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Verneinung in Ciceros Pro Archia poeta — 1402 Aufrufe
Thomas am 27.9.19 um 21:53 Uhr (
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Hallo zusammen,
ich will zur Übung mal wieder eine Cicerorede (Pro Archia poeta) übersetzen und hänge jetzt gleich an einer Stelle des ersten Satzes. Der gesamte Satz lautet:
Si quid est in me ingeni, iudices, quod sentio quam sit exiguum, aut si qua exercitatio dicendi, in qua me non infitior mediocriter esse versatum, aut si huiusce rei ratio aliqua ab optimarum artium studiis ac disciplina profecta, a qua ego nullum confiteor aetatis meae tempus abhorruisse, earum rerum omnium vel in primis hic A. Licinius fructum a me repetere prope suo iure debet.
Meine Übersetzung bisher:
Wenn mir etwas an Talent, ihr Richter, bei dem ich mir bewusst bin, wie gering es ist, oder wenn mir einige Gewandtheit im Reden, mit der ich mich, wie ich nicht leugne, nur im geringen Grade beschäftigt habe, oder wenn mir irgendeine Theorie dieser Redekunst, die aus den wissenschaftlichen Beschäftigungen und dem Unterricht in den besten Künsten hervorgegangen sind, innewohnt, von der ich, wie ich gestehe, zu keinem Zeitpunkt meines Lebens zurückgeschreckt bin, dann muss wohl am meisten der hier anwesende Aulus Licinius den Ertrag all dieser Eigenschaften sozusagen seines Rechtes wegen von mir verlangen.
Mein Verständnisproblem liegt im unterstrichenen Relativsatz (in qua me non infitior mediocriter esse versatum). Die Negation „non“ ist hier meiner Meinung schon der Wortstellung wegen auf infitior zu beziehen: ich leuge nicht.
Sinnmäßig müsste die Negation doch auch irgendwie auf das Adverb mediocriter zu beziehen sein, sodass es bedeutet: mit der ich ich, wie ich nicht leuge, nicht nur im geringen Grade beschäftigt habe.
Ist dieser Doppelbezug möglich oder stehe ich hier vom Textverständnis vollkommen auf dem Schlauch?
Vielen Dank für eure Hilfe
Gruß
Thomas
Anmerkung: An der Stelle gibt es keine Textkritik lt. Oxford-Ausgabe.
Re: Verneinung in Ciceros Pro Archia poeta
Warum möchtest du diese Tiefstapelei durch eine syntaktische Volte beseitigen?
Re: Verneinung in Ciceros Pro Archia poeta
Thomas am 27.9.19 um 22:43 Uhr (
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Danke, filix.
Genau diesen Punkt habe ich mit „vollkommen auf dem Schlauch“ stehen gemeint. Eine typische Tiefstapelei zu Beginn einer Rede. Ich denke mein Denkfehler liegt im „non infitior“. Im Stile eine Litotes ist für mich folgende Übersetzung dann klarer „mit der ich mich, wie ich offen gestehe, nur im geringen Grade beschäftigt habe“.
In der Zwischenzeit unternahm ich auch noch einen kleinen Spaziergang in eine Bibliothek, um dort in zwei Übersetzungen Einsicht zu nehmen.
Otto Schöneberger (Reclam): womit ich mich, und das soll nicht geleugnet werden, nicht gerade oberflächlich beschäftigt habe
Sammlung Tusculum (als Parenthese übersetzt): ich leugne nicht, dass ich es darin zu etwas gebracht habe
Beide Übersetzung haben mir jetzt auch nicht wirklich geholfen. Aber wie gesagt, ist mir die Stelle jetzt klar. Ich habe nur wieder zuviel nachgedacht. Vielen Dank. Gruß Thomas
Re: Verneinung in Ciceros Pro Archia poeta
Die Übersetzungen können das Problem nicht abschütteln, dass lediglich eine Negationspartikel steht und deren Stellung den Bezug auf das den AcI regierende Prädikat nahelegt. Man darf also ein kulturelles Vorurteil, das die Stelle zu beugen sucht, vermuten - dass der Inbegriff antiker Redekunst selbst bei einer Tiefstapelei nicht leugnet, sich nur „mediocriter“ (zum „nur“ siehe MBS § 189) mit der „exercitatio dicendi“ befasst zu haben, geht den Übersetzern offensichtlich zu weit.
