer weiter verschieben als Schauspiel. Das erklärte auch das relative Desinteresse der alten Welt an Rekorden, die ja in dieser Perspektive ein universales Vergleichsmaß für diese Virtuosität des Unvermögens darstellen, während die Gegenwart ein hochtechnisiertes Spektakel daraus macht, z.B. den Marathon unter zwei Stunden zu laufen. Gegen die Uhr oder den eigenen Körper ist in der Antike niemand angetreten.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 22.05.2020 um 15:38 Uhr (Zitieren)
So ganz fremd scheint mir das Sich-Versuchen am Unmöglichen in der Antike nicht zu sein. Ich gebe einige spontane Gedanken dazu:
1. Viele dieser schier unmöglichen physischen Leistungen hat man auf die Heroen (Halbgötter) projiziert, was immerhin eine Freude daran indiziert.
2. Die sportliche Disziplin des Marathonlaufes bezieht sich ja immerhin auf ein historisches Ereignis, auch wenn es etwas verwirrend überliefert ist.
3. Es gab zudem den Berufsstand der Schnell- oder Tagesläufer (Hemerodromoi), und die werden ihren Ehrgeiz und ihren Preis gehabt haben, der sich nach ihren Fähigkeiten richtete.
4. Im Hellenismus erkenne ich eine Sucht des Immer-Größer, Immer-Höher (bei Schiffen, Schlachttürmen etc.), die sich am scheinbar Unmöglichen erprobt (Fünfzehnruderer). Auch Schnellsegler gab es.
5. Der Versuch des Tiberius, von Pannonien aus seinen in Germanien sterbenden Bruder Drusus noch lebend zu erreichen, galt schon in der Antike als Rekord an Schnelligkeit in der Bewegung, wurde entsprechend erwähnt und bestaunt. Die Uhr, gegen die Tiberius ritt, war in diesem Falle die Lebensuhr des Drusus.
6. Zu untersuchen wäre, inwieweit die Gladiatorenkämpfe mit ihren immer neuen, einander überbietenden Attraktionen (ich sage einmal, ohne diesen Programmpunkt konkret belegen zu können: Frau gegen Elephant), für eine Attraktivität von Steigerungen ins kaum Faßliche sprechen.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 22.05.2020 um 18:11 Uhr (Zitieren)
7. Vor allem in der Spätantike kam der Kult des Herakles stark in Mode, des Meisters schier unmöglicher Taten. Kaiser Commodus hat sich als Herakles darstellen lassen und soll in diesem Kostüm gar im Colosseum aufgetreten sein. Bestimmt hat er dabei Rekordtaten vollbracht, auch wenn es nur Show war.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 23.05.2020 um 13:03 Uhr (Zitieren)
Die Projektion unglaublicher Leistungen auf Heroen und sonstiges mythologisches Personal macht daraus aber noch kein Schauspiel der Virtuosität des Unvermögens. Mögen die Tagesläufer untereinander ihre kleinen, informellen Wettkämpfe, die sich an Rekorden orientierten, gehabt haben (gibt es dazu Stellen in der Literatur?), sie blieben eingespannt in ihre Tätigkeit und die war nicht die Darbietung ihres Versuchs am Unmöglichen. Citius, altius, fortius stammt auch nicht aus der Antike, sondern von einem Dominikanerpater der vorletzten Jahrhundertwende. Der moderne Marathonlauf überbringt keine andere Nachricht mehr als die von der Grenze des Leistungs(un)vermögens des menschlichen Körpers (wofür sogar ganze Straßenzüge neue asphaltiert werden).
Einzig bei den Gladiatoren könnte man vielleicht von einem exzedierenden Theater des ultimativen Scheiterns, für das eine Gesellschaft in die Arenen strömt und bereit ist, erhebliche Investitionen (Bauten, Ausbildung, Personal) zu tätigen, sprechen. Aber das ist vielleicht wieder nur eine neuzeitliche Projektion, ähnlich wie Camus' berühmte Neubewertung des zur unermüdlichen Arbeit am Scheitern verurteilten Sisyphos, die am Ende gleichsam alpinistische Züge annimmt: "Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen."
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 24.05.2020 um 13:51 Uhr (Zitieren)
In einem Artikel der Rubrik Lifestyle über einen der letzten Kupferstecher Europas, der in einer aus der Zeit gefallenen Werkstatt ohne Internetanschluss mit Grabstichel, Pantograph und Handdruckpresse seiner Berufung nachgeht, erwähnt der Verfasser beiläufig, dass er von der Schönheit der Erzeugnisse betört, sich habe hundert Visitenkarten machen lassen. Gerade die hohe Qualität (nicht unbedingt der angemessene Preis) der Arbeit hindere ihn aber, sie ihrer Bestimmung gemäß unter die Leute zu bringen, keine einzige habe er noch überreicht. Es wäre zu schade, so liegen sie wohlverwahrt in einer edlen Schachtel.
Besitzen nicht viele Menschen solche Gebrauchsdinge oder Werkzeuge, die paradoxerweise gerade durch die Qualität ihrer Ausführung ihre Nutzung hemmen und sie zu Gegenständen der bloßen Betrachtung an der Grenze zu Kunstwerken machen?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 24.05.2020 um 14:01 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 24.05.2020 um 18:46 Uhr (Zitieren)
Zur Kursivschrift: Wenn doch der Webmaster, statt nur täglich das Lateinforum zu entmüllen, wenigstens einmal pro Woche hier vorbeischauen würde und nach dem Rechten sähe!
***
Wenn ich mir Gegenstände zum Zwecke ihres Gebrauchs kaufe und sie dann für zu kostbar halte, um sie zu gebrauchen, dann sind das unbrauchbare (wenngleich nicht defekte) Gebrauchsgegenstände - das hat etwas Paradoxes.
Wenn ich eine zum Lesen geschriebene Buchrolle der Ilias bekäme, läse ich sie auf keinen Fall; aber ich hätte sie auch nicht zu diesem Zwecke erworben, sondern nur als Wertgegenstand. Das ist nicht paradox.
Wenn ich auf einer Auktion einen Denar aus der Zeit des Kaisers Tiberius ersteigere, der doch zum Bezahlen gedacht war, dann bezahle ich damit nichts, sondern lege ihn in eine Schatulle. Auch dies ist nicht paradox.
Es hängt also nicht davon ab, zu welchem Zweck das Objekt geschaffen wurde, sondern davon, zu welchem Zweck es erworben wird.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 24.05.2020 um 20:10 Uhr (Zitieren)
Ja, das Desinteresse an dieser Agora ist ärgerlich. Aber hat der Schattenadministrator von nebenab überhaupt die technische Möglichkeit hier einzugreifen?
***
Jein, ich denke nicht, dass sich die Paradoxie ganz auf die Ebene der Intentionen des Erwerbs verlegen lässt. Das paradoxe Hemmnis läge in dem speziellen Fall ja in der optimalen Gestaltung für den Verwendungszweck des Gegenstandes, die eine lähmende Schönheit jenseits eines Surplus an Design erzeugt, welches Hemmnis man in der Tat nur erfährt, wenn es in der Absicht, es wirklich zu nutzen, angeschafft wurde und nicht schon als Sammlerobjekt oder dergleichen. Ich schlösse aus dieser Paradoxie jedoch umgekehrt Fälle aus, wo davon unabhängig der hohe Anschaffungspreis etwa alleinige Ursache der absichtswidrigen Nichtnutzung wäre.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 25.05.2020 um 18:12 Uhr (Zitieren)
Kant konnte nicht umhin, nach 20 Jahren Dienst seinen diebischen Kammerdiener Lampe zu entlassen. Das schmerzte ihn sehr, darum beschloss er, Lampe gänzlich zu vergessen. Um sich stets an diese Entscheidung zu erinnern, notierte er sich den Imperativ: "Lampe muss vergessen werden."
