Warum wird das „quisquis amasti“ auf Ovids Grabinschrift mit „wenn du je geliebt hast“ übersetzt?
Amasti kommt von amavisti und bedeutet „du hast geliebt“.
Quisquis aber bedeutet „jeder,der; wer auch immer“ und macht in dem Zusammenhang ja gar keinen Sinn, vor allem da quisquis Nominativ ist und man somit nicht: „Du hast wen auch immer geliebt“ übersetzten kann.
Der Kontext von dem Satzteil ist dieser:
At tibi qui transis, ne sit grave quisquis amasti, Dicere:....
Das „ne sit grave dicere“ gehört ja zusammen und bedeutet „dir soll es nicht schwer fallen“.
Bitte um Hilfe :(
Darauf hab' ich gewartet! Vielen Dank!
Somit erübrigt sich natürlich die Annahme einer Ellipse; wobei eine deutsche Übersetzung, die den Verallgemeinerungscharakter von quisquisund die Form amasti halbwegs wörtlich wiedergeben möchte, wohl nicht möglich ist.
Je nun, was ist schon wörtlich? „Jeder, der“ sind zwei, „wer auch immer“ drei Wörter für das eine quisquis. Ehrlich gesagt, erscheint mir die Wiedergabe durch Konditionalsatz, die den Fragesteller so verwirrt hat, quisquis amasti = „wenn du geliebt hast“ am elegantesten.
In der Tat ... und somit schließt sich der Kreis für diesen Thread doch sehr zufriedenstellend!
Re: Ovids Grabinschrift
filix am 23.5.16 um 12:32 Uhr, überarbeitet am 24.5.16 um 13:49 Uhr (Zitieren)
Komplexe Relativpronomen im Nominativ, die bei Bezug auf ein Personalpronomen der ersten oder zweiten Person eine Wiederaufnahme des Personalpronomens zeigen, wobei sich das Verb nach diesem richtet, gibt es im Dt. sehr wohl - „ ... jetzt habe ich nur Dich mehr auf der Welt, nur Dich, der Du von mir nichts weißt, der Du indes ahnungslos spielst oder mit Dingen und Menschen tändelst.“ (S. Zweig)
Beim Relativpronomen „wer“ ist jedoch die Akzeptabilität auf Verbindungen mit „sein“ bzw. Modalverb + „sein“ beschränkt („Wer du auch sein magst, ...“). In historischen Übersetzungen aus dem Lat. findet man bisweilen Formulierungen wie „Wer immer du auch zu den Waffen mich rufest ...“
In der lat. Prosa scheint bei der Verwendung von „quisquis“ mit einem Verb in der zweiten Person gleichfalls „esse“ zu dominieren, sodass man die Frage aufwerfen kann, ob nicht auch diese Konstruktion gewissen Akzeptabilitätseinschränkungen unterlag.
Re: Ovids Grabinschrift
Willimox am 23.5.16 um 17:20 Uhr, überarbeitet am 23.5.16 um 17:22 Uhr (Zitieren) I
Anzudenken eine knappe Übersetzung, aber insofern nicht nah am Lateinischen, weil die finiten Verben und anderes nicht unmittelbar berücksichtigt sind:
Doch Dir, dem Vorübergehenden, dem Liebeserfahrenen, möge es nicht schwerfallen...
Vielleicht interessant, weil
a) in der appositiven Struktur (dir, dem Liebeserfahrenen...) das (anaphorische) Relativpronomen und der fortführende, nichtrestriktive, verallgemeinernde Relativsatz und seine Funktion umspielt werden,
b) eine verallgemeinernde, fast generische Lesart möglich scheint, die abgeschwächte Version einer Allaussage und das bei einem deutschen substantivierten Partizip,
c) die Doppelcharakterisierung des Adressaten als Vorübergehender und als Liebeskundiger den Kontakt insofern knüpft, als mit „Vorübergehender“ jede zufällige Begegnung erfasst wird, mit dem Liebeshinweis aber (scheinbar) eine Einschränkung vorgenommen wird, die sich insofern auflöst, als wohl fast jeder Mensch sich eine glückende Liebeserfahrung wünscht und sich somit gern über „amasti“ ansprechen lässt, selbst dann, wenn man eine unglückliche Liebe erfahren hat,
d) der Liebeslehrer Ovid somit gegenüber Eingeweihten oder Neugierigen darauf anspielen kann, in der Domäne der Glückskonzepte und Glücksratschläge in Sachen Liebe soviel Verdienste erworben zu haben, dass er sich zu Recht einen Segenswunsch des Vorübergehenden wünschen darf.
Re: Ovids Grabinschrift
filix am 24.5.16 um 14:23 Uhr, überarbeitet am 24.5.16 um 14:25 Uhr (Zitieren)
Der „quisquis“-Satz hat aber nun einmal restriktiven Charakter, den die lockere Apposition nicht einholt, auch ist von Erfahrenheit, also einem Reichtum an Erfahrungen, welche Bedeutung das substantivierte Adjektivkompositum in sich trägt, im Lat. nicht die Rede.
Wer Ovids Verbalstil treubleiben will, muss überdies auf Knappheit nicht verzichten - Holzberg beispielsweise wählt eine V1-Stellung, um die Bedingung auszudrücken: „liebtest du je“. Alternativen: „sofern du geliebt“ & c.