Latein Wörterbuch - Forum
Vor der tür — 2465 Aufrufe
Quaerens1 am 9.6.16 um 14:25 Uhr (Zitieren)
Ist der Ursprung unserer Redewendung etwas steht vor der Tür die lateinische Sentenz ante portas?

Konnte bisher nichts dazu finden. Wisst ihr mehr?
Re: Vor der tür
Ailourofilos am 9.6.16 um 17:07 Uhr (Zitieren)
[Beitrag entfernt]
Re: Vor der tür
rex am 9.6.16 um 18:16 Uhr (Zitieren)
„vor der Tür stehen“ (= nahe bevorstehen)
L. Röhrich: „Sprichwörtliche Redensarten“, Band 3, Seite 1651, WBG.
Re: Vor der tür
rex am 9.6.16 um 18:40 Uhr (Zitieren) I
Siehe auch:
Loriot - Pappa ante portas
Re: Vor der tür
quaerens1 am 9.6.16 um 18:54 Uhr (Zitieren)
Vielen Dank. Aber ist das ante portas auch wirklich der Ursprung unserer Redewendung? Zumindest im wikipediaartikel wird es ja auf etwas negatives, das bevorsteht, beschränkt.
Re: Vor der tür
Kuli am 9.6.16 um 19:21 Uhr, überarbeitet am 9.6.16 um 19:27 Uhr (Zitieren)
Zitat von quaerens1 am 9.6.16, 18:54Zumindest im wikipediaartikel wird es ja auf etwas negatives, das bevorsteht, beschränkt.

Das spricht auch nach meinem Empfinden gegen eine Entlehnung aus dem Lateinischen. Der Grimm* listet dagegen für die deutsche Redensart zahlreiche Belege bis hinab zur Reformationszeit auf, die eine wertungslose Verwendung in Bezug auf das angekündigte Ereignis zeigen.

Als zweiter Einwand wäre anzuführen, dass in der Phrase Hannibal ante / ad portas eben nicht von einer (Haus-)Tür, sondern von (Stadt-)Toren die Rede ist.

* http://www.woerterbuchnetz.de/DWB?lemma=thuer

ν) vor (für), mit dativ
[...] uneigentlich vor der thür sein, stehn, liegen, sitzen:
[...] instare, imminere (gleichsam drauszen stehend und auf eintritt wartend): ich hoff der iungst tag sei fur der thur. Luther an den adel 62 neudruck; das dasselbig regiment bereit von gott verworfen, und sein end vor der thur ist. Melanchthon ausricht. der lat. schul (1543) a 4a; darumb ist das ende des erdtreichs vor der thür. Mathesius Syr. 89a;

wan ellend ist mir vor der thür.
Gengenbach die 10 alter v. 637;

die jahre sind nunmehr vor der thür, da man sagt sie gefallen mir nicht. Ettner unw. doct. 461; es dunkte ihn, als sitze der tod schon vor der thür drausz. Wätterstorf Bacchusia 337;
dein tod ist für der thür!
Gryphius trauersp. 697 P.;

die krankheit warf dich hin, der tod stund vor der thüre.
Günther 634;

bist du aber nicht fromm, so ruhet die sünde vor deiner thür. Weise erzn. 140 neudruck; die astrologi reden von zukünftigen dingen, und wissen nicht was ihnen vor der thür ligt. Schuppius 410; der krieg, der schon vor der thur war. Forberger Guicc. 274a; weil die zahlungszeit vor der thür. Butschky kanzl. 53; ihre bekehrung musz vor der thür sein. Lessing 1, 432; weil die messe gerade vor der thür war. Göthe 26, 91. Schiller 7, 36; die ferien sind vor der thür. Freytag ges. werke 6, 40.
Re: Vor der tür
filix am 9.6.16 um 20:43 Uhr, überarbeitet am 9.6.16 um 20:45 Uhr (Zitieren)
Es fällt allerdings auf, dass auf die ältesten Belege die in der WP ausgesprochene Vermutung zutrifft - hier stehen Tod, Elend, Alter, Krankheit & Co vor der Türe.

Luther (1545) übersetzt Jak. 5, 9: Seufftzet nicht widernandern / lieben Brüder / auff das jr nicht verdampt werdet. Sihe / der Richter ist fur der thür. (ecce iudex ante ianuam adsistit [BSV ed. Weber/Gryson]; ἰδοὺ ὁ κριτὴς πρὸ τῶν θυρῶν ἕστηκεν [UBS GNT])


Als zweiter Einwand wäre anzuführen, dass in der Phrase Hannibal ante / ad portas eben nicht von einer (Haus-)Tür, sondern von (Stadt-)Toren die Rede ist.


Womöglich drückt sich darin der Unterschied von Kollektivbedrohung und Individualbedrohung aus - letztere gälte in Gestalt von Tod und Gericht jedem einzelnen Gläubigen, geht man von der Annahme aus, dass sich die Wendung ursprünglich der Sprache der Bibel verdankt.