Re: Verneinung in Ciceros Pro Archia poeta
Das Problem wurde auch hier diskutiert:
http://www.latein.at/phpBB/viewtopic.php?f=23&t=44008
Hier noch eine engl. Übersetzung:
I. Gentlemen of the Jury: Whatever talent I possess (and I realize its limitations), whatever be my oratorical experience (
and I do not deny that my practice herein has been not inconsiderable), whatever knowledge of the theoretical side of my profession I may have derived from a devoted literary apprenticeship (and I admit that at no period of my life has the acquisition of such knowledge been repellent to me),—to any advantage that may be derived from all these my friend Aulus Liciniusa has a pre-eminent claim, which belongs to him almost of right. (Loeb Classical)
Re: Verneinung in Ciceros Pro Archia poeta
Re: Verneinung in Ciceros Pro Archia poeta
Re: Verneinung in Ciceros Pro Archia poeta
Thomas am 28.9.19 um 6:41 Uhr (
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Vielen Dank v e b. Da hast du dir ja richtig Arbeit gemacht. Jetzt dürfte wirklich alles klar sein. Einfach spitze.
Bei der letzten Übersetzung handelt es sich um die von mir zitierte Tusculum-Ausgabe.
Re: Verneinung in Ciceros Pro Archia poeta
filix am 28.9.19 um 11:05 Uhr, überarbeitet am 28.9.19 um 11:37 Uhr (
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Die Übersetzungen, die nicht zu einer schwer zu begründenden Verdopplung der Negation, die den Matrixsatz und im AcI „mediocriter“ negieren soll, greifen, mildern das Wort des Anstoßes, um Cicero in seiner Tiefstapelei die Mediokrität zu ersparen (Zitat aus der verlinkten Diskussion: ‚„mediocriter“ klingt irgendwie herabsetzend‘), zu „dass ich darin einigermaßen bewandert bin“ „I have some experience“ usf. Wahrscheinlich spielt dabei auch eine Rolle, dass die entsprechenden Fremdwörter in den Zielsprachen (medioker/mediocre) ausschließlich pejorativ gebraucht werden, überhaupt aber gilt Goethes „Mittelmäßigkeit ist von allen Gegnern der schlimmste - Deine Verirrung, Genie, schreibt sie als Tugend sich an“. Dann selbst in gespielter Bescheidenheit lieber nur einigermaßen versiert sein.
Re: Verneinung in Ciceros Pro Archia poeta
Kann „mediocriter“ nicht einfach nur sehr ironisch gemeint genauso wie die Sache mit der Begabung?
Re: Verneinung in Ciceros Pro Archia poeta [...]
a m b am 28.9.19 um 11:59 Uhr (
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Re: Verneinung in Ciceros Pro Archia poeta [...]
anti-fake am 28.9.19 um 12:11 Uhr (
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Re: Verneinung in Ciceros Pro Archia poeta
Natürlich geht es darum, dass Cicero es nicht ernst meint, tiefstapelt und (ziemlich übertrieben) seine Bescheidenheit demonstrieren möchte - die pejorative Bedeutung der Mediokrität scheint aber aus besagten Gründen den Übersetzern selbst in dieser Konstellation unerträglich zu sein. Es macht offensichtlich einen Unterschied, ob man mit Augenzwinkern sagt, dass man sich mit etwas einigermaßen auskenne, oder, dass man darin nur mittelmäßig sei.