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 26.05.2020 um 12:26 Uhr (Zitieren)
Ich habe eigens die Suchfunktion bemüht - das hatten wir tatsächlich noch nicht, in keinem der beiden Threads.
Die Ankedote ist natürlich sehr schön. Ob Kant der Witz daran bewußt war?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 26.05.2020 um 17:24 Uhr (Zitieren)
Es gibt einen Typus von Paradoxien durch zirkuläre Voraussetzungen. Das bekannteste Beispiel dürfte das aus dem „Hauptmann von Köpenick“ stammen (oder sogar aus der Behördenpraxis): Um eine Wohnung zu bekommen, muß man einen Arbeitsplatz nachweisen; um einen Arbeitsplatz zu bekommen, muß man eine Wohnung nachweisen.
Von dieser Art habe ich nun zwei Fälle erlebt:
• Im Zuge der Corona-Bekämpfung werden hier auf dem Lande keine Fahrscheine mehr im Bus verkauft. Fahrscheine kann man online kaufen oder – und jetzt folgt für diejenigen, die kein Smartphone bzw. nicht die App dazu besitzen, die Paradoxie – im Vorverkauf. Um mit dem Bus fahren zu dürfen, muß man im Vorverkauf einen Fahrschein erwerben. Um zur nächsten Vorverkaufsstelle zu kommen, muß man mit dem Bus fahren.
• Eine Bekannte wohnt im Elsaß und arbeitet in Baden. Nach der Grenzschließung, ebenfalls dank Corona-Maßnahmen, durfte sie von ihrer Wohnung nur noch mit der Bescheinigung ihres deutschen Arbeitgebers (systemrelevante Tätigkeit) nach Baden zu ihrer Arbeitsstelle einreisen; um aber die Bescheinigung zu bekommen, mußte sie nach Baden zu ihrer Arbeitsstelle reisen.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 26.05.2020 um 18:10 Uhr (Zitieren)
Noch zu Kant & Lampe:
Man muß bedenken, daß Kant um diese Zeit bereits dement war. Alle Details der Geschichte (das Hängen am Gewohnten, die Anrede des neuen Dieners mit dem Namen des alten, der Zettel) sind typisch für demente Menschen.
Es ist sehr traurig, wenn man in Kants "Opus postumum" oft merkt, daß er am Ende eines Satzes bereits nicht mehr weiß, wie er ihn grammatisch begonnen hat.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 03.06.2020 um 23:13 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 04.06.2020 um 00:07 Uhr (Zitieren)
Das klingt nach einer Äußerung Goethes:
Ich kann's allerdings nicht beschwören.
Daß MRR es gekannt & übernommen hat, wäre ihm zuzutrauen.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 04.06.2020 um 00:08 Uhr (Zitieren)
(Graffito, in "French Connection II" kurz zu sehen)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 04.06.2020 um 01:13 Uhr (Zitieren)
Marcella schrieb am 04.06.2020 um 01:13 Uhr (Zitieren)
Das verweist auf den kruden nekrophilen Schlachtruf der spanischen faschistischen Falange: "Muera la inteligencia, viva la muerte."
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 04.06.2020 um 01:42 Uhr (Zitieren)
Bei Baudelaire kommt das auch irgendwo vor. Es wunderte mich nicht, wenn das Publikum der Hinrichtungen zu Zeiten von La Terreur den Spruch als Gegenstück zur obsolet gewordenen Heroldsformel "Le roi est mort, vive le roi!" geprägt hätte, ist doch der Tod da der neue absolute Herrscher. In der in der Revolution angesiedelten Oper Andrea Chénier von Umberto Giordano eignet sich das Paar auf dem Weg zum Schafott die Formel als Schlusswort schließlich wieder an: Viva la morte insiem!
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 04.06.2020 um 12:53 Uhr (Zitieren)
Es hätte mich gewundert, wenn "Vive la mort" für ein Filmset kreiert worden wäre.
Danke für Eure Angaben zu den Hintergründen.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
mitleser schrieb am 05.06.2020 um 20:24 Uhr (Zitieren)
Interessant ist auch, wenn Beschlüsse das Gegenteil dessen bewirken, was sie eigentlich bewirken sollen.
Zwei Beispiele:
1.) Um mehr Sicherheit zu gewähren, soll man oft seine Passwörter wechseln. Wenn man aber oft seine Passwörter wechselt, wählt man einfachere Passwörter, um nicht durcheinander zu kommen und sie sich leichter merken zu können.
2.) Eine Linie zwischen Straße und Fahrradweg soll beide Straßen voneinander trennen und den Fahrradfahrern Sicherheit bieten. Untersuchungen haben aber ergeben, dass Autos näher an die Fahrradfahrer fahren, wenn es eine Linie gibt, als wenn es keine Linie gibt.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 06.06.2020 um 11:29 Uhr (Zitieren)
Die Paradoxie von Sicherheitsmaßnahmen kann man das wohl nennen.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 07.06.2020 um 14:56 Uhr (Zitieren)
Windows beendet man über Start, dann über Ein/Aus, obwohl man an dieser Stelle gar nicht einschalten kann, sofern der Computer nicht bereits eingeschaltet ist.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 25.07.2020 um 14:12 Uhr (Zitieren)
filix schrieb am 15.08.2020 um 22:42 Uhr (Zitieren)
Mit der Einführung der Kinderbeichte ab dem 7. Lebensjahr zu Beginn des 20. Jhdts entsteht ein mir in einigen persönlichen Erinnerungen begegnetes Paradoxon: Das von der Situation überforderte Kind, das nicht weiß, was es beichten soll, oder seine tatsächlichen Verfehlungen für so gering achtet, dass es Gefahr zu laufen glaubt, für unaufrichtig gehalten zu werden, belügt den Beichtvater (im kindlichen Verständnis augustinischer Strenge allemal eine schwere Sünde) und erfindet Beichtwürdiges, d.h. in dieser Innenperspektive des Beichtkindes wird eine Verfehlung begangen, um Vergebung zu erlangen für Schuld, die man gar nicht auf sich geladen hat, während diese tatsächliche Verfehlung selbst unerwähnt und unvergeben bleibt.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 15.08.2020 um 23:25 Uhr (Zitieren)
Das ist gut analysiert! Den Sachverhalt kenne ich aus eigenem Erleben, wobei sich das Problem nicht daraus ergab, daß ich als Kind keine "Sünden" begangen hätte, sondern daß wir die 10 Gebote entlang beichten mußten, was eine Reflexion und Angabe zu jedem Gebot erforderte.
4. Gebot: das war mit einem Streit zuhause leicht erledigt. Fürs 5. Gebot reichten feindselige Gedanken gegenüber irgendjemandem. Aber zum 6. Gebot hätte ich damals aufrichtigerweise nichts zu sagen gehabt. Da habe ich dann "unkeusche Gedanken" gestanden, ohne zu wissen, worum es sich da eigentlich handelte.
Daß der Kaplan, bei dem ich beichtete, sich später als pädophil erwies, machte - im Nachhinein - die Angelegenheit noch skurriler. Ich hoffe, er hatte einen guten Beichtvater.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Aurora schrieb am 16.08.2020 um 07:00 Uhr (Zitieren)
In den so genannten Beichtspiegeln, die auswendig
gelernt werden mussten, fand sich zu meiner Zeit
auch das Delikt "Ich habe genascht".