Re: Vor der tür
Kuli am 9.6.16 um 23:18 Uhr (Zitieren)
Aber wird nicht der Jüngste Tag von gläubigen Christen als positives Ereignis verstanden? Im angeführten Lutherzitat ist von Hoffnung die Rede. Vielleicht hast du Recht, einen biblischen Ursprung anzunehmen. Neben der von dir angeführten Stelle, käme auch Matth. 24, 32-33 in den Blick: „An dem feigenbawm lernet ein gleichnis / wenn sein zweig itzt safftig wird / vnd bletter gewinnet / so wisset jr / das der Somer nahe ist. Also auch / wenn jr das alles sehet / so wisset / das es nahe fur der thür ist.“ Luther 1534 (Ab arbore autem fici discite parabolam: cum iam ramus eius tener fuerit, et folia nata, scitis quia prope est aestas: ita et vos cum videritis haec omnia, scitote, quia prope est in ianuis.)
Re: Vor der tür
filix am 10.6.16 um 0:39 Uhr, überarbeitet am 10.6.16 um 0:53 Uhr (Zitieren)
Ja, das habe ich zu sehr zugespitzt beim Versuch, den Gegensatz zum Kollektiv (Tor) herauszustellen - aber verschiebt sich nicht mit fortschreitender Parusieverzögerung die Sache auf das Individuum, das zunehmend mit Furcht, nicht nur sehnlicher Erwartung auf Tod (das nunmehr schlechthin imminente Ereignis, das die Chancen des Sünders auf Umkehr begrenzt) und Gericht blickt? Spätestens bei Augustinus liest man:

Sunt homines qui non credunt diem iudicii; isti fiduciam non possunt habere in die quam venturam esse non credunt. Praetermittamus istos: excitet illos Deus, ut vivant; de mortuis utquid loquimur? Non credunt futurum diem iudicii, nec timent, nec desiderant quod non credunt. Coepit aliquis credere diem iudicii: si coepit credere, coepit et timere. Sed quia timet adhuc, nondum habet fiduciam in die iudicii, nondum est in illo perfecta caritas. Numquid tamen desperandum est? In quo vides initium, cur desperas finem? Quod initium video, inquis? Ipsum timorem. Audi Scripturam: Initium sapientiae timor Domini. Coepit ergo timere diem iudicii: timendo corrigat se; vigilet adversus hostes suos, id est, adversus peccata sua ... Augustinus. In epistulam Ioannis ad Parthos, tractatus X, 17, 2


Die Frage ist also, ob nicht historisch betrachtet zunächst der Verständnishorizont der Epoche der Übersetzer die, so die Vermutung stimmt, die Redewendung in die deutsche Sprache eingeschleust haben, deren Verwendungsweise bestimmt - und die, berücksichtigt man die von Grimms zusammengetragenen ältesten Beispiele, spricht doch vorrangig von Unangenehmem.

Re: Vor der tür
Kuli am 11.6.16 um 9:58 Uhr (Zitieren)
Die überwiegende Zahl der (von Google Books offerierten) Belege aus dem 16. Jh., in denen „vor der Tür“ in übertragener Bedeutung verwendet wird, steht sicherlich in einem eschatologischem Zusammenhang und das macht die von dir herausgestellte Bedeutung der Tür als Sinnbild einer letzten Bastion zwischen unabweislicher existentieller Bedrohung und dem Individuum nachvollziehbar.*

Daneben finden sich jedoch auch früh schon Beispiele, in denen nicht vorherrschend auf das Einzelschicksal bzw. das Gottesgericht Bezug genommen wird, indem, wie in der heute üblichen Verwendung der Redensart, das nahe Bevorstehen einer Jahreszeit oder eines Datums bezeichnet werden soll. Ich denke, dass hier die Tür nicht in ihrer Schutzfunktion, sondern bloß als räumlich-zeitlicher Nahbereich des Sprechers erscheint.

1524: ... der Sommer yst hart fur der thur / der winter yst vergangen / die zarten blumen gehn erfur ...
Luther im sog. Erfurter Enchiridion
http://www.deutschestextarchiv.de/book/view/luther_enchiridion_1524?p=43[/sub]

1579: ... sinthemal der 14 hujus nahe für der thür, ...
Johann VI. Graf v. Nassau-Dillenburg, Brief vom 11. 7. 1579
https://books.google.de/books?id=_45DAAAAYAAJ&pg=PA641[/sub]

1586 (1. Aufl. 1568): Aber im Herbst / wenn der kalte Winter nahend für der Thür ist / ...
Nickel Jacob: Gründtlicher und nützlicher Unterricht von Wartunge der Bienen
https://books.google.de/books?id=xSBkAAAAcAAJ&pg=PT12[/sub]

1590: Dann eine grosse kält / mit nebel vnd vngewitter vor der Thür ist / etc.
Jacobus Cnespelius: Alter und Newer Schreib-Kalender
https://books.google.de/books?id=SQ_SYaQs1nIC&pg=PT14[/sub]

