α β γ δ ε ζ η θ ι κ λ μ ν ξ ο π ρ ς σ τ υ φ χ ψ ω Α Β Γ Δ Ε Ζ Η Θ Ι Κ Λ Μ Ν Ξ Ο Π Ρ C Σ Τ Υ Φ Χ Ψ Ω Ἷ Schließen Bewegen ?
Altgriechisch Wörterbuch - Forum
Eine kühne These von Marc Aurel (903 Aufrufe)
Γραικίσκος schrieb am 21.10.2009 um 12:28 Uhr (Zitieren)
Τῷ λογικῷ ζώῳ ἡ ἀυτὴ πρᾶξις κατὰ φύσιν ἐστὶ καὶ κατὰ λόγον.

(Marc Aurel: ΤΑ ΕΙΣ ΕΑΥΤΟΝ, VII 11)

Es klingt irgendwie logisch, aber da wir Menschen eben nicht nur vernünftige Wesen sind, gerät doch oft unsere Natur mit unserer Vernunft in Konflikt. Vielleicht meint Marc Aurel aber eher Gott - vgl. den bestimmten Artikel "τῷ".
Re: Eine kühne These von Marc Aurel
ανδρέας schrieb am 21.10.2009 um 18:42 Uhr (Zitieren)
Versuch:

Dem vernünftigen Lebewesen ist das Handeln sicherlich/wahrlich selbst der Begabung/Herkunft/Fähigkeit und gemäß der Sache/des Wortes/der Rede. (es handelt nach seiner Begabung und nach ...).

Ist damit gemeint?
Der Mensch kann nicht aus seiner Haut und handelt daher nicht immer nur nach sachlichen Erwägungen.
Re: Eine kühne These von Marc Aurel
Γραικίσκος schrieb am 21.10.2009 um 18:50 Uhr (Zitieren)
Dem vernünftigen Wesen ist (ein und) dieselbe Handlung gemäß seiner Natur (naturgemäß) und gemäß seiner Vernunft (vernunftgemäß).

Soll heißen: Für ein vernünftiges Wesen ist das, was es seiner Natur nach erstrebt, und das, was vernünftig ist, ein und dasselbe. Noch kürzer: Ein vernünftiges Wesen will nur das, was vernünftig ist.
Daher mein Einwand, daß Menschen nicht nur vernünftige Wesen sind. Aber vielleicht meint er Gott.
Re: Eine kühne These von Marc Aurel
Γραικίσκος schrieb am 21.10.2009 um 18:56 Uhr (Zitieren)
Wenn diese Annahme, er meine Gott, stimmt, dann heißt das: Er kann sich für Gott keine unvernünftige Handlung vorstellen.
In der jüdischen Religion ist das ja gut möglich, weil Gott sehr ambivalent ist.
Re: Eine kühne These von Marc Aurel
ανδρέας schrieb am 21.10.2009 um 19:02 Uhr (Zitieren)
φύσιν ... Natur (die Variante habe ich weggelassen, nun ist es klar.

Wer entscheidet, was vernünftig ist? Meist gibt es dafür unterschiedliche Lösungsansätze.Letztlich wird damit ja jeder, der sich für vernünftig hält, fast automatisch autokratisch, ein Tyrann, wenn es übel läuft.Der Wille kann damit immer als vernünftig interpretiert werden, wenn sich der Handelde selbst als vernünftig ansieht (subjektiv).
Im Grunde eine Tautologie: weil ich vernünftig bin, entspricht mein Wille der Vernunft. Gefährlich, wenn man in Wirklichkeit z.B. Nero heißt und seinen Willen stets durchsetzen kann ...
Wer bestimmt, was Vernunft ist?
Kann wirklich nur Gott sein.
Re: Eine kühne These von Marc Aurel
Γραικίσκος schrieb am 21.10.2009 um 19:07 Uhr (Zitieren)
Die meisten Tyrannen, die mir so auf Anhieb einfallen, berufen sich nicht auf die Vernunft, sondern auf Stärke, Willen usw.
Caligula soll ja gerne zitiert haben: "Hoc volo, sic iubeo, sit pro ratione voluntas."