Man achte auf die Formulierungen etwa beim
6. Gebot.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 16.08.2020 um 18:03 Uhr (Zitieren)
Ja, auf dem Niveau von "ich habe genascht" befand sich das in der Kinderversion. Genau, Beichtspiegel, so hieß das. Da man vor der Erstkommunion beichten mußte, war man halt noch ein Kind.
Danke für den Link.
So haben wir denn eine weitere Paradoxie: Zu sagen: "Ich bin kein Sünder" ist sündhaft.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 19.08.2020 um 22:59 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 19.08.2020 um 23:32 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 24.08.2020 um 21:07 Uhr (Zitieren)
(Karl Julius Weber: Und so verzeiht mein spöttisch Maul. [Demokritos oder Hinterlassene Papiere eines lachenden Philosophen] Auswahl in 2 Bdn., hrsg. v. Jürgen Rauser. Schwäbisch Hall 1966; Bd. 1, S. 243)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Andreas schrieb am 25.08.2020 um 14:37 Uhr (Zitieren)
Γραικύλος schrieb am 27.08.2020 um 15:16 Uhr (Zitieren)
[quote]O glaubt mir doch, ihr meine lieben Brüder,
Ein Dunst, ein Traum ist unser Lebenslauf,
Gesund und frisch legt ihr euch abends nieder,
und mausetot – steht ihr am Morgen auf!](quote] (Quelle: Pater Pfeffel; zitiert nach Karl Julius Weber: Demokritos oder Hinterlassene Papiere eines lachenden Philosophen. Hrsg. v. Wolfgang Ronner. München 1966, S. 330)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 27.08.2020 um 15:16 Uhr (Zitieren)
(Quelle: Pater Pfeffel; zitiert nach Karl Julius Weber: Demokritos oder Hinterlassene Papiere eines lachenden Philosophen. Hrsg. v. Wolfgang Ronner. München 1966, S. 330)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 28.08.2020 um 15:07 Uhr (Zitieren)
Karl Julius Weber: Und so verzeiht mein spöttisch Maul. [Demokritos oder Hinterlassene Papiere eines lachenden Philosophen] Auswahl in 2 Bdn., hrsg. v. Jürgen Rauser. Schwäbisch Hall 1966; Bd. 2, S. 135)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 29.08.2020 um 15:18 Uhr (Zitieren)
(Napoleon Bonaparte; zitiert nach Karl Julius Weber: Und so verzeiht mein spöttisch Maul. [Demokritos oder Hinterlassene Papiere eines la-chenden Philosophen] Auswahl in 2 Bdn., hrsg. v. Jürgen Rauser. Schwäbisch Hall 1966; Bd. 2, S. 151)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 20.09.2020 um 20:32 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
mitleser schrieb am 21.09.2020 um 18:40 Uhr (Zitieren)
Woran man einen Dummkopf erkennt?
Er weiß alles
Harald Schmid (*1946), Aphoristiker
PS: Irgendeiner bedient sich meines frei verfügbaren Nicknames...
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 23.09.2020 um 13:44 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 26.09.2020 um 14:48 Uhr (Zitieren)
(Bandenwerbung von adidas am 3.9.2020 beim Spiel Deutschland vs. Spanien in der Nations League)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 26.09.2020 um 14:50 Uhr (Zitieren)
Über eine Schule mit Inklusion:
(Frankfurter Allgemeine vom 14. September 2020)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 26.09.2020 um 15:02 Uhr (Zitieren)
"A lttle bit too much is not enough for me." Inschrift in einer Altstadt-Bar in Turin
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
mitleser schrieb am 03.10.2020 um 15:49 Uhr (Zitieren)
Die einen wissen, wie es in der DDR war, und die anderen haben in ihr gelebt.
Klaus D. Koch Heute ist der 30. Jahrestag der deutschen Einheit.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 10.10.2020 um 13:31 Uhr (Zitieren)
Γραικύλος schrieb am 14.10.2020 um 13:54 Uhr (Zitieren)
(Henry Fielding, Tom Jones. München 1965, S. 236)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 14.10.2020 um 14:00 Uhr (Zitieren)
(Wolfgang Weimer)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 14.10.2020 um 14:36 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Λητώ schrieb am 14.10.2020 um 15:32 Uhr (Zitieren)
Vielleicht hatte die Frau des Autors auch die sich durch Sport verbessernde qualitative Seite des X-ens im Sinn. :)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 20.10.2020 um 15:27 Uhr (Zitieren)
Torricellis Trompete:
Daraus ergibt sich das "Painter's Paradox":
(Spektrum der Wissenschaft 11.20, S. 43)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 20.10.2020 um 15:31 Uhr (Zitieren)
Die Lösung erscheint witzig: Man kann die Trompete mit einer endlichen Menge "mathematischer Farbe" bemalen, die unendlich dünn wird.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 21.10.2020 um 14:31 Uhr (Zitieren)
(Henry Fielding: Tom Jones. München 1965, S. 407 f.)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 22.10.2020 um 18:33 Uhr (Zitieren)
(American Gangster, Regie: Ridley Scott 2007)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
στρουθίον οἰκιακόν schrieb am 22.10.2020 um 20:10 Uhr (Zitieren)
Das ist niedlich!
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 25.10.2020 um 18:08 Uhr (Zitieren)
Φησὶν σιωπῶν.
(In Griechisch und auch lateinischer Entsprechung verbreitetes Sprichwort)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 04.11.2020 um 23:23 Uhr (Zitieren)
[i](Der große Eisenbahnraub (1978), Edward Pierce/Sean Connery)[7i]
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 04.11.2020 um 23:23 Uhr (Zitieren)
(Der große Eisenbahnraub (1978), Edward Pierce/Sean Connery)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 06.11.2020 um 18:29 Uhr (Zitieren)
(gemäß einer Zeichnung von Uli Stein)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 23.11.2020 um 00:06 Uhr (Zitieren)
(Der ehemalige Fußballtrainer Max Merkel)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 23.11.2020 um 00:08 Uhr (Zitieren)
(Titel eines Films unter der Regie von Clint Eastwood, 2008)
Dazu hat Eastwood sogar die Musik geschrieben.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 02.12.2020 um 13:52 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 02.12.2020 um 14:48 Uhr (Zitieren)
Wenn ich es recht sehe, kommt es hier auf das "Das Wort praktisch bedeutet praktisch nichts" an.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 02.12.2020 um 14:51 Uhr (Zitieren)
Die Paradoxie als Lüge: Der SS-Brigadeführer Franz Walter Stahlecker, Leiter der Einsatzgruppe A des SD, schrieb im Oktober 1941 über die Judenpogrome in Lettland:
(E. F. Zielke / H. Rothweiler, Sittengeschichte des Zweiten Weltkrieges. Hanau o.J., 2. Aufl., S. 516 f.)
Eine gelenkte und doch beweisbare Spontaneität!
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 02.12.2020 um 22:01 Uhr (Zitieren)
Technically yes, practically ... könnte man z.B. einige Überlegungen anstellen, was diese paradoxe Nichtigkeit für die Verwendung in der Offenbarung, der Gebrauch sei im Fall des Erzählers praktisch ein Ausdruck der Angst, bedeutet an diesem Kreuzungspunkt einer intellektuellen Pilgerfahrt (die sich als Spurensuche nach einem anderen, der vielleicht ich ist, entpuppt, wie sich im gesamten Text immer wieder andeutet) mit einer Reise in den Tod, die auf paradoxe Weise von Routinen und Höflichkeiten eingehegt wird.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 03.12.2020 um 14:57 Uhr (Zitieren)
(Quelle: Frankfurter Allgemeine vom 3. Dezember 2020: Der Zauberlehrling des Kinos)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 03.12.2020 um 15:00 Uhr (Zitieren)
Erst gab es keine Zeit, dann ist etwas passiert, und seitdem gibt es Zeit.