1600: Dieweil das Jubeljar / das allergröste vnd fürnehmste Päpstische Fest / vor der Thür / ...
Fridericus Forner: Notwehr vnd Ehrnrettung der Katholischen Religion
https://books.google.de/books?id=WwNTAAAAcAAJ&pg=PA64[/sub]

1609: ... / denn der Termin der 17. Maij / an welchem die Stad solt vbergeben werden / war vor der Thür / ...
Zacharias Theobald der Jüngere: Hußiten Krieg
https://books.google.de/books?id=VnpUAAAAcAAJ&pg=PA344[/sub]


*) Man erinnert sich auch an Parallelen in der antiken Literatur, etwa das berühmte Pallida mors aequo pulsat pede pauperum tabernas / regumque turres mit dem eindringlich sich in seiner Frequenz steigernden Pochen der Plosive.
Re: Vor der tür
quaerens1 am 11.6.16 um 14:48 Uhr (Zitieren)
Vielen Dank für die zahlreichen Belege und die angeregte Diskussion. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass die Redewendung schon in der Antike bekannt war, ob sie dort jedoch negativ oder positiv konnotiert war, ist nicht klar.
Der Bezug zu ante portas scheint eher unwahrscheinlich.
??
Re: Vor der tür
Kuli am 12.6.16 um 17:26 Uhr (Zitieren)
Das Bisherige zusammenfassend kann man sagen, dass die deutsche Redensart „(der Winter, Weihnachten u. ä. steht) vor der Tür“ wahrscheinlich in keinem näheren Zusammenhang mit dem sprichwörtlichen Hannibal ante portas steht, sondern wohl biblischen Ursprungs ist.

Die Phrase in foribus zur Bezeichnung nahen Bevorstehens eines Ereignisses wird schon von Hieronymus* verwendet und kommt dann auch im Mittellateinischen vor, so dass die Redensart nicht als direkte Übernahme aus der Bibel ins Deutsche eingedrungen sein muss.

* Iam incanuit caput, tremunt genua, dentes cadunt et frontem obscenam rugis arat, vicina est mors in foribus, designatur rogus prope: velimus nolimus, senes sumus. (ep. 3, 54, 14)
 
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Die überwiegende Zahl der (von Google Books offerierten) Belege aus dem 16. Jh., in denen „vor der Tür“ in übertragener Bedeutung verwendet wird, steht sicherlich in einem eschatologischem Zusammenhang und das macht die von dir herausgestellte Bedeutung der Tür als Sinnbild einer letzten Bastion zwischen unabweislicher existentieller Bedrohung und dem Individuum nachvollziehbar.*

Daneben finden sich jedoch auch früh schon Beispiele, in denen nicht vorherrschend auf das Einzelschicksal bzw. das Gottesgericht Bezug genommen wird, indem, wie in der heute üblichen Verwendung der Redensart, das nahe Bevorstehen einer Jahreszeit oder eines Datums bezeichnet werden soll. Ich denke, dass hier die Tür nicht in ihrer Schutzfunktion, sondern bloß als räumlich-zeitlicher Nahbereich des Sprechers erscheint.

1524: ... der Sommer yst hart fur der thur / der winter yst vergangen / die zarten blumen gehn erfur ...
Luther im sog. Erfurter Enchiridion
http://www.deutschestextarchiv.de/book/view/luther_enchiridion_1524?p=43[/sub]

1579: ... sinthemal der 14 hujus nahe für der thür, ...
Johann VI. Graf v. Nassau-Dillenburg, Brief vom 11. 7. 1579
https://books.google.de/books?id=_45DAAAAYAAJ&pg=PA641[/sub]

1586 (1. Aufl. 1568): Aber im Herbst / wenn der kalte Winter nahend für der Thür ist / ...
Nickel Jacob: Gründtlicher und nützlicher Unterricht von Wartunge der Bienen
https://books.google.de/books?id=xSBkAAAAcAAJ&pg=PT12[/sub]

1590: Dann eine grosse kält / mit nebel vnd vngewitter vor der Thür ist / etc.
Jacobus Cnespelius: Alter und Newer Schreib-Kalender
https://books.google.de/books?id=SQ_SYaQs1nIC&pg=PT14[/sub]

1600: Dieweil das Jubeljar / das allergröste vnd fürnehmste Päpstische Fest / vor der Thür / ...
Fridericus Forner: Notwehr vnd Ehrnrettung der Katholischen Religion
https://books.google.de/books?id=WwNTAAAAcAAJ&pg=PA64[/sub]

1609: ... / denn der Termin der 17. Maij / an welchem die Stad solt vbergeben werden / war vor der Thür / ...
Zacharias Theobald der Jüngere: Hußiten Krieg
https://books.google.de/books?id=VnpUAAAAcAAJ&pg=PA344[/sub]


*) Man erinnert sich auch an Parallelen in der antiken Literatur, etwa das berühmte Pallida mors aequo pulsat pede pauperum tabernas / regumque turres mit dem eindringlich sich in seiner Frequenz steigernden Pochen der Plosive.
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