Eigentlich finde ich die Vernunft nicht so mißbrauchsanfällig. In der Demokratie sind zwar Meinungsverschiedenheiten darüber an der Tagesordnung, aber es empfiehlt sich doch, argumentative Mindeststandards einzuhalten. Sonst gibt man sich Blößen (wie einst Frau Ypsilanti und jetzt die FDP).
Re: Eine kühne These von Marc Aurel
Γραικίσκος schrieb am 21.10.2009 um 19:09 Uhr (Zitieren)
Kants Prinzip der Verallgemeinerbarkeit von Maximen als moralisches Kriterium halte ich für sehr vernünftig. Es ist dies ja nichts anderes als formale Vernunft.
Die häufigsten Einwände dagegen bestreiten nicht dies, sondern die Realisierbarkeit dieses Prinzips.
Re: Eine kühne These von Marc Aurel
ανδρέας schrieb am 21.10.2009 um 19:10 Uhr (Zitieren)

Ja, das ist der Vorteil der Demokratie: man muss sich rechtfertigen. Die Opposition kontrolliert (und die Gerichte, Gewaltenteilung). Keiner ist perfekt. Oder wie Churchill sagte: die Demokratie ist die am wenigsten schlechte Staatsform.
Re: Eine kühne These von Marc Aurel
Βοηθὸς Ἑλληνικός schrieb am 21.10.2009 um 19:10 Uhr (Zitieren)
Ich denke, er meint nicht Gott, wenn man an die Grundbedeutung von τὸ ζῷον denkt: lebendes Wesen, Geschöpf, Mensch oder auch Tier.
Re: Eine kühne These von Marc Aurel
Βοηθὸς Ἑλληνικός schrieb am 21.10.2009 um 19:13 Uhr (Zitieren)
..wenn er Gott gemeint hätte, würde er nicht τὸ ζῷον verwenden.
Re: Eine kühne These von Marc Aurel
Γραικίσκος schrieb am 21.10.2009 um 19:15 Uhr (Zitieren)
Das ist ein gutes, geradezu schlagendes Argument, Βοηθός!
Dann muß er 'den Weisen' meinen. Oje.
Re: Eine kühne These von Marc Aurel
ανδρέας schrieb am 21.10.2009 um 19:16 Uhr (Zitieren)

Marc Aurel hätte den kategorischen Imperativ wohl unterstützt. Fragt sich, ob zu seiner Zeit die anderen dieses Prinzip verstanden hätten. Vielleicht die frühen Christen: was du nicht willst, was man dir tu`, das füg auch keinem anderen zu ...
oder: denk nicht nur an dich selbst und frage dich, was dem Wohle aller nützt. Aber auch dieses Prinzip kann man missbrauchen, indem man andere zu ihren Glück zwingen will. Spätere Christen haben dies gemacht - und zack Inquisition, was vernünftig ist, bestimmen wir. Immer gefählich, wenn einer glaubt den heiligen Gral gefunden zu haben.
Re: Eine kühne These von Marc Aurel
ανδρέας schrieb am 21.10.2009 um 19:18 Uhr (Zitieren)

Welchen Gott haääte M. Aurel denn auch damit ansprechen sollen? Den christlichen sicher nicht. Und die röm.griechischen Götter waren oft höchst unvernünftig.
Re: Eine kühne These von Marc Aurel
Γραικίσκος schrieb am 21.10.2009 um 19:22 Uhr (Zitieren)
Manche heidnischen Autoren haben in auffallender Weise von Gott im Singular geredet, fast so, als wären sie Monotheisten.
Wir haben hier vor längerer Zeit einmal darüber gesprochen. Aischylos war ein Beispiel dafür, an das ich mich noch erinnere. Plutarch?
Jedenfalls hätte es mich bei einem Stoiker ('Weltvernunft') nicht überrascht. Aber das τὸ ζῷον-Argument ist beweiskräftig und erledigt meine Annahme.
Re: Eine kühne These von Marc Aurel
Γραικίσκος schrieb am 21.10.2009 um 19:32 Uhr (Zitieren)
Hier
http://www.albertmartin.de/altgriechisch/forum/?view=113#16
hatten wir mal sowas im Gespräch.
Re: Eine kühne These von Marc Aurel
Ὑληβάτης schrieb am 23.10.2009 um 11:15 Uhr (Zitieren)
Darf ich kurz abschweifen?
Wer entscheidet, was vernünftig ist? Meist gibt es dafür unterschiedliche Lösungsansätze.
Ich habe mal ein bisschen über NLP gelesen. Da heißt es, dass jeder das tut, was gut für ihn ist - jedenfalls subjektiv gut, aus welchen Gründen auch immer. Wer sich auf der Autobahn nicht anschnallt, meint, dass es gut für ihn ist.
(Jetzt höre ich schon die Stoiker aufschreien, weil es doch eine Weltvernunft gibt! Sie haben ja Recht - aber nicht immer subjektiv!)
Re: Eine kühne These von Marc Aurel
Γραικίσκος schrieb am 23.10.2009 um 13:54 Uhr (Zitieren)
dass jeder das tut, was gut für ihn ist