(begegnet einem häufiger, vor allem in religiösen Kontexten)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Mitleser schrieb am 03.12.2020 um 16:52 Uhr (Zitieren)
Dieses Seitdem lässt sich ermitteln.
Aktueller Stand 13,82 Milliarden Jahre.
Mit dem Urknall beginnt das, was wir ZEIT nennen.
Über das DAVOR darf man spekulieren und tut es
auch, ebenso über die Vorgänge in einem schwarzen Loch,
bei dem die Gesetze der Physik zusammenbrechen.
Singularitäten sind mathematisch nicht mehr
beschreibbar.
Ab Sekunde 10hochminus44 ist alles erklärt,
was "davor" war, entzieht sich (noch?) der methodischen
Beschreibbarkeit.
Eine Schätzung besagt, dass die Wahrscheinlichkeit,
dass es zum Big Bang
kommen konnte, bei etwa 1zu 10hoch500 liegt.
Mathematisch ist das so gut wie Null,
physikalisch bzw. realiter aber eben nicht
exakt Null.
Das biblische FIAT LUX ist gar nicht so weit
weg von der modernen Kosmologie, wenn auch
stark interpretationsbedürftig.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 04.12.2020 um 18:13 Uhr (Zitieren)
Mit dem Urknall begannen Raum und Zeit, so heißt es. Das macht die Frage, was davor war, allerdings obsolet, und zwar semantisch, nicht nur physikalisch.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 27.12.2020 um 17:19 Uhr (Zitieren)
1568 wurde die spanische Christin Elvira del Campo von der Inquisition verhaftet und verhört. Sie war denunziert worden, kein Schweinefleisch zu essen und samstags, d.h. am Sabbat, ihre Unterwäsche zu wechseln, also eine heimliche Jüdin zu sein. Wie üblich wurde sie mit dem Vorwurf der Anklage nicht offen konfrontiert, erst recht nicht mit den Zeugen, so daß die Frau, unter Folter aufgefordert, „die Wahrheit“ zu sagen, gar nicht wußte, was sie gestehen sollte.
(Peter de Rosa: Gottes erste Diener. Die dunkle Seite des Papsttums. München 1989, S. 210)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 27.12.2020 um 17:22 Uhr (Zitieren)
Selbst bei der Zensur gab es Spaßiges. Zuerst vollbrachte [Papst] Paul IV. [Petrus Carafa, zuvor Generalinquisitor] die Heldentat, sich selbst auf den Index zu setzen [1555]. Es ist eine merkwürdige Geschichte.
Ein paar Jahre zuvor hatte Paul III. ein halbes Dutzend Kardinäle ernannt, die unter Carafas Führung alle zu durchleuchten hatten, die in Glauben und Moral von der Orthodoxie abwichen. „Die Schuldigen und die Verdächtigen“, sagte Paul, „sind zu verhaften und vor Gericht zu stellen bis zum endgültigen Urteil (Tod).“ Carafa hatte den Befehl buchstabengetreu ausgeführt. Der Papst wurde nicht belästigt, obwohl er ein hervorragender Kandidat für Nachforschungen war – mit seiner Mätresse, seinen unehelichen Kindern, seinen Geschenken von roten Hüten an seinen Enkel und seine Neffen, die vierzehn und sechzehn Jahre zählten.
Im abschließenden Consilium oder Ratschlag an Papst Paul gab es tatsächlich offene Kritik am päpstlichen Absolutismus, Simonie, Mißbräuchen in der Verleihung von Bischofsämtern an unwürdige Kandidaten und vielem mehr. Unglücklicherweise für den Vatikan wurde dies Dokument bekannt. Die Protestanten lasen es mit Entzücken, weil es alles bestätigte, was sie je über das Papsttum gesagt hatten.
Als Carafa Papst wurde, hatte er keine Wahl, als das Consilium, das er geschrieben hatte, auf den Index zu setzen.
(Peter de Rosa: Gottes erste Diener. Die dunkle Seite des Papsttums. München 1989, S. 214 f.)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 27.12.2020 um 20:09 Uhr (Zitieren)
"... befehle ich Ihnen, dass Sie ...meine Befehle nicht beachten".
Friedrich II.vor der Schlacht bei Mollwitz, aus der er übrigens türmte.
Γραικύλος schrieb am 28.12.2020 um 01:03 Uhr (Zitieren)
(Peter de Rosa: Gottes erste Diener. Die dunkle Seite des Papsttums. München 1989, S. 67)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 29.12.2020 um 14:57 Uhr (Zitieren)
Da staunte Galilei. Als nämlich Papst Urban VIII. zu ihm sagte:
(Peter de Rosa: Gottes erste Diener. Die dunkle Seite des Papsttums. München 1989, S. 281)
Credo quia absurdum.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 05.01.2021 um 17:29 Uhr (Zitieren)
Papst Innozenz IV. (1243 – 1254) versuchte, seinen Neffen als Prätendenten für die Nachfolge des Bischofs Grosseteste von Lincoln zu etablieren. Grosseteste empfand das als unschicklich und schrieb dem Papst:
(Peter de Rosa: Gottes erste Diener. Die dunkle Seite des Papsttums. München 1989, S. 508)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 05.01.2021 um 17:31 Uhr (Zitieren)
(Peter de Rosa, Gottes erste Diener. Die dunkle Seite des Papsttums. München 1989, S. 521)
Das heißt: Ich spreche dich nicht von deinen Sünden frei, bis du zu einer Sünde bereit bist.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 06.01.2021 um 17:54 Uhr (Zitieren)
(Michel Houellebecq: Ein bisschen schlechter. Neue Interventionen - Essays. Köln 2020, S. 9)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 18.01.2021 um 15:01 Uhr (Zitieren)
(Das fehlende Puzzleteil; in: Spektrum der Wissenschaft 2.21, S. 14)
Man könnte es die Paradoxie der Floskel nennen - "ganz zu schweigen" davon, daß hier ein Mathematiker über Logik schreibt!
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Aristoteles schrieb am 18.01.2021 um 16:56 Uhr (Zitieren)
Ob man da wirklich von sinnvoller Veranschaulichung sprechen kann, darf
bezweifelt werden. Unser Gehirn ist für solche Vorstellungen nicht geschaffen.
Dass etwas unendlich sein kann, also kein Ende hat, widerstrebt unserer Intuition,
wohl auch deswegen, weil unser Begriff von Wirklichkeit letztlich sehr begrenzt ist.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 18.01.2021 um 18:02 Uhr (Zitieren)
"Hilberts Hotel" kenne ich; aber die Paradoxie, die ich hier angesprochen habe, hat nichts mit dem Begriff der Unendlichkeit zu tun, sondern mit der Phrase "ganz zu schweigen von" als Einleitung einer längeren Abhandlung.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Aristoteles schrieb am 18.01.2021 um 18:13 Uhr (Zitieren)
Es handelt sich hier um das Stilmittel der Praeteritio.
Daher würde ich eher von einer untypischen Paradoxie sprechen.
Mein Beitrag war nur als Zusatzinfo gedacht.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 19.01.2021 um 12:30 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 19.01.2021 um 14:20 Uhr (Zitieren)
Sehr schön. Zur Quellenfrage (ich möchte ein Buch über Paradoxien schreiben): Das stammt von Dir?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 19.01.2021 um 20:07 Uhr (Zitieren)
Ja, das stammt von mir.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 20.01.2021 um 01:50 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 20.01.2021 um 15:18 Uhr (Zitieren)
Von der Struktur her (Bestätigung dessen, was zugleich verneint wird) ist das so wie "Du hast keine Chance. Nutze sie."
***
(Guillermo Arriaga: Der Wilde. Stuttgart 2018, S. 223)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 31.01.2021 um 12:21 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 31.01.2021 um 16:35 Uhr (Zitieren)
Eine gelungene Übertragung der diskutierten Frage auf einen sokratischen Dialog.
Dein Argument erinnert mich auf eine vage Weise an Gedanken von Hilary Putnam u.a., daß weder alle Bilder eine Fälschung noch wir alle bloß Gehirne in einem Tank (übrigens auch dies eine SF-Idee von Philip K. Dick) sein können.
Dies
leuchtet mir auch völlig ein.
Aber dies
immer noch nicht, so sehr ich auch darüber nachgedacht habe.
Wir unterscheiden zwei mögliche Zustände: Leben und Totsein. Oder: Träumen und Wachsein. Kriterien zu ihrer Unterscheidung gibt es, z.B. den Vorgang des Sterbens [wie bei X und Y beobachtet] bzw. das Erlebnis des Aufwachens.
Dennoch weiß ich nicht, in welchem von beiden Zuständen ich mich befinde, weil ich (a) mich an den Vorgang meines Sterbens nicht erinnere [diese Erinnerung gehört nicht zum oben genannten Kriterium] und (b) nicht weiß, ob mir das Erlebnis des Aufwachens nicht in naher Zukunft bevorsteht.
Irgendein spezielles Wissen darüber, wie es ist, tot zu sein, ist weder für die Unterscheidung noch für meinen Zweifel Voraussetzung.
Nun ahne ich Deinen Einwand: Aber im Falle (b), also des Träumens und Aufwachens, ist doch klar ersichtlich, daß ich beides kennen muß, um zweifeln zu können, in welchem der beiden Zustände ich mich befinde.
Ja, aber das liegt an dem eingeführten Kriterium (s.o.), bei dem ich das (subjektive) Erlebnis des Aufwachens verwendet habe.
Nicht so beim Tod: Ich habe meine Eltern sterben sehen und weiß, wie die Ärzte den Tod festgestellt haben. Das habe ich als Kriterium benutzt. Was ich nicht weiß: wie sich das aus der Sicht meiner Eltern angefühlt hat bzw. heute anfühlt: tot zu sein. Also hat das Kriterium in diesem Falle keine subjektive Komponente.
Deshalb kann ich heute lediglich ausschließen, irgendeine Erinnerung daran zu haben, daß ein Arzt mich für tot erklärt hat. Vielleicht haben auch meine Eltern das nicht, obgleich sie für tot erklärt worden sind.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 01.02.2021 um 14:58 Uhr (Zitieren)
Mein Einwand hat eine zunächst simple analytische Dimension, die, denke ich, noch immer den mit Schleiermachers Version von Platons Sokrates als Revenant (oder auch nicht) spielenden Eintrag im Paradoxiethread rechtfertigt.
Ich erwidere also zunächst, dass die in der vorgestellten Argumentation gebrauchte Behauptung "Ich kann nicht wissen, wie es ist, x zu sein" impliziert, dass man zum Zeitpunkt der Äußerung x nicht ist und auch noch nie war, andernfalls sie keinen (oder schon paradoxen) Sinn ergibt. Das gilt für x = eine Katze, ein Kindersoldat in Angola, unter dem Einfluss von LSD, pansexuell, glücklich ... und offenbar auch tot, woraus sich, da tot in gewöhnlichem Verständnis in binärer Opposition zu lebendig steht (tot = ist nicht lebendig/nicht tot = lebendig), ergibt, dass der Sprecher das Reich des Todes noch nie betreten hat, also lebt. Das Modalverb steigert diesen Aspekt zusätzlich von der Faktizität (Ich weiß es nicht) zu einer grundsätzlichen Unmöglichkeit (Ich kann es nicht wissen, weiß es also auch nicht, und werde es vermutlich nie wissen).
Dieses Nichtwissenkönnen eines Subjekts über einen bestimmten Zustand unter solchen Voraussetzungen (das ich im anderen Thread dessen kognitive Impermeabilität genannt habe) wird im Argument aber im nächsten Schritt in, wie ich eben meine, paradoxer Weise so verwertet, dass besagte Implikation in ihrer Geltung aufgehoben wird, da die Folgerung zur Unentscheidbarkeit führt, pointiert verknappt: Ich kann nicht wissen, wie es ist, tot zu sein, bin es daher vielleicht oder auch nicht. Darin stecken natürlich unzählig weitere Probleme, ich sehe aber nicht, wie man in dieser Argumentation den Widerspruch so einfach abschütteln könnte.
Man müsste im Ausgang von "Irgendein spezielles Wissen darüber, wie es ist, tot zu sein, ist weder für die Unterscheidung noch für meinen Zweifel Voraussetzung" vielmehr erst einmal herausfinden, was denn die nicht-speziellen, vielmehr allerallgemeinsten Bedingungen (und nicht nur die des Wissens) für eine solchen Überlegung und die Unterscheidung darstellen, die sich nicht verwerfen lassen, ohne die Bedeutung der semantischen Impermeabilität und ihre Folgerungen zu destabilisieren.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 06.02.2021 um 18:36 Uhr (Zitieren)
Der Traum des Zhuang Zi
Einst träumte (meng - 夢) Zhuang Zhou (d. i. Zhuangzi), daß er ein Schmetterling wurde (wei -為), der beschwingt umherflatterte. Er hatte Freude an sich und folgte allen seinen Regungen (wtl: „er paßte zu seinen Regungen“; shi²zhi² - 適志).
Dabei wußte er nicht (buzhi - 不知), daß er Zhuang Zhou war. Plötzlich wurde er wach (jue -覺); da war er Zhuang Zhou – ganz eindeutig nur dieser. Nun weiß man nicht (buzhi - 不知), ob es Zhuang Zhou war, der geträumt hat, er sei ein Schmetterling geworden, oder ob es ein Schmetterling war, der geträumt hat, er sei Zhuang geworden. Es gibt aber gewiß zwischen Zhuang Zhou und einem Schmetterling einen Unterschied. Dies ist damit gemeint, wenn gesagt wird: „Die Wesen unterliegen dem Wandel (wuhua - 物化)“.
Ist Zhuangzi der Träumer oder ist er der Traum des Schmetterkings? Das kann Zhuangzi nie mit Sicherheit wissen.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 07.02.2021 um 12:56 Uhr (Zitieren)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Sana schrieb am 07.02.2021 um 15:05 Uhr (Zitieren)
Das ist super, dass hier jemand Chinesisch kann. Ich frage mich, wofür in 則蘧蘧然周也 das doppelte qu² (蘧) steht?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 07.02.2021 um 17:34 Uhr (Zitieren)
Da muss ich leider passen, Chinesisch kann ich nicht.
