Die mit der Liste verknüpfte Regel sagt keineswegs, dass alle genannten Adjektive als Prädikativa unter Ausschluss entsprechender Adverbien fungieren. Das wird z.B. schon an „timidus“ vs. „timide“ deutlich. Darum heißt es im Neuen Menge beispielsweise auch: „Bei
einigen Adjektiven, die einen geistigen oder seelischen Zustand bezeichnen, setzt das Deutsche ein Adverb oder eine adverbiale Bestimmung, während das Lateinische
häufig das genauere Prädikativum verwendet.“ (unser Kandidat ist nicht in der Liste) und ergänzt dann: „Zwischen dem prädikativen Gebrauch eines Adjektivs und dem zu gehörigen Adverb gibt es oft Bedeutungsunterschiede; Prädikativum und Adverb können bei diesen Wörtern nicht gegeneinander ausgetauscht werden. So bedeutet sciens (selten prudens) ‚mit Vorbedacht, wissentlich‘, scienter und prudenter aber ‚mit Einsicht, klug, mit Sachkenntnis‘...“
Im gegebenen Fall ist also zu fragen, ob a) ein entsprechendes Adverb gebildet wird - allerdings: „ignave“/„ignaviter“, sowie b) wie es sich auf der Bedeutungsebene vom prädikativ gebrauchten Adjektiv unterscheidet und ob es nicht durchaus eine nähere Charakterisierung der Art und Weise der Handlung zu bezeichnen vermag, die sich von der mittelbaren Beschreibung des physischen oder psychischen Zustandes des Agenten klar unterscheidet.
Wer müde lächelt, ist nicht notwendigerweise müde (wobei im Dt. dem keine augenfällige grammatische Differenz entspricht) und ob die Kühe träge („ignave“), i.e. ohne rechte Lust und Energie, nicht gerade fremdenverkehrstauglich, muhen statt sich die Seele aus dem Leib zu brüllen, ohne deswegen müde, erschöpft, träge („ignavus“; hier vielleicht besser „fessus“; cf. Horaz:carm III,13 - „tu frigus amabile
fessis vomere
tauris praebes“ - „Du gewährst angenehme Kühle den von der Pflugschar ermatteten Stieren“ ) zu sein, oder einfach nicht mehr können, lässt sich durch die grammatische Regel nicht entscheiden.
Noch eine Stelle für die Verwendung von „ignave“.: wenn Cicero in den
Tusc.Disp.II.,55: schreibt „Sed hoc idem in dolore maxime est providendum, ne quid abiecte, ne quid timide, ne quid
ignave, ne quid serviliter muliebriterve faciamus, in primisque refutetur ac reiiciatur Philocteteus ille clamor.“ dann will er nicht sagen, dass man nicht irgendetwas unter Schmerzen unterlassen soll, weil man träge, matt, erschöpft ist, sondern dass man dem Schmerz keinen Ausdruck von Schwäche und Trägheit in der Handlung selbst verleihen soll: „Aber darauf muss man beim Schmerz am meisten achten: dass wir nicht irgendetwas nachlässig (abiecte), nicht irgendetwas ängstlich (timide), nicht irgendetwas träge/ohne Energie (
ignave), nicht irgendetwas nach Sklavenart (serviliter) oder wie Weiber (muliebriter) tun, und vor allem soll ein Geschrei nach der Art jenes Philoktet unterdrückt und abgelehnt werden.“