Ich habe den Verdacht, daß diese Aussage tautologisch ist, d.h. daß 'gut für den Betreffenden' nicht anders definiert werden kann als 'das, was jemand tut'. --> Jeder tut das, was er tut.
Andernfalls müßte der Terminus 'gut für den Betreffenden' anders definiert werden. Und darauf bin ich sehr gespannt. Es wäre dann sehr wünschenswert, daß diese Definition ein empirisch überprüfbares Kriterium enthielte, das wiederum unabhängig davon sein müßte, was eine Person eben tut.

(Eine berühmte These Darwins steht ebenfalls in dem Verdacht, tautologisch zu sein: "Im Kampf ums Dasein überleben die Bestangepaßten."
Es ist anscheinend unmöglich, 'bestangepaßt' anders zu definieren als 'überlebend' --> Im Kampf ums Dasein überleben die Überlebenden.)
Re: Eine kühne These von Marc Aurel
Γραικίσκος schrieb am 23.10.2009 um 14:47 Uhr (Zitieren)
Ich unternehme einen Versuch: 'gut für den Betreffenden'= das, wovon er sich Glück verspricht.

Nun gibt es aber Fälle, in denen Menschen etwas tun, von dem sie wissen bzw. ahnen, daß es sie unglücklich machen wird - vielleicht andere glücklich ... oder nicht einmal das.
Catull mit seiner Lesbia ist wohl kein schlechtes Beispiel dafür.
Re: Eine kühne These von Marc Aurel
Γραικίσκος schrieb am 23.10.2009 um 14:49 Uhr (Zitieren)
Kants Ethik geht davon aus, daß wir Dinge tun können, weil sie vernünftig sind, unabhängig davon, ob sie uns glücklich machen.

D.h. in dem Moment, in dem wir 'gut für den Betreffenden' nicht-tautologisch definieren, wird die NLP-These falsifizierbar.
Re: Eine kühne These von Marc Aurel
Ὑληβάτης schrieb am 23.10.2009 um 16:53 Uhr (Zitieren)
Uiuiui. Darüber muss ich nachdenken.
Es war tatsächlich so gemeint, dass man z.B. Dinge tut, die andere glücklich machen, eigentlich aber eine Belastung darstellen. Gut für mich ist das, was andere glücklich macht, weil ... und da beginnt das persönliche.
Unangenehmes aufschieben ist gut, weil es dann erstmal nicht direkt sichtbar ist - und das ist gut. Nicht vernünftig, aber gut für mich.
Die eigene Beziehung aus Machismus in die Brüche gehen zu lassen ist gut, weil ... was weiß ich ... es dem Selbstbild entspricht, sich so zu verhalten.
Re: Eine kühne These von Marc Aurel
ανδρέας schrieb am 23.10.2009 um 18:09 Uhr (Zitieren)

Formallogisch halte ich es für einen verbotenen Umkehrschluss zu behaupten, jemand, der sich vernünftig verhält, habe dies auch willentlich getan.
Und nicht jeder, der sich vernünftig verhalten will, ist es auch. Reine Definitionssache und abhängig von subjektiven Bewertungen.
Ist "Euthanasie" vernünftig? (tragisch Beispiele finden sich zu Hauf) Ist/war Abschreckung mit Atomwaffen vernünftig? (man setzt voraus, dass der Gegner sie nicht einsetzt, weil er vernünftig ist und annimmt, man selbst setze sie auch nicht ein - weil man vernünftig ist)
Meist handelt es sich doch nur um Tauschverhältnisse: eine Hand wäscht die andere; ich gebe , damit du gibst; quid pro quo
Interessenausgleich zwischen Menschen: was für die beteiligten Parteien vernünftig erscheint, kann unbeteiligten Dritten schaden. (Kolonialmächte einigen sich friedlich auf Grenzverläufe ohne die Bewohner zu fragen – kein Krieg, aber Unterdrückung). . Ist das aber dann immer noch vernünftig? nunja, wer kann das wissen?
 
Antwort
Titel:
Name:
E-Mail:
Eintrag:
Spamschutz - klicken Sie auf folgendes Bild: Colosseum (Rom)

Aktivieren Sie JavaScript, falls Sie kein Bild auswählen können.