Ich habe nur auf der Suche nach dem Text des "Schmetterlingstraums" dieses gefunden, garniert mit chinesischem O-Text für den Kenner. Mir sind die Zeichen Deko.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 07.02.2021 um 23:03 Uhr (Zitieren)
Beim "Schmetterlingstraum" habe ich den Eindruck, daß es sich da nicht um eine Paradoxie handelt, sondern um eine systematische Unsicherheit mangels Kriterium, um Traum von Wirklichkeit zu unterscheiden.
filix ist da vermutlich anderer Ansicht, weil es sich um einen analogen Fall zur Ungewißheit handelt, ob man schon tot ist.
***
Ein vergleichbarer Text:
(Victor H. Mair (Hrsg.), Zhuangzi. Das klassische Buch daoistischer Weisheit. Frankfurt/Main 1998, S. 84)
***
Ganz ohne Zweifel paradox ist der folgende Text, weil er sich selbst aufhebt:
(Dschuang Dsi, Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Hrsg. von Richard Wilhelm. Düsseldorf/Köln 1969, S. 226 f.)
(Der wird wohl im Parallelthread schonmal vorgekommen sein.)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 08.02.2021 um 11:57 Uhr (Zitieren)
Im Traum des Zhuang Zi, so wie er oben in dt. Übersetzung steht, stellt sich die paradoxe Struktur m.E. zunächst nicht so unvermittelt her, da im Grunde nur Behauptungen eines externen Beobachters oder, genauer gesagt, eines auktorialen Erzählers (Nullfokalisierung nach Genette) dargeboten werden, nicht aber das Subjekt im Text selbst die kognitive Impermeabilität bezüglich seiner selbst in der Ich-Form feststellt. Der erkenntnistheoretische Status eines solchen allwissenden oder wenigstens mit dem vom Leser gewöhnlich akzeptierten Anspruch, ungehindert die Innenschau der Figuren schildern zu können, auftretenden Erzählers, verknüpft sich allerdings mit dem Peritext (in diesem Fall mit der Verfasserangabe), der nahelegt, dass Erzähler und von ihm behandelte Figur ein- und derselbe sind. Aus dieser Konstellation kann man eine Menge Paradoxien generieren.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 08.02.2021 um 13:37 Uhr (Zitieren)
So gesehen führt uns Zhuang Zi in ein Spiegelkabinett der "Realitäten"
Das macht perplex mindestens wie Sokrates.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 08.02.2021 um 13:41 Uhr (Zitieren)
Der Buddhismus kam erst lange nach meister Zhuangzi nach China, fand aber offenbar die Lehre von Illusion des Seins, der Maya, bestens vorbereitet.
Marcella schrieb am 08.02.2021 um 13:43 Uhr (Zitieren)
meister > Meister; Lehre von der Illusion
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 08.02.2021 um 22:53 Uhr (Zitieren)
Eine Rangerin aus Namibia berichtet über das Problem der Elefanten, bei zunehmender Trockenheit noch genügend Wasserstellen zu finden, und das Problem der Gartenbesitzer, bei denen die Elefanten auf der Suche nach Wasser eindringen. Nun baut man spezielle Wasserbecken für Elefanten. Die Feststellung der Rangerin:
(Weltspiegel in der ARD am 7.2.2021)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 09.02.2021 um 14:02 Uhr (Zitieren)
Ich gehe nochmals auf das "Ich weiß nicht, wie es ist, tot zu sein" ein:
Es gibt eine Reihe von Sätzen, die man nicht aussprechen kann, ohne sich selbst zu widersprechen:
• Ich existiere nicht.
• Ich bin bewußtlos.
• Ich kann kein Wort Deutsch.
• Ich zweifle an allem.
Die Frage ist, ob „Ich bin tot“ dazugehört. Das ist abhängig davon, ob man über eine Definition und ein Kriterium dafür verfügt, was Totsein bedeutet. Bei Bewußtsein bzw. Bewußtlosigkeit z.B. ist das der Fall, da hat man ein Kriterium.
Wenn man nun Totsein so versteht wie Epikur, dann ist „Ich bin tot“ in der Tat paradox. Seine Vorstellung der Nichtexistenz und Bewußtlosigkeit wird aber vielfach bestritten (von denen, die an ein Leben nach dem Tod glauben) und kann deshalb nicht ohne weiteres der Beurteilung zugrunde gelegt werden. Deshalb sage ich, daß ich nicht weiß, was es bedeutet, tot zu sein. Und dann ist der Satz „Ich bin tot“ ebensowenig paradox wie „Ich weiß nicht, ob ich tot bin“.
filix will wohl darauf hinaus, daß der letztere Satz ähnlich zu beurteilen ist wie „Ich weiß nicht, ob ich eine Erkältung habe“: Wenn man nicht weiß, ob man eine Erkältung hat, dann hat man keine. Das liegt aber nur daran, daß Erkältetsein mit der Empfindung, erkältet zu sein, verbunden ist. Hingegen „Wenn man nicht weiß, ob man einen Herzinfarkt (gehabt) hat, dann hat man keinen (gehabt)“ ist falsch. We-gen der Möglichkeit des stillen, nicht von einer Empfindung begleiteten Herzinfarkts kann man nicht ausschließen, einen (gehabt) zu haben.
Und wegen der Möglichkeit (!), daß nach dem Tod eine Art von Leben folgt, dessen Eigenschaften wir nicht kennen, ist es nicht paradox zu sagen: „Ich weiß nicht, ob ich schon gestorben und in diesem Sinne tot bin.“ Daß ich keine Erinnerung daran habe, gestorben zu sein, ist kein Einwand, denn es muß nicht so sein, daß das Leben nach dem Tod mit einer solchen Erinnerung verbunden ist.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 09.02.2021 um 23:23 Uhr (Zitieren)
Ich sehe nicht ein, warum man den Zustand, tot zu sein, nach Art einer unentdeckten Krankheit (eine literarisch gewiss reizvolle Idee) betrachten sollte, die erstens nicht die Existenzweise des sprechenden Subjekts in toto angreift (denn das gehört doch zu beiden Seiten der Differenz tot/lebendig wohl dazu), zweitens, um in einem Satz vom Typ "Ich weiß nicht, ob ich einen (stillen) Herzinfarkt hatte" Sinn zu ergeben, für spezielle Vorstellungsinhalte und Entscheidungskriterien offen sein muss, also nicht vollständig kognitiv impermeabel ist. Kurzum, der Verführung zum nachfolgenden Analogieschluss nachzugeben, sehe ich mangels eines Arguments für diesen Zwischenschritt vorerst keinen Anlass.
Eine Krankheit, für die es keinerlei innerlichen oder äußerlichen Anzeichen welcher Art immer, keine Untersuchungsmethoden und Diagnosekriterien usf. gibt, verwandelt sich schnell in ein ähnlich paradoxes Unding wie der von allen speziellen Inhalten gereinigte und allen Kriterien für seinen Eintritt begrifflich entzogene Tod, der nur noch eine wissens- und erfahrungsmäßig unerreichbare Seite einer in binärer Oppostion angelegten Differenz markiert (tot ist nicht lebendig, lebendig ist nicht tot).
Was sollte der sonst noch sein, weisen wir alle psychischen und physischen Empfindungen, alles sozial vermittelte Wissen, die stumme Einrede der Leichen, die Versicherungen der Nächsten und Umstehenden wie der Ärzte, Priester und Verwalter, die auf Unterscheidung beharren, zurück? Ist er begrifflich nicht mehr, impliziert, dabei bleibe ich, "Ich weiß nicht, wie es ist, tot zu sein", dass ich es nicht bin. Oder die Rede wird überhaupt sinnlos. Deshalb schrieb ich weiter oben, man müsse erst einmal die allerallgemeinsten Voraussetzung einer solchen Epoché widerstehenden Definition von tot/lebendig analysieren.
Was möglich ist, ist gewöhnlich nicht wirklich, soll hier aber offenbar heißen: möglicherweise schon eingetreten, also wirklich, jedoch unentdeckt. Ich bin folglich womöglich schon tot, weiß es nur noch nicht. Die in diesem Lichte eigenartige Rede von "nach dem Tod" markiert dann bloß eine Wissensdifferenz. Wäre der Tod sozusagen eine Art stiller Herzinfarkt der Existenz, müsste, um die Analogie zu bemühen, es Kriterien geben, herauszufinden, dass er sich in der Vergangenheit ereignet hat. Der Sinn einer solchen Rede liegt darin, das Ereignis vom Wissen zu trennen. Das Wissen schafft nicht das Ereignis, man hat also nicht einen stillen Herzinfarkt dadurch erlitten, dass man um ihn weiß. Entsprechendes gilt für das womöglich schon eingetretene Leben nach dem Tod, es müsste also Kriterien geben, um herauszufinden, dass es schon eingetreten ist, die aber als unverfügbar behauptet werden. Sind sie es, weil man noch nicht gestorben ist, so entsteht in der Argumentation die Paradoxie, dass weil man noch nicht tot ist, nicht wissen kann, ob man es schon ist. Wird hingegen eine prinzipielle Unmöglichkeit angesetzt, durch irgendeine eine vom Wissen unterschiedene Existenztransformation in den Besitz solcher Kriterien zu gelangen, stellt sich die Frage, wie man das argumentieren sollen, ohne in allerlei Paradoxien zu geraten? Wie soll in solchen Verhältnissen ein Nichtwissenkönnen um den Eintritt eines fundamentalen Existenzustandes anders begründet werden als unter der Implikation seines Nichteintritts?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 09.02.2021 um 23:26 Uhr (Zitieren)
argumentieren sollen kann
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 10.02.2021 um 01:47 Uhr (Zitieren)
Hier kann man, Stichwort Cotard-Syndrom, nachlesen, welche zersetzende Kraft entfaltet, was hier als unterhaltsame Spekulation auftritt, wird es empfunden und zur Überzeugung:
Γραικύλος schrieb am 10.02.2021 um 16:32 Uhr (Zitieren)
Der Hinweis auf das Cotard-Syndrom ist interessant. Er erinnert mich an folgendes Erlebnis: Mit einer Schülergruppe habe ich eine psychiatrische Klinik besucht, wo uns der Chefarzt Informationen zu verschiedenen Geisteskrankheiten gegeben hat. „Das Auffallende an einer Psychose“, so sagte er unter anderem, „besteht darin, daß die Betroffenen vollkommen sicher sind, in der Wirklichkeit zu leben, und wir, die anderen, seien die mit der verzerrten Wahrnehmung.“
Dazu kam von mir spontan die Frage: „Wie können wir, die wir genau diese Überzeugung haben, dann sicher sein, nicht psychotisch zu sein?“
Ob dem Chefarzt diese Frage schonmal gekommen war, weiß ich nicht; er wirkte jedenfalls nicht allzu überrascht und meinte: „Wenn Sie daran zweifeln, ob Sie psychotisch sind, dann sind Sie es nicht. Denn für den Psychotiker ist gerade die vollkommene Sicherheit typisch.“
Nun, das ist ein empirisches, kein logisches Kriterium; und doch erinnert es mich an Deinen Standpunkt: Wenn ich daran zweifle, ob ich tot bin, dann kann ich es nicht sein.
Das Argument des Arztes habe ich verstanden; das ist ein Kriterium, und es hat weitreichende Folgen.
Ich weiß immer noch nicht, ob Du das Werk Philip K. Dicks kennst, dessen Lebensthema das war. Unter Umständen schreibe ich jetzt also etwas, das Dir schon bekannt ist.
PKD hat eines Tages am Himmel ein großes, metallenes, böses Gesicht gesehen, und diese Wahrnehmung blieb ihm für mehrere Tage. (Diese Erfahrung hat er zu seinem Roman „The Three Stigmata of Palmer Eldritch“ verarbeitet.) Später hat er zweimal ein Gotteserlebnis gehabt – ein Wesen, das er VALIS (Vast Active Living Intelligent System) nannte (Grundlage seiner VALIS-Trilogie). Auffallenderweise hat er immer, lebenslang, daran gezweifelt, ob er etwas Wirkliches erlebt hatte oder einer Wahnvorstellung erlegen war. Im VALIS-Fall hat das zu ca. 10000 Seiten Reflexionen (nur in Auszügen veröffentlicht) geführt, in denen er Pro und Contra abgewogen hat, aber nie unreflektiert davon ausgegangen ist, daß es Wirklichkeit war. (Ich frage mich, ob Moses und Mohammed ähnlich skrupulös mit ihren Erfahrungen umgegangen sind.)
Nach dem eben erwähnten Kriterium kann PKD nicht psychotisch gewesen sein – und es ist auch nie eine Psychose bei ihm diagnostiziert worden. Neurosen schon, in Menge, aber keine Psychose. Daß PKD immer wieder seinen eigenen Vorstellungen, auch den entsetzlichsten, eine (galgen-)humorige Seite abgewinnen konnte, spricht im Sinne des Chefarztes ebenfalls gegen eine Psychose. („Daß ich an Verfolgungswahn leide, heißt noch lange nicht, daß sie nicht hinter mit her sind.“) Psychotiker sind humorfrei, was ihre Grundüberzeugungen angeht.
Post mortem ist bei PKD eine Schläfenlappen-Epilepsie vermutet worden; aber auch dies ist nicht das Resultat irgendeiner medizinischen Diagnose zu Lebzeiten.
Der als „Bladerunner“ verfilmte PKD-Roman basiert auf der Frage, ob die verschiedenen Akteure Menschen oder Androiden sind – wobei wir Leser bzw. Zuschauer im Laufe der Handlung immer unsicherer werden, wer was ist und ob wir nicht am Ende selbst Androiden sind. Zur Unterscheidung gibt es den sog. Voigt-Kampff-Test, der die Frage angeblich beantworten soll; in einer Schlüsselszene wird der Androiden-jäger, der sich mit großer Selbstverständlichkeit für einen lupenreinen Menschen hält, zu seiner Verblüffung gefragt: „Haben Sie eigentlich den Voigt-Kampff-Test schonmal mit sich selber machen lassen?“
Und dann in dem Roman UBIK das Problem eines Menschen, der sich für lebendig hält, im Laufe der Zeit jedoch herausfindet, daß er in Wahrheit tot ist. Die Kriterien dafür werden im Verlauf der Handlung nach und nach durch seltsame Ereignisse entwickelt, die nicht in die ursprüngliche Annahme passen.
In diesen Zusammenhang gehört auch die Aussage (ich weiß nicht mehr, bei wem ich sie gelesen habe), daß Alan Turing den Turing-Test vor allem deshalb entwickelt habe, weil er selbst den Verdacht gehabt habe, ein Computer-Programm zu sein.
In allen diesen Fällen geht es für uns primär um eine unterhaltsame Spekulation – für Dich vielleicht noch mehr als für mich, der ich durch diese Möglichkeiten schon existentiell etwas beunruhigt bin. Und es geht, intellektuell gesehen, um mögliche Kriterien, durch die wir den Unterschied feststellen können. Ich wäre beruhigter, wenn ich sie klarer erkennen könnte ... oder wenn wir uns auf welche einigen könnten.
Wie gesagt, die Äußerung des Chefarztes erschien und erscheint mir zumindest klar verständlich: Wer zweifelt, ist weder wahnsinnig noch gar tot. Das ist zunächst beruhigend. Aber ob es zutrifft? Gerne hätte ich das Gespräch mit dem Arzt fortgesetzt, wenn er denn die Zeit dazu gehabt hätte: Was ist, wenn jemand ein riesiges Gesicht am Himmel sieht (sieht!), aber daran zweifelt, ob das wirklich oder ob er wahnsinnig geworden ist?
Das ist mir noch nicht passiert. Ebenso hatte ich noch nicht ernsthaft das Gefühl, tot zu sein. Falls ich aber eines Morgens am Badezimmerspiegel links unten einen kleinen Klebezettel sehen sollte, auf dem „UBIK“ steht, dann ahne ich, daß es jetzt losgeht. Mit dem Wahnsinn oder mit dem Totsein.
Die Erlebnisse in meinem Leben, für die ich keinerlei Erklärung habe und die sich nicht recht in die naturgesetzlich geregelte Weltordnung fügen wollen, sind zum Glück bisher episodischer Natur und zu selten, als daß ich ernsthaft in Betracht ziehen müßte, daß mit meinen Annahmen über mich und die Welt etwas grundlegend nicht stimmt.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 10.02.2021 um 16:44 Uhr (Zitieren)
Bekannt dürfte sein die Verfilmung einer PKD-Kurzgeschichte: "Total Recall".
Darin weiß der Protagonist nicht (und wissen wir nicht), ob er ein Bauerarbeiter auf der Erde ist, der sich für einen Mars-Agenten hält, oder ein Mars-Agent, der sich für einen Bauarbeiter auf der Erde hält.
Klingt wie die SF-Version des Schmetterlingstraums.
PKD kannte sich gut genug in asiatischem Denken aus, um ihm hier ein Anleihe zuzutrauen. "The Man in the High Castle" (kürzlich von Amazon verfilmt) hat er nach dem I Ging geschrieben. Da taucht die 'wirkliche' Vergangenheit (daß Deutschland und Japan den Zweiten Weltkrieg verloren haben) als fiktive Version innerhalb einer Fiktion (daß Deutschland und Japan den Zweiten Weltkrieg gewonnen haben) auf.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
filix schrieb am 10.02.2021 um 21:40 Uhr (Zitieren)
Mit PDK habe ich mich nur wenig befasst, die kursorische Lektüre hat mich nie so gefesselt, dass das Bedürfnis sich eingestellt hätte, sie zu vertiefen. Die Sache mit dem Turing-Test ist natürlich wunderbar - se non è vero, è molto ben trovato - und eine Nährlösung für allerlei Überlegungen zu Paradoxien im Zusammenhang mit solchen Verfahren.
Ich denke, die tiefere Ursache, warum wir uns nicht einig sind, hängt mit einer Bedeutungsdimension von Sätzen des Typ „Ich existiere“, „Ich lebe“ usf. zusammen, die gewissermaßen über aller vorgetragenen Argumentation schwebt.
Zu sein, zu leben ist eben auch eine Art unhintergehbares Grundgefühl, das diskursiv nicht herzustellen oder einzuholen, jedoch Voraussetzung aller Kriteriologie ist, gerät das Subjekt in eine Krise, die es daran zweifeln lässt, ob es lebt oder tot ist.
Diese Krise wird hier, mit unterschiedlichem Beunruhigungspotenzial, spielerisch evoziert, bricht beim Cotard-Syndrom und Verwandtem aber offenbar vor aller Überlegung unf Argumentation, deren Verständnis es mitbedingt, aus.
Metaphorisch gesprochen spielen wir auf hoher See aus Abenteuerlust ein bisschen mit der Steuerung, um die Orientierung zu verlieren und vom Kurs abzukommen, während im Ernstfall ein Brand im Maschinenraum das Schiff auf eine äußerst unangenehme, unkontrollierbare Reise durch die Meere des Wahnsinns schickt.
Ich vermute, dass dir aus angedeuteten existenziellen Motiven mehr daran gelegen ist, diese resistente Krise des Grundgefühls, die im Satz „Ich kann nicht wissen, ob ich tot bin oder lebe“ sich abzeichnet, als solche einzuholen und sichtbar zu machen, wogegen ich mich mehr mit der Methode ihrer vermittelnden Herstellung durch Argumentation, in der ich besagte Widersprüche orte, befasse. Dass diese sich als argumentativ defekt oder paradox erweist, ändert natürlich nichts daran, dass die Krise des Grundgefühls virulent bleibt, von diesem Zweifel kann man so nicht abgebracht werden. So gesehen reden wir wahrscheinlich aneinander vorbei.
Man könnte jedenfalls den fiktiven sokratischen Dialog mit all diesen Aspekten spielend erweitern, einschließlich des Auftritts eines antiken Psychiaters avant la lettre.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 17.02.2021 um 15:43 Uhr (Zitieren)
(Zülfü Livaneli: Der Eunuch von Konstantinopel)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 17.02.2021 um 20:45 Uhr (Zitieren)
Wow!
Ist das ein Paradoxon? Das wahre Wort ist nicht schön, das schöne Wort ist nicht wahr. Lao Dse
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 18.02.2021 um 12:46 Uhr (Zitieren)
(Gedicht 81 in der üblichen Zählung)
Das ist m.E. nur dann paradox, wenn der Verfasser behauptet, seine Worte seien nicht nur wahr (was wir ihm unterstellen dürfen), sondern auch schön.
Eindeutiger liegt der Fall in Gedicht 56:
Das ist einer der (redenden) Texte, wie sie auch im Zhuangzi vorkommen: die sich nämlich selbst dementieren.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 19.02.2021 um 16:03 Uhr (Zitieren)
(Leonard Nelson: Die Unmöglichkeit der Erkenntnistheorie. Vortrag vom 11. April 1911; in: Leonard Nelson, Vom Selbstvertrauen der Vernunft. Schriften zur kritischen Philosophie und ihrer Ethik. Hrsg. v. Grete Henry-Hermann. Hamburg 1975, S. 55 f.)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 20.02.2021 um 16:34 Uhr (Zitieren)
(Egon Friedell; zitiert nach: Kultur ist Reichtum an Problemen. Extrakt eines Lebens gezogen und vorgesetzt von Heribert Illig. Zürich 1989, S. 20)
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Mitleser schrieb am 21.02.2021 um 11:16 Uhr (Zitieren)
Was soll damit gemeint sein?
Wie glaubt ein Organismus?
Beispiel?
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 21.02.2021 um 23:56 Uhr (Zitieren)
Den Gedanken, daß der Leib "glaube" und darin stärker sei als der Geist, hat Friedell vermutlich von Nietzsche übernommen.
Im Volksmund läßt man sich vom Herzen oder vom Bauchgefühl leiten, und nach heutigem Verständnis sind es die im Darm oder noch tiefer gebildeten Hormone, die uns steuern. Zumindest was Männer angeht, hat der Volksmund auch dafür eine Bezeichnung.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Marcella schrieb am 22.02.2021 um 11:31 Uhr (Zitieren)
Also nicht nur Bauchhirn-und -intelligenz, sondern auch Bauchglauben.
Das würde ja so manches erklären. Damit könnte eine Flatulenz religiöse Wirkungskraft gewinnen.
Re: Paradoxien, nicht nur aus der Antike #2
Γραικύλος schrieb am 25.02.2021 um 16:47 Uhr (Zitieren)
(John Dos Passos: Manhattan Transfer. Reinbek ²2016, S